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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Paul Hindemith - Klaviermusik
Christian Seibert

(2007)
cpo

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Paul Hindemith - Klaviermusik

Klaviersonate Nr. 3 - In einer Nacht op. 15 - Tanzstücke op. 19

von Rainer Aschemeier  •  8. Februar 2007

In Zeiten in denen allgegenwärtig wieder die Klassik-Krise postuliert oder zumindest diskutiert wird (s. z.B. die neueste Ausgabe des Magazins „Crescendo“), bringt mich die hier besprochene CD auf einen Gedanken: Klassik-Krise hin oder her, von einer Interpreten-Krise kann jedenfalls nicht die Rede sein. Gerade die Klavierwelt konnte sich in den letzten Jahren über wahrhaft herausragenden Nachwuchs nicht beklagen. Mit Martin Stadtfeld, Matthias Soucek und dem erst spät bekannt gewordenen Michael Korstick waren gleich drei deutschsprachige Shootingstars in kurzer Zeit zu verzeichnen. In dieser Riege hinterlässt nun nach und nach auch Christian Seibert seinen künstlerischen Fingerabdruck.

Der erst 32-jährige Norddeutsche scheint sich offenbar auf das so wichtige und dennoch sträflich unterbewertete Repertoire der deutschsprachigen Expressionisten zu spezialisieren. Mit einer CD der Klaviermusik des Österreichers Ernst Toch (ebenfalls beim Label cpo) hatte Seibert im Jahr 2005 eine erste Landmarke gesetzt. Die nun erschienene CD mit ausgewählten Klavierwerken von Paul Hindemith ist aber ein ganz anderes Kaliber.

Paul Hindemith gilt allgemein als der wichtigste ursprünglich aus Deutschland stammende Komponist im 20. Jh. Trotz der weitverbreiteten Anerkennung der Musik des Hanauers, ist Hindemith bei näherem Hinsehen eine jener Künstlerpersönlichkeiten, von denen mehr Menschen behaupten können sie hätten schon einmal etwas ÜBER ihn gehört als VON ihm.

Während Hindemiths Zeitgenossen Schostakowitsch und Bartok – ja, selbst die britischen Kollegen Walton und Vaughan Williams – heute für ein großes Publikum interessant sind, blieb die Fangemeinde Hindemiths stets auf Kenner und Liebhaber beschränkt (wobei die Kenner nicht unbedingt zu Liebhabern wurden und umgekehrt). Lediglich seine Oper „Mathis der Maler“ und die daraus abgeleitete Sinfonie gleichen Namens erfreuen sich nachhaltiger Popularität.

Ist es der Ruf Hindemiths als „musikalischer Akademiker“, der dem Komponisten auf dem – wer würde es bestreiten wollen – doch weithin immer noch gefühlsgeleiteten Klassik-CD-Markt den Durchbruch verleidet? Einerseits wäre das möglich, denn mit glühenden Emotionsausbrüchen konnte (und wollte) Hindemith nie aufwarten. Selbst sein Requiem „Als Flieder jüngst im Garten mir blüht“ wirkt eher distanziert und kühl. Aber was ist dann mit Stücken wie dem Cellokonzert „Der Schwanendreher“, in dem Hindemith ausgelassen und durchaus mit einem Augenzwinkern über traditionelle Volkslieder fantasiert? Was ist mit der todtraurigen „Trauermusik“ aus dem Jahr 1936? Ja, was ist mit Hindemiths populärstem Werk, der in ihrer Reduzierung doch auch sehr sinnlichen Musik zu „Mathis der Maler“?

Nichts bringt diese Widersprüchlichkeit in Hindemiths musikalischem Schaffen besser „auf den Punkt“ als sein Klavierwerk. Nehmen wir als Beispiel aus der vorliegenden CD den Klavierzyklus „In einer Nacht“: Die Musik dieser etwa 22 min. langen Komposition tangiert den Impressionismus Poulenc’scher Prägung ebenso wie die strenge Welt der Fuge. Das Stück beginnt fast in der Art wie Poulencs „Mouvements perpétuels“ und endet wie ein Teil aus Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen Op. 87. Eine solch erstaunliche Wandlungsfähigkeit findet man außer bei Hindemith höchstens noch beim späten Strawinsky.

Christian Seibert ist kein Leugner dieser Ambivalenz. Er ist kein „Glattbügler“ sondern ein präziser Beobachter. Seine Gabe, die sich in stetem Ringen um den musikalischen Ausdruck befindliche Tonsprache des Komponisten zu vermitteln, ist bemerkenswert. Unabhängig von seiner makellosen Technik – heutzutage schon fast eine Selbstverständlichkeit unter der jungen Pianistengarde – steht ihm Hindemiths Musik schlicht und einfach gut zu Gesicht. Er scheint keine Probleme mit den stilistischen Kapriolen der schwierigen „Tanzstücke op. 19“ zu haben, und er zeigt in der dritten Klaviersonate, dass er auch Hindemiths Reflexion über die „große Form“ umzusetzen weiß.

Soviel wie die CD in interpretatorischer Hinsicht zu überzeugen versteht, so sehr enttäuscht der Aufnahmeklang der an und für sich für Qualität bekannten Tontechniker des WDR (Koproduzent der vorliegenden Aufnahme). Zwar ist der Klang nicht „schlecht“ im Sinne des Wortes, besitzt aber meines Erachtens nicht die nötige Tiefe und Brillanz die aus heutiger Sicht zeitgemäß wäre. Erst vor Kurzem wurde an dieser Stelle die schöne CD mit Klavierkonzerten Darius Milhauds besprochen (Label ebenfalls cpo, Aufnahme SWR). Wie spritzig und natürlich dort das Klavier klingt – da nimmt sich der Ton der hier vorliegenden Hindemith-Aufnahme im Vergleich schon etwas blass aus.

Trotzdem sei der Kauf der vorliegenden Veröffentlichung mit Nachdruck empfohlen, denn Seibert ist ein zu guter Interpret, um die CD wegen winziger klanglicher Bedenken an die Seite zu schieben. Zudem gibt es zum ausgewählten Repertoire kaum Alternativen am Markt, und selbst wenn es sie gäbe – sie hätten es schwer mit dieser Aufnahme zu konkurrieren.

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