The 20th Century Concerto Grosso (2013)
• • • • • The 20th Century Concerto GrossoEine Legende kehrt zurück: Der fast 90-jährige Neville Marriner dirigiert Schulhoff, Krenek und d'Indyvon Rainer Aschemeier • 31. Oktober 2013
Sir Neville Marriner ist nun beinahe 90 Jahre jung und veröffentlicht nicht mehr so häufig Alben wie früher. Marriner und die von ihm gegründete Academy of St. Martin-in-the-Fields sind einst eine der fleißigsten Partnerschaften der internationalen Tonträgerindustrie gewesen. Festgehalten ist diese „Rekordpartnerschaft“ unter anderem in der fabelhaften, in Sysyphusarbeit zusammengestellten Diskographie „Marriner and the Academy – A Record Partnership“ (schön doppeldeutig…). Neville Marriner hat jedoch nicht nur mit der Academy Platten eingespielt – und zwar auf so diversen Labels wie DECCA, EMI, Philips, Collins, ASV, Naxos, chandos, CBS/Sony, capriccio sowie hänssler, sondern er war auch zeitweise Chefdirigent des Minnesota Orchestra (Einspielungen u.a. bei Telarc, EMI, Elektra Nonesuch) und des Radiosinfonieorchesters Stuttgart (Einspielungen u.a. bei capriccio). Etliche Hundert Alben, etliche Hundert Werke hat Marriner dirigiert, von den Anfängen der Barockmusik bis hin zur Neuen Musik und Erstaufführungen (u.a. von Libby Larsen). Trotz dieses geradezu verschwenderisch reichen Outputs findet sich kaum mal eine Produktion, von der man sagen könnte, sie sei nicht gelungen. Ob Mozart oder Strauss, Händel oder Krenek – Marriner hatte irgendwie immer das richtige Klangempfinden. Und er hat mit seiner Academy of St. Martin-in-the-Fields einen ganz ureigenen Klangkosmos kreiert. Der gerühmte und berühmte „Academy-Sound“ ist – wie sich unter anderen Dirigentenpersönlichkeiten wie z.B. Iona Brown und Joshua Bell inzwischen herausgestellt hat – immer auch ein „Marriner-Sound“ gewesen. Nun hat der große alte Mann am Pult endlich wieder ein neues Album eingespielt, und es ist wieder großartig geworden. Vor allem beeindruckt die hervorragende Programmauswahl, angeregt durch die Klaviersolistin Maria Prinz (von der wir ja erst vor ein paar Monaten ein ganz vorzügliches Mozart-Album vorstellen konnten). Da ist also der knapp 90-jährige Marriner und studiert auf seine alten Tage noch einmal drei für ihn vollkommen neue Werke ein. Da kann man nur den Hut ziehen – zumal dann, wenn man das fantastische Ergebnis hört. Welche drei Werke sind das also? Da haben wir zunächst das phänomenale Doppelkonzert von Erwin Schulhoff, das wir schon Anfang dieses Jahres einmal in einer sehr schönen Aufnahme beim gramola-Label rezensiert hatten. Dort erklang es in einer sehr guten Einspielung des English Chamber Orchestra mit Russell Ryan (Klavier) und Ulrike Anton (Flöte) unter der Leitung von David Parry. Es folgt das überraschend melodische Concertino Op. 27 von Ernst Krenek. Es handelt sich hierbei um ein für Kreneks Werkkatalog beinahe untypisch zu nennendes, gut zwanzigminütiges Konzert für Flöte, Violine, Klavier und Orchester. Ich finde, dieses Stück ist eine Entdeckung wohl wert. Hier begeistert vor allem Flötist Karl-Heinz Schütz, der überhaupt auf dem gesamten Album einen vorzüglichen Eindruck hinterlässt. Kein Wunder, denn er ist ja auch Soloflötist der Wiener Philharmoniker – was mehr könnte man sich wünschen? Das abschließende Konzert für Klavier, Flöte, Cello und Streichorchester Op. 89 von Vincent d’Indy ist hingegen ein absolut typisches d’Indy-Werk: neoklassizistisch, etwas über den Dingen schwebend, dann aber doch von Kontrapunktik so stark durchsetzt, das man es schwerlich als „Easy Listening“ bezeichnen könnte. Ein Wort zur eigentlichen „Hauptperson“ dieser Einspielung: Wäre die Pianistin Maria Prinz nicht gewesen, wäre diese CD womöglich gar nicht zustande gekommen. Sie war es, die bei der Plattenfirma angefragt hat, ob eine Kompilation der hier vorgestellten drei Werke von Interesse wäre, sie war es, die den greisen Neville Marriner und seine junggebliebene Academy of St. Martin-in-the-Fields dazugeholt hat. Doch auf dem Album bleibt sie selbst bescheiden im Hintergrund. Weder sind die drei hier vertretenen Stücke dazu angehalten, dem Pianisten dieser Werke goldene Lorbeerkränze einzutragen, noch steht Prinz sonst irgendwie im Vordergrund. Lediglich das Verfassen des vorzüglichen Booklet-Textes hat sie sich selbst zugestanden, und es ist einer der am besten lesbaren, verständlichsten und unterhaltsamsten Booklet-Texte geworden, die ich im laufenden Jahr gelesen habe. Tonmeister Phil Rowlands hat für einen gutklassigen Sound gesorgt, auch wenn ich das bei chandos schon einmal deutlich besser gehört habe. Rowlands ist nicht Couzens… Hifi-Aficionados wissen, was ich meine. Fazit: Ein rundum beglückendes Album mit herrlicher, höchst erkundungswürdiger Musik von einem der nach wie vor besten Kammerorchester, die es auf der Welt gibt mit vorzüglichen Solistinnen und Solisten, und das alles unter der Leitung einer der ultimativen Dirigentenlegenden auf diesem Erdenrund. Ich bin vollauf begeistert! Der etwas irreführende Titel „The 20th Century Concerto Grosso“ ist übrigens eben das: Irreführend. Am besten, man vergisst ihn schnell wieder und hört sich die hier versammelte Musik ohne jegliche Vorprägung an. |
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