Heitor Villa-Lobos - Symphonie Nr. 2 + "New York Skyline Melody"Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR - Carl St.Clairvon Rainer Aschemeier • 23. November 2006 Der Brasilianer Heitor Villa-Lobos galt lange Zeit in qualitativer Hinsicht als „nicht sichere Bank“. Vielen Schreibern kam das gewaltige Lebenswerk des Komponisten, der die kaum überschaubare Masse von annähernd 1000 vollendeten Werken hinterließ, offenbar verdächtig vor: eintausend Stücke – das konnte doch nicht alles gleichwertig gut sein. Die in den letzten Jahren erfreulicherweise in starkem Maße zunehmende Anzahl von CD-Einspielungen – auch von bisher unzugänglichen Villa-Lobos-Kompositionen – zeigte jedoch, dass viel mehr gute Musik aus der Feder des eigenwilligen Brasilianers strömte, als bisher angenommen wurde. Der Autor des Buches „Sinfonie der Welt“, der österreichische Dirigent und Musikwissenschaftler Kurt Pahlen, ging schließlich soweit, Villa-Lobos als „Genie“ zu bezeichnen, und mittlerweile dürfte unstrittig sein, dass der Komponist dieses Prädikat zweifellos zu Recht verdient. Von 1995 bis 1998/99 waren das SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und sein Gastdirigent Carl St.Clair damit beschäftigt, eine CD-Reihe mit den 12 Symphonien des brasilianischen Komponisten für das Label cpo aufzunehmen. Obgleich es zwischenzeitlich aufgrund einer längeren Veröffentlichungs-Durststrecke den Anschein hatte, dass die Reihe womöglich nicht vollendet werden würde, liegt nun doch noch – 8 Jahre nach dem Aufnahmetermin! – die Einspielung der zweiten Symphonie vor. Sammler der Serie können also aufatmen und doch noch auf die Komplettierung ihres Bestands an Villa-Lobos-Musik hoffen. Die zweite Symphonie ist mit einer Spielzeit von über 50 min. im Vergleich zu den zumeist deutlich kürzeren Symphonien im Oeuvre des Brasilianers, ungewöhnlich umfangreich. Sie ist aber das wohl unmittelbar zugänglichste Werk, das bisher in der cpo-Reihe mit Villa-Lobos-Symphonien erschien. Durch die Fugato-Ansätze im Kopfsatz der Komposition fühlt man sich ein ums andere mal an Villa-Lobos’ populäre „Bachianas Brasileiras“ erinnert, in denen der Komponist von 1930 bis 1944 versuchte, anhand von neun verschiedenartigen mehrsätzigen Kompositionen, die barocke Stilistik Johann Sebastian Bachs mit brasilianischer Folklore zu kreuzen – was erstaunlich gut gelang. Villa-Lobos selbst sah seine Zweite jedoch eher im Fahrwasser des Wagner- und Liszt-beeinflussten Franzosen Vincent d’Indy, dessen symphonischem Stil er sich mit seinem Werk offenbar annähern wollte. In der Tat sprach Villa-Lobos später über seine ersten fünf Symphonien als „Symphonien im Stile des französischen Komponisten Vincent d’Indy“. Diese Selbsteinschätzung muss den unvoreingenommenen Hörer unweigerlich verwundern; handelt es sich doch bei den ersten fünf Villa-Lobos-Symphonien um grundlegend unterschiedliche Werke, die sowohl in ihrem Stil als auch in puncto Programmatik z. T. stark differieren. Doch Villa-Lobos’ Zweite wirft weitere Fragen auf: Warum lautet der Untertitel des Werkes „Ascenção“ – also „Auferstehung“? Die Musik gibt uns auf diese Frage jedenfalls keine Antwort, und biographische Erklärungsansätze erscheinen ebenfalls unzulänglich. Ein weiteres Kuriosum ist die hohe Opuszahl der zweiten Symphonie, die der brasilianische Komponist als Op. 160 in seinem Werkkatalog vermerkte, obwohl er zur Zeit ihrer Vollendung wahrscheinlich noch nicht annähernd so viele Werke geschrieben hatte. Dass diese schöne Musik somit auch etwas „geheimnisumwittert“ daherkommt, macht das Hörerlebnis umso spannender. Der gute (jedoch nicht unbedingt konkurrenzlose) Sound der Aufnahmen der vorgestellten CD-Serie dürfte sich unter Sammlern bereits herumgesprochen haben. Wie bei bisher allen Einspielungen hapert es ein wenig am Klang der hohen Streicherlagen, die oft schrill wirken. Dies wird leider auf der vorliegenden Aufnahme durch gelegentliche Unsicherheiten der Violinen des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart in den ganz hohen Registern zusätzlich betont. Der Streicherklang wirkt manchmal fransig, aber auch dies sind Sammler der Villa-Lobos-Edition des RSO Stuttgart schon gewohnt. Nichtsdestotrotz ist die vorliegende CD eine Top Class-Einspielung, von der anzunehmen ist, dass es nur die allerwenigsten Orchester besser hinbekommen hätten. In jedem Fall bleiben die bisher veröffentlichten Tonträger in der cpo-Reihe von Villa-Lobos-Symphonien eindrucksvolle Klangereignisse, die die Frage aufkommen lassen, warum nicht schon mehrere konkurrierende Gesamtaufnahmen dieser fantastischen Musik vorliegen und um die wachsende Anzahl von Villa-Lobos-Fans buhlen. |
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