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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Pietro Locatelli - Concerti Grossi Op. 1
The Raglan Baroque Players

(1995/2014)
hyperion

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Pietro Locatelli - Concerti Grossi Op. 1

Meisterleistung der Historischen Aufführungspraxis

von Rainer Aschemeier  •  22. März 2014
Katalog-Nr.: CDD22066 / EAN: 034571120669

Die sogenannte Historische Aufführungspraxis ist schon ein merkwürdiges Ding. Ab Mitte der 1950er-Jahre gab es zunächst wenige, dann immer mehr Orchester, die sich einer Art des Musizierens verschrieben hatten, die sich fast ausschließlich anhand historischer Muster entwickelte: Erstmals musizierte man auf Originalinstrumenten (oder dem, was davon übrig war) aus der Zeit der interpretierten Kompositionen, man studierte alte Bücher zur Spieltechnik der Barockzeit und der Wiener Klassik und zog sogar Gemälde aus früheren Jahrhunderten heran, um die Spieltechnik der Musiker früherer Zeiten möglichst genau nachempfinden zu können.

Diese Entwicklung war begleitet von einer im Prinzip schockierenden Kette von Irrwegen und Missverständnissen, sodass einige der frühen Beispiele der „Historischen Aufführungspraxis“ bereits heute als vollständig veraltet gelten dürfen. Genau genommen ist es ein Wunder, dass eine Bewegung, die bis heute postuliert, der interpretatorischen „Wahrheit“ auf der Spur zu sein und dabei dennoch so viele interpretatorische „Unfälle“ auf dem Weg dieser Wahrheitsfindung veranstaltet hat, im Endeffekt trotzdem den Markt klassischer Musik im Sturm erobern konnte und heute das Heft fest in der Hand hält. Wer heute – etwa im Falle einer Vivaldi-Einspielung – zu einer Aufnahme greift, die nicht von einem auf Alte Musik spezialisierten Ensemble mit sogenannten „Originalinstrumenten“ interpretiert wird, wird schon fast schräg angeguckt.

Ob das alles sinnvoll ist oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Eine Tatsache ist immerhin, dass die herausragend guten Einspielungen durch den Siegeszug der Historischen Aufführungspraxis weder mehr noch weniger geworden sind. Bis heute muss man wirklich gute Interpretationen dies- und jenseits der „Alte Musik“-Szene leider mit der Lupe suchen. Es ist in beiden Lagern einfach sehr viel Durchschnittsware unterwegs.

Wie schön, wenn in so einer Situation ein Rerelease eines wirklich lohnenden Albums erfolgt, das tatsächlich das Zeug dazu hat, als vorbildlich und zeitlos bezeichnet zu werden – egal, welcher „Fraktion“ man selbst angehört.
Und so kann es nur eine große Freude für alle sein, dass die wunderbaren Concerti Grossi Op. 1 von Pietro Locatelli in der vorzüglichen Einspielung der Raglan Baroque Players wieder verfügbar sind.
Ja, es sind dies die Concerti Grossi, deren achtes Konzert als Locatellis „Weihnachtskonzert“ etliche Male auf „Weihnachtskonzerte“-Alben eingespielt wurde, meist in der Kopplung mit den höchst prominenten Gattungspartnern Corellis und Manfredinis.
Leider ist aber der ganze Rest der insgesamt 12 Op. 1-Concerti Grossi Locatellis bis heute einem breiteren Publikum fast gänzlich unbekannt.

Nun ist Locatelli kein Komponist, dessen Schaffen es qualitativ oder auch nur in Belangen der Zugänglichkeit mit dem von Vivaldi, Tartini oder Corelli aufnehmen könnte. Doch ist sein Werk musikhistorisch durchaus bedeutend und zudem auch einfach sehr schön und schlichtweg interessant zu hören.

The Raglan Baroque Players überzeugen bis heute auf dieser Einspielung aus den 1990er-Jahren durch eine höchst musikalische, man möchte sagen geradezu innige Aura, die spüren lässt, wie sehr diese Musik von ihren Interpreten geliebt wird.
Hier wird man keine ruppigen Streicher finden, keine Hochgeschwindigkeitstempi, keine kieksigen Bläser, keine Szene-Exzentrik – kurz: Nichts von dem, weswegen die Historische Aufführungspraxis inzwischen nicht nur berühmt, sondern auch durchaus berüchtigt ist. Und ja, hier traut man sich sehr sinnvollerweise auch zum gepflegten Solostreichervibrato, wenn auch dezent.
Ergo: Hier steht tatsächlich die Schönheit und die Anmut der Musik im Vordergrund sowie das Ansinnen, eine Referenzaufnahme für die Ewigkeit abzuliefern. In diesem Fall ist das wirklich gelungen.
Und das wissen auch die Fans zu goutieren. Bis vor Kurzem wurde dieses Doppelalbum in Sammlerkreisen noch für 80 Euro und mehr feilgeboten (wohlgemerkt: Die Originalpressung von 1995). Zum Glück hat man nun für deutlich weniger Geld die Gelegenheit, sich diese herrlichen Preziosen als Wiederveröffentlichung zum midprice in den heimischen Player zu holen.

Übrigens ist nicht nur die Interpretation zeitlos, sondern zudem auch der absolut vorzügliche Sound dieser Scheibe, die alle Tugenden verkörpert, die man dem label hyperion bis heute (nicht immer ganz zurecht) nachsagt. Die Mitte der 1990er-Jahre war in der Tat die absolute Glanzzeit des hyperion-Labels, und das wird hier durch diesen Re-release noch einmal lebendig. Fabelhaft!

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