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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Giuseppe Tartini und andere Komponisten - "e la Scuola delle Nazioni"
Orchestra Barocco Andrea Palladio - G. Guglielmo

(2014)
tactus / Vertrieb: Naxos

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Giuseppe Tartini und andere Komponisten - "e la Scuola delle Nazioni"

von Rainer Aschemeier  •  31. Januar 2014
Katalog-Nr.: TC 692005 / EAN: 8007194105797

Giuseppe Tartini war zusammen mit Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi der womöglich bedeutendste Komponist des italienischen Spätbarock. Zur Zeit wird er in nie dagewesenem Ausmaß wiederentdeckt, und das ist nur ganz folgerichtig. Denn mit jeder neuen Komposition, die anhand „Tartinischer“ Autographe auftaucht wird klar, was für ein wunderbarer Komponist da jahrzehntelang ignoriert wurde – von Interpreten, vom Publikum, von Plattenfirmen.

Zwar gab es auch früher schon engagierte Einspielungen von Musik des Meisters aus Padua, wie etwa die berühmten Aufnahmen der „I Solisti Veneti“ aus den 1960er- und 1970er-Jahren – die aus heutiger Sicht aber als nicht sehr glücklich bezeichnet werden müssen. Tartini wurde da als schwerfällig pastöse Musikmasse üppig ausromantisiert, sodass man sich heute die Ohren reibt, angesichts dieser damaligen Musizierpraxis.

In den 1990er-Jahren startete das Tartini-Revival aber erst so richtig durch, wobei eine Familie von Virtuosen fast im Alleingang die Rehabilitation dieses großen Komponisten auf den Weg brachte. Es handelte sich dabei um die Familie Guglielmo. Deren Mitglieder Giovanni Guglielmo und Federico Guglielmo sowie ein Mitglied ihres Orchesters „L’Arte dell’Arco, Carlo Lazari, hatten das Mammutprojekt unternommen, die über 130 Violinkonzerte Giuseppe Tartinis einzuspielen. Ein Kraftakt, der erst Ende 2013 abgeschlossen werden konnte – mit der 17. (!) CD in der Reihe der Gesamteinspielung.

Offenbar aber haben die Guglielmos noch immer nicht genug von ihrer Liebe zur Musik Tartinis. Und so legte unlängst Giovanni Guglielmo zusammen mit dem Orchestra Barocca Andrea Palladio eine neue CD vor, die sich der Musik Tartinis widmet. Sie kümmert sich aber auch, und das ist die eigentliche Besonderheit, um die Stücke aus der Feder von Tartinis Schülern, die der Meister aus Padua zu Hunderten hatte und in der 1728 von ihm gegründeten „Scuola delle Nazioni“ um sich scharte.

Es ist eine ganz ungewöhnliche Entwicklung in der Musikgeschichte, dass der Einfluss Vivaldis und Corellis stetig fortlebte und im weiteren Sinne tatsächlich noch bis heute Einfluss auf das solistische Violinspiel ausübt, während derjenige, der mit Abstand die meisten Schüler ausgebildet hatte – nämlich Tartini – heute als praktisch neu zu entdeckender, zwischenzeitlich fast vollkommen in Vergessenheit geratener Meister dasteht, dessen innovative Spiel- und Lehrtechniken auf der Violine erst allmählich zusammen mit der Auswertung seiner Schriften wieder neu ans Licht kommen.

Was also haben die ganzen Tartini-Schüler denn bitteschön die ganze Zeit über getan, wenn nicht ihrem Lehrer nachzueifern?
Da haben wir etwa die Geschichte von André Noël Pagin. Er war ein berühmter französischer Violinvirtuose und einer der letzten Schüler Tartinis. Als die Barockmusik aus der Mode kam und sich der simplere, „galante“ Stil durchzusetzen begann, stellte Pagin auf stur und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Ein wohlhabender Graf rettete ihn vor dem finanziellen Ruin und beherbergte Pagin quasi als seinen Privatmusiker, der nun abgeschottet von der Öffentlichkeit für ein auserlesenes Publikum spielte und komponierte. Der Graf starb, Pagin starb, und praktisch niemand wusste überhaupt davon, dass es aus dieser Liaison Musik zu entdecken gab. Dass wir auf dieser CD mit Pagins ganz entzückender Sonate Op. 1, Nr. 1 ein Stück haben, das sicherlich noch von Tartini beeinflusst wurde, ist eine absolute Rarität.

Sehen wir uns noch einen Kandidaten an: Johann Gottlieb Graun. Graun ist – zusammen mit seinem Bruder Carl Heinrich Graun – noch so einer, der gerade in großem Stil wiederentdeckt wird. Graun studierte nach eigenem Bekunden „etliche Monath“ bei Giuseppe Tartini. Im Gegensatz zu Pagin war er jedoch dem neuen klassischen Stil gegenüber aufgeschlossener und schrieb in Merseburg, Arolsen, Ruppin und Rheinsberg höfische Musik, die mit zum Schönsten gehört, was die Frühklassik zu bieten hat. Als Konzertmeister des Orchesters des Preußenkönigs Friedrich II. hatte er einen verantwortungsvollen Job an einem der mächtigsten Höfe Europas.
Leider hatte er mit seinem Bruder die Praxis entwickelt, sich das Komponieren quasi zu „teilen“. Mal schrieb der eine Bruder unter dem Namen des anderen, mal umgekehrt. Und zu allem Überfluss waren die Grauns eine Zeit lang so populär, dass auch andere Komponisten dazu übergingen, ihre Werke als „echter Graun“ auszugeben. So kam es, dass das einstige Qualitätslabel „Graun“ irgendwann für höchst unsichere Provenienz stand. Ein Todesurteil in einer Klassikszene, die bis heute mehr auf Namen als auf die Musik zu achten scheint.

Neben diesen beiden Beispielen finden sich auf dieser durch und durch spannenden und interessanten CD noch weitere schöne Beispiele: Giulio Meneghini, Ludovico Sirmen, Maddalena Lombardi, Johann Gottlieb Naumann, Pietro Nardini. Sie alle studierten einst bei Giuseppe Tartini. Manche von Ihnen werden heute wiederentdeckt, aber praktisch alle von Ihnen verfielen zwischenzeitlich dem großen musikgeschichtlichen Vergessen anheim. Diese CD erweckt ihre Musik zu neuem Leben. Einfach toll!

Toll vor allem auch deshalb, weil sowohl Interpretation als auch Klangqualität hochklassig sind. Mich begeistert vor allem das Orchestra Barocca Andrea Palladio, das einen erfreulich guten Ensembleklang auf die Beine stellt und die hier versammelten Musikraritäten mit Seele und Spaß an der Sache spielt. Solist Giovanni Guglielmo ist zwar erkennbar nicht vom gleichen solistischen „Kaliber“ wie sein Bruder Federico, doch besitzt auch er einen einfach schönen, wiedererkennbaren Personalstil, mit dem zumindest ich mich jederzeit gut anfreunden kann.

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