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ARCHIV-AUSGABE OKTOBER 2003

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Musik in der Werbung
DIE WERBUNG ENTDECKT DIE INDEPENDENT-LABELS
VON RAINER ASCHEMEIER
Die Werbung entdeckt die Independent Labels. Oder sollte man sagen Die Independent Labels entdecken die Werbung? Diese Diskussion wäre etwa genau so müßig wie die berühmte Debatte über die Existenz von Huhn und Ei: Wer oder was war zuerst da? Werbung oder Musik?
Im Gegensatz zu Huhn und Ei kann man jedoch zumindest Thesen aufstellen. Musik war zumindest von Beginn an ein fester Bestandteil der Werbung im Fernsehen. Bereits in den 50-er Jahren als das Fernsehen noch in den Kinderschuhen steckte, wurden, oft minutenlange, Werbespots ausgestrahlt, die den Wirtschaftswunder Kunden vor allem mit einem becircen sollten: Mit der Macht der Musik.
Ein Jeder von uns kennt das: Da schaut man spätabends den gruseligen Horrorfilm, wird durch einen Telefonanruf aus der Handlung gerissen und während des Telefonierens schauen wir weiter auf den nun tonlosen Bildschirm und wundern uns: Warum bitteschön habe ich gerade noch mein Gebiss in der Sofalehne versenkt? Einfach deswegen, weil die Musik uns dazu animiert hat. Man könnte es auch anders formulieren: Durch die Zweidimensionalität der Mattscheibe fehlt der Realitätsbezug. Deswegen ist es an sich nicht einfach Stimmungen durch Film- und Fernsehbilder zu erzeugen. Es muss also eine einfache Möglichkeit gefunden werden um die Irrationalität der Filmhandlung dem Zuschauer glaub- und emotionswürdig zu machen. Musik als Seelenkatalysator gewissermaßen. Der direkte Zugang zur Tränendrüse.
Werbefachleute machen sich diese, eigentlich unfassbare, Eigenschaft der Musik zu Nutze. Ein Beispiel: Digitalkameras. Uns allen sind sie mittlerweile hinlänglich bekannt, und das neue NIKON Produkt würde uns wohl auch nicht mehr interessieren als das derzeitige Topprodukt von Olympus, Canon, Kodak und Konsorten. Doch schauen wir nicht auch unterbewusst ganz gerne hin, wenn NIKON uns einen kleinen Hosenmatz präsentiert, der begleitet von einer sonoren Männerstimme aus einer anderen Dimension zu säuseln scheint: Früher konnte ich mit den Augen fotografieren.
An Banalität und Nostalgie Kitsch ist die Szene nicht mehr zu überbieten? Doch, ist sie! Der Ton macht die Musik, und die kommt in diesem Falle von der Berliner Indie Fusion Band Jazzamor. Remembering the old schoolyard...bla bla bla... und schon sind wir es, die doch früher auch mit den Augen fotografieren konnten. Und überhaupt: Haben diese NIKONs nicht irgendwie recht? Hach ja, damals. Das hol ich mir zurück, modernes High Tech als Tor zur Erinnerung. The winner is: Nikon? Nein, the winner is: Jazzamor.
In den letzten Jahren kam es auffallend häufig zum Einsatz von an sich auf den ersten Blick nicht unbedingt massengeschmackskompatiblen Indie Musikproduktionen in der Werbung. Sei das nun Koop in der Renault Vel Satis Werbung, sei es Nick Drake als Untermalung für ein paar Teen Yuppies, die sich in ihrem neuen Golf Cabrio wohler fühlen als auf der Gartenfete ihrer Kumpels, seien es Annette Humpes 2-Raumwohnung die mit einem Song über Beziehungsprobleme plötzlich marktünterstützend für Anlageberatung warben, seien es Massive Attack, die Könige des Trip Hop; auch sie dienten der Finanzwelt um Umsatz zu machen. Nun also die Kamera als Tor zur Vergangenheit.
Alle diese Beispiele haben eins gemeinsam: Die der Werbung angegliederten Songs wurden oftmals zu Hits; wurden oft erst im Zuge der Kundennachfrage, die mit Sätzen wie Ich will sofort das Lied aus der Renault Werbung! regelmäßig Einzelhändler in den Wahnsinn trieb (wer kennt schon alle Werbespots auswendig?), erst als Maxi-Single ausgekoppelt. Die Frage die sich mir stellt, lautet in solchen Momenten: Muss gute Musik durchs Hintertürchen der Werbung vermittelt werden, damit große Käuferschichten sich dafür begeistern können? Könnte nicht auch die ein oder andere Plattenfirma das Wagnis eingehen gute Musik ähnlich aggressiv zu promoten wie es mit den rammdösigen Bravo Hits Samplern (mein Synonym für das Gegenteil von guter Musik) getan wird? Doch Moment, das würde Mut erfordern und musikalischen Sachverstand gleich noch dazu.
Ich fürchte, ich kenne die Antwort auf meine Frage. Was meinen Sie?
Ich freue mich über Ihre Rückmeldungen.
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