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The Listener

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H. Villa-Lobos - "The Guitar Manuscripts: Masterpieces and Lost Works; Vol. 1"
Minas Gerais Philharmonic Orchestra - F. Michetti; A. Bissoli (Gitarre), diverse Instrumental- und Gesangs-Solisten

(2013)
Naxos

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Heitor Villa-Lobos - "The Guitar Manuscripts: Masterpieces and Lost Works; Vol. 1"

Ein Blick ins kreative Schaffenszentrum des zwischen Wahnsinn und Genialität schwankenden Originalgenies Villa-Lobos

von Rainer Aschemeier  •  6. Dezember 2013
Katalog-Nr.: 8.573115 / EAN: 747313311576

Interessant, interessant. Naxos hatte seinen Käufern schon mehrmals Komplettausgaben der Gitarrenmusik des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos angeboten. So etwa in Form des fabelhaften, bis dato als „komplett“ gegoltenen Albums des nordamerikanischen Gitarristen Norbert Kraft, das dieser in den 1990er-Jahren bei Naxos vorgelegt hatte.

Nun aber folgt mit der ambitionierten Reihe „The Guitar Manuscripts“ offenbar ein noch deutlich umfassenderer Ansatz. Hier soll tatsächlich so ziemlich jede Note, jedes Fragment, das Villa-Lobos für Gitarre geschrieben hat, ans Tageslicht befördert werden, was auch einige Weltersteinspielungen zur Folge hat. Auch Arrangements von Villa-Lobos-Stücken, die andere Komponisten für Gitarre gesetzt haben, kommt hierbei zum Einsatz.

Das unterstreicht erneut Naxos‘ Vorreiterrolle bei dem Ansinnen, die über 1000 Kompositionen zählende Musik des Vaters der südamerikanischen Musikmoderne immerhin in Teilen vollständig verbreitet verfügbar zu machen. Es zeugt aber auch von einer gewissen Wahllosigkeit. Beim Blick auf das erste Album in der hiermit gestarteten Serie zeigt sich ein munteres Nebeneinander von Musik für Sologitarre, für Gitarre mit Orchesterbegleitung (in Gestalt des zurecht sehr populären Gitarrenkonzerts) sowie für Gitarre in unterschiedlichen Kammermusikbesetzungen, zuletzt sogar in Begleitung eines vokalisierenden Chors (Motivos Gregos).

Diese bunte Wundertüte ist sehr unterhaltsam, aber eben auch ein wenig beliebig. Ein Konzept, ein eigentliches Programm findet sich hier nicht. Aber Naxos untermauert mit dieser CD erneut, ein Label für Sammler und Komplettisten zu sein. Hier soll wirklich Vollständigkeit erzielt werden, wobei die kompositorische Qualität der Stücke nicht unbedingt immer an erster Stelle steht.

In Sachen Interpretation und Klangtechnik gehört dieses Album übrigens mit zur Speerspitze des Verfügbaren. Solist Andrea Bissoli erweist sich als ein hingebungsvoller Anwalt der qualitativ und stimmungsmäßig stark schwankenden Musik von Heitor Villa-Lobos. Sowohl in seinem Solovortrag, als auch in seiner Rolle als Solist bei dem populären Gitarrenkonzert macht er eine sehr gute Figur, zeigt vor allem einen individuellen und reizvollen Stil, der ihn durchaus als starke eigene Künstlerpersönlichkeit erscheinen lässt.

Das Philharmonische Orchester des fast 20 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaats Minas Gerais ist – ähnlich wie die Kollegen aus dem benachbarten São Paulo – ein beeindruckend qualitätvolles Ensemble mit einem sehr vollmundigen, erwachsenen Klang, der einige Klasse verrät. Auch Bissolis Kammermusik-Partner wissen zu gefallen. Einzig die Riege der Sänger (inklusive des Chors, der hier ebenfalls zum Einsatz kommt) ist leider nur zweite Wahl.

Bleibt abschließend die Frage: Für wen ist dieses Album eigentlich gedacht? Villa-Lobos‘ Gitarrenkonzert gibt es auch in prominenteren, vielleicht auch besseren Darbietungen, ebenso wie seine Sologitarrenmusik. Eine Antwort findet sich in der faszinierenden Fülle, der verblüffenden Vielfalt der Stile und Ideen, die – so qualitativ unterschiedlich sie auch sein mögen – ganz erstaunlicherweise dem kreativen Genie dieses einen Komponisten entsprungen sind, den wir vielleicht nie voll umfänglich erfassen und verstehen werden können. Was dieses Album also widerspiegelt ist nichts Geringeres, als das ganze schöpferische Potenzial des großen Heitor Villa-Lobos mit all seinen genialen und merkwürdigen Einfällen, Marotten, Kurzschlüssen und großen Würfen. Dieses Album ist wie ein Blick ins kreative Schaffenszentrum einer der Schlüsselfiguren der aufkeimenden Musikmoderne des 20. Jahrhunderts.
Sieht man diese CD unter solchen Vorzeichen, ist sie ein wertvoller Beitrag zur Villa-Lobos-Forschung und zur Verbreitung seiner einzigartigen und in all ihrer an qualitativen Schwankungen reichen Diversität nach wie vor absolut fesselnden und begeisternden Musiksprache.

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