F. Chopin – Sämtliche Nocturnes (2014)
• • • Frédéric Chopin – Sämtliche Nocturnesvon Rainer Aschemeier • 11. August 2014 Earl Wild gehörte vor allem in den USA zu den prominentesten Pianisten überhaupt. Der Grund: Wild war beim Rundfunk angestellt und war deshalb bekannt aus etlichen Radio- und Fernsehübertragungen. Darunter waren auch ein paar, die Rundfunkgeschichte geschrieben haben; so etwa die von Arturo Toscanini mit dem NBC Symphony Orchestra umgesetzte „Rhapsody in Blue“-Interpretation, bei der Earl Wild als Solist fungierte. Obwohl… geografische Grenzen, die hat seine Bekanntheit nie unbeschadet überwinden können. In Europa blieb Earl Wild ein Geheimtipp und für die breite Masse praktisch ein Unbekannter. Auch keine der großen europäischen Plattenfirmen für klassische Musik konnte sich für Wilds Interpretationen erwärmen. Und bei US-Labels wie RCA gab es zwar einige Einspielungen, doch auch dort zündete Earl Wilds Karriere nicht so richtig, denn immerhin war dieser Pianist ja ständig zu hören wenn man das Radio einschaltete. Wozu dann noch Schallplatten? In Europa kam der Name Earl Wild, wie bei so vielen „Geheimtipps“ in der Pianistenszene, erst wieder ab den ausgehenden 1980er-Jahren auf den Plan. Nun bemühten sich einige engagierte Independent-Labels um den Pianisten, der ihnen dafür auch willig seine durch Jahrzehnte gereiften Interpretationen einspielte. Aus dieser Phase, genauer gesagt aus dem Jahr 1996, stammen die hier vorgestellten Aufnahmen sämtlicher „Nocturnes“ aus der Feder Frédéric Chopins. Schon allein die Tatsache, dass Wild diese Stücke nicht wie sonst bei Gesamtaufnahmen üblich chronologisch bzw. numerisch einspielte, sondern die Chopin-Nocturnes nach „Stimmungen“ zusammenfasste (wie sich Earl Wild selbst im beiliegenden CD-Booklet ausdrückt), sollte aufhorchen lassen. Earl Wild gibt sich nicht einmal besondere Mühe, eine objektive Situation herzustellen. Er sieht Chopin absolut aus dem Blickwinkel des US-Amerikaners der 1920er-Jahre. Und das bedeutet: Wild schubst Chopin schon mal in impressionistische Fahrwasser oder tunkt ihn auch zwischendurch immer wieder in die Jazz-Tasse. Chopin wird von ihm zwar ernstgenommen – das zeigt sein äußerst emotionaler, lyrischer Zugriff –, jedoch wird er von Earl Wild auch ganz schön in Besitz genommen und ganz nach Belieben für das Publikum des ausgehenden 20. Jh. umgedeutet. Das sorgt für stetig hochgezogene Augenbrauen, doch ganz ehrlich: Manchmal kann zumindest ich mir auch ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wer eine objektive Referenzaufnahme sucht, muss anderswo fündig werden. Dieser Chopin ist nämlich eine Einspielung für diejenigen, die glauben, sie kennen diese Stücke. Earl Wild beweist: Es geht auch anders – z.B. dezidiert amerikanisch… |
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