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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

George Szell dirigiert Blacher, Mozart, Brahms und Strawinsky (1958)
Kölner Radiosinfonie-Orchester - George Szell

(2014)
Guild / Vertrieb: Klassik Center Kassel

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George Szell dirigiert Blacher, Mozart, Brahms und Strawinsky

Live-Ereignis aus der Tonkonserve

von Rainer Aschemeier  •  4. Februar 2014
Katalog-Nr.: GHCD 2404 / EAN: 795754240420

Schon seit einigen Jahren erfreuen sich Liveaufnahmen historischer Konzerte stetig wachsender Beliebtheit. Es gibt sogar Labels, die ausschließlich mit der Ausbeutung von Livemitschnitten aus den Radioarchiven oder auch aus dubioseren Quellen ihr Geld verdienen.

Nun gehört das schweizerische Label Guild nicht unbedingt zu den typischen Reissue-Labels, hat aber mit „Guild Historical“ eben auch eine Reihe mit historischen Liveaufnahmen im Angebot.
In besagter Reihe ist nun ein sehr spannendes Konzert aus dem Jahr 1958 erschienen. Damals hatte der WDR ein Konzert des Kölner Rundfunksinfonieorchesters mitgeschnitten, das niemand Geringeres als der berühmte langjährige Chefdirigent des Cleveland Orchestra George Szell leitete.

George Szell hat diskografisch vor allem mit „seinem“ Cleveland Orchestra zusammengearbeitet, weswegen Aufnahmen, bei denen er andere Orchester leitete, lange Zeit als Raritäten galten. Inzwischen sind jedoch eine ganze Reihe von CDs am Markt, die Szell mit diversen Orchestern präsentieren. Allerdings sind dabei nur selten Aufnahmen, mit einem so interessanten, abwechslungsreichen Programm wie hier, bei denen zumal auch noch die Soundqualität wirklich in Ordnung geht.

Das Konzert auf dieser Guild-CD ist Szell-Fans in Auszügen womöglich bereits bekannt, denn die Brahms-Sinfonie aus dieser Aufnahme (Brahms‘ Zweite) wurde bereits beim Reissue-Label „Archipel“ veröffentlicht. Hier hat man allerdings nicht nur das komplette Konzert mit einem bunten Musikblumenstrauß, bestehend aus Musik von Blacher („Music for Cleveland“ – als Werk für sich auf CD schon eine Rarität), Mozart (Klavierkonzert Nr. 27 KV 595 mit dem berühmten Solisten Robert Casadesus), Brahms (Sinfonie Nr. 2 in einer absolut grandiosen, grazilen und vitalen Darbietung, wie man sie heute wohl mit der Lupe suchen muss) sowie Strawinsky („Feuerwerk“). Hier hat man zudem ein gut geschriebenes Booklet und eine auch ansonsten deutlich ansprechendere Ausstattung, als wir das von dem ausgesprochen nach dem Motto „Low Budget“ arbeitenden Label „Archipel“ her kennen.

George Szell ist hier in seinen „goldenen Jahren“ zu hören – voll auf der Höhe seiner außergewöhnlichen Meisterschaft und mit vollständiger Kontrolle über das – übrigens absolut vorzüglich spielende – Sinfonieorchester aus Köln. Es ist frappierend, wie Szell hier das Kölner Orchester „am Schlafittchen“ packt und den Sound praktisch mal eben auf Cleveland-Verhältnisse umtransformiert. Es ist weiterhin bemerkenswert, wie zackig und punktgenau hier musiziert wird. Während in Deutschland zu dieser Zeit noch der wabernde Furtwängler-Klang oder der damals kometenartig aufstrebende „Schönklang“ des Herrn von Karajan die Szene prägte, haben wir hier mit Szells mustergültiger Interpretation etwa der Brahms‘ Zweiten ein Beispiel dafür, wie es hierzulande auch hätte sein können, wenn man Genies á la Szell, Reiner oder Klemperer nicht (aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen) an die USA verloren hätte.

Zwar klingt Szells Mozart auf dieser CD aus heutiger Sicht genau so überbesetzt und überromantisch, als bei den Kollegen seiner Zunft aus dieser Zeit (woran auch ein absolut fantastischer, geradezu samtpfötig aufspielender Robert Casadesus nichts zu ändern vermag), doch ist Szells‘ Brahms aus heutiger Sicht frappierend modern und zeitgemäß. Hatte Szell doch damals schon ein schlankes, graziles und äußerst agiles Klangideal von Brahms‘ Zweiter, neben der die schwerfälligen Interpretationen anderer Granden dieser Zeit wahrlich blass aussehen.

Mit Boris Blachers „Music for Cleveland“ ist zudem noch eine Rarität auf diesem Album, bei der man dem Kölner Rundfunksinfonieorchester jener Jahre wahrlich ein großes Kompliment machen muss. Diese Musik, die die Kölner kaum gekannt haben können, wird hier von ihnen gespielt, als hätten sie das Stück schon jahrelang im Programm gehabt – absolut makellos! Und das bei einem Stück, das nicht nur als musikalisch „unbequem“, sondern auch als schwierig umsetzbar einzustufen sein dürfte.

Strawinskys „Feuerwerk“ erfährt unter George Szell eine ebenso begeisternde Interpretation, die erstaunlicherweise besonders die modernen Aspekte des Stücks in den Vordergrund stellt, und weniger seine Herkunft aus der russischen Spätromantik. Das hätte man bei einem Dirigenten wie Szell, der als Paradedirigent für romantisches Repertoire gilt, nicht unbedingt erwartet. Auch hier wieder: Großes Kompliment an das Kölner Rundfunksinfonieorchester, das sich hier von seiner allerbesten Seite präsentiert: knackige Streicher, voluminöse, intonationsreine Blechbläser – es ist eine Pracht!

Kommen wir abschließend zum Sound. Diese Aufnahme entstammt einem Privatarchiv, keinem offiziellen Rundfunkarchiv. Dafür klingt sie erfreulich gut. Zwar wirken die Höhen etwas gedeckelt (was auch an der Nachbearbeitung liegen könnte, die leider oft genug der Methode „Holzhammer“ folgt, sprich: Sind die Höhen weg, ist auch das Bandrauschen weg), doch haben wir hier eine klanglich insgesamt runde, ausgewogene und sehr gut hörbare historische Aufnahme, bei der man sich keinen klanglichen Qualen aussetzen muss.

Fazit: Diese CD ist nicht nur für Szell-Aficionados eine geeignete Wahl, sondern kann von jedermann mit Freude gehört werden. Szells Brahms ist nicht weniger als ein Weltereignis – auch heute noch. Alles andere auf dieser CD ist sein Geld ebenfalls wert und offeriert uns ein Fenster in eine Welt, in der zwar beileibe nicht alles besser war, aber in der einfach einige Genies wie George Szell existierten, bei denen man sich fragt, wieso es solche Persönlichkeiten heute nicht mehr gibt. Es lohnt sich ebenso über diese Frage nachzudenken, wie es sich lohnt, die Vermächtnisse der heutigen Orchester- und Dirigierkultur ebenfalls zu schätzen und zu würdigen.

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