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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Das romantische Schweden

von Ulrich Hermann  •  28. Oktober 2013

Volker Tarnow (Texte) & Helga Schönweitz (Fotos)
Das romantische Schweden
Edition Octopus im Verlag Monsenstein und Vannerdat (2013)
Preis (€): 47,80 .-
ISBN: 978-3869918341

Quel livre! –Vilken bok! Welch ein Buch!

Zehn Jahre lang bereisten der Autor, einer der beschlagensten Berliner Musikkritiker, und die gleichfalls ausgezeichnete Fotografin das große Land Schweden von Süden nach Norden, von Ost nach West, um nicht nur Schwedens Natur, sondern auch Schwedens Kultur auf die scheinbar verschollenen Schliche zu kommen. Sie haben ein Buch mit 70 schwedischen Künstlerinnen und Künstlern der romantischen Ära – Malern, Komponisten und natürlich Schriftstellern – von ihren Entdeckungsreisen mitgebracht, wie es ein Solches bisher in unserer Sprache nicht gab.
In einem wunderbaren großen Bogen, in einem Atemzug nehmen sie den Leser an die Hand, um ihm anhand der einzelnen schwedischen Landschaften – von Schonen im Süden bis Lappland im Norden – die entsprechenden Künstler und ihre Wurzeln lebendig werden zu lassen.
Gestatten Sie mir einen autobiografischen Exkurs. Nach einem sehr frühen Lese-Erlebnis, bei dem ein mit Gas gefüllter Luftballon nach abenteuerlichem Flug auf einer schwedischen Schäre niedergeht – fortan wusste ich, was eine Schäre mit Holzhäuschen, Fahnenmast und Tanne ist! –, und natürlich „Nils Holgerssons Reise mit den Wildgänsen“, brachte mich vor allem 1963 als 16-Jähriger die erste Reise nach Norwegen auf die Idee, nach dem Abitur Schwedisch lernen zu wollen. Warum, das war mir selber damals nicht klar, ist doch Norwegen das landschaftlich viel abenteuerlichere, urwüchsigere Land.

Dann setzte ich meinen Plan wirklich um, lernte bei einem hervorragenden Dozenten – Hans Ritte – an der Uni Schwedisch. Auf einer Reise 1969 entdeckte ich in einem Liederbuch zwei Lieder von Carl Michael Bellman in der Übersetzung von Carl Zuckmayer, und dann war es endgültig um mich geschehen: Ich wusste nun, warum ich diese Sprache gelernt hatte.
Über meine Liebe zu Bellman und den sich anschließenden notwendigen Nachdichtungen – sind doch alle (!) bisher vorliegenden Übersetzungen hanebüchene Versuche, Bellmans Einzigartigkeit einigermaßen gerecht zu werden – wurde mir schwedische Kultur, vor allem Literatur und Musik, ein weites, innerlich notwendiges Feld.
Einige Reisen nach Norwegen, Schweden und Finnland schlossen sich an und vertieften diese Liebe.

Doch genug der Worte, die den Hintergrund meiner Begeisterung für dieses wunderbare, weite Türen öffnende Buch verständlich machen sollen: auch für den erfahrenen Erkunder eine immense Bereicherung! Wie es den Autoren gelingt, mit Text und Bild die ganz eigene Spannung dieses Landes und der aus ihr erwachsenen Künstlerinnen und Künstler klar erlebbar werden zu lassen, ohne dass die Fülle des Dargebotenen je langweilig oder langwierig würde, ist bemerkenswert. Atemlos folgte ich den beiden auf ihren Wegen durch die verschiedensten Landschaften, Epochen und Ereignisse.
Schweden liegt ja heute – auch durch die modernen Medien – nicht mehr an der unerschlossenen Peripherie Mitteleuropas wie vielleicht noch im 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Musik – besonders Pop und Jazz – und natürlich auch Literatur – Krimis und deren Verfilmungen, dazu das alljährliche Spektakel des Nobelpreiskomitees – haben Schweden zu einem bekannten und beliebten Land werden lassen, woran natürlich auch ein gewisses Möbelhaus weniger substanziellen, jedoch umso populäreren Anteil hat…
Aber die ganze Entwicklung bis heute, vor allem das romantische Schweden mit all seinen musikalischen, malerischen und literarischen Ausformungen, das war bis dato hierzulande doch ziemlich unbekannt geblieben – abgesehen von einigen Größen wie Selma Lagerlöf, August Strindberg und vielleicht, unter einigen Musikern, Franz Berwald.

Sehr begrüßenswert sind in dieser prächtigen Kompilation zudem die vielen Bilder der besprochenen Maler, neben den Fotos ein Bestandteil des umfangreichen Buches. Und dass in München in der Kunsthalle gerade in den vergangenen Monaten eine hoch interessante Ausstellung mit Gemälden nordischer Künstler von 1860 bis 1920 zu sehen war, verleiht für alle, die es sehen konnten, dem Ganzen gewiss zusätzlichen Reiz, den auch das Fehlen eines der bedeutendsten schwedischen Komponisten der Epoche, nämlich Wilhelm Stenhammar, der in seiner gelehrten Universalität wahrscheinlich keiner Region als mit seinem Schaffen typisch zuzuordnen war, nicht allzu sehr schmälern kann.

Ein paar kritische Anmerkungen:
Bei der Fülle des hier vorgestellten Materials ist es fast selbstverständlich, dass, wie Stenhammar, die eine oder andere Persönlichkeit fehlt. Schade ist, dass Johan Tobias Sergel (1740-1814), sicher einer der herausragenden Maler und Bildhauer des Gustavianischen Zeitalters, nur im Kapitel über Bellman am Rand gestreift wird, dass d e r schwedische Troubadour Evert Axel Taube (1890-1976), vielleicht als Spätgeborener, mit keinem Wort erwähnt wird, dabei heißt es in Schweden allgemein: „Die schwedische Nationalhymne können wir nicht, aber dafür alle Lieder von Evert Taube!“

Außerdem sind die Übersetzungen von Bellman herkömmlich missraten, und es heißt auch nicht ‚Fredmans Gesänge’, sondern ‚Fredmans Lieder’. (Es sind dies die einzigen Gedichte, die Autor Tarnow nicht selbst übersetzt hat, und seine Übersetzungen sind durchgehend vorzüglich!). Das Instrument, das Bellman spielte, und mit dem zusammen er auch auf jenem berühmten – von Gustav III. persönlich in Auftrag gegebenen – Staatsportrait abgebildet ist, ist übrigens auf deutsch eine Cister. Sie ist auch kein Lauteninstrument, sondern eine ganz eigene Instrumenten-Familie, aus dem Mittelalter kommend. Und sie hat einen abgeflachten Boden und doppelt-bezogene Metallsaiten, die sich seltener verstimmen, was die Beliebtheit in Schweden und vor allem in England, aber auch in Deutschland ausmachte. Ein bekannter Cistern-Bauer kam aus Hamburg: Joachim Tielke. Von ihm besaß Bellman – als Erbe seines Großvaters – sogar ein kleines glockenblumenförmiges ‚Citrinchen’.
Dass auch der eine oder andere Maler oder Bildhauer unerwähnt bleibt: Nikolai Abraham Ehrensvärd oder Carl August Ehrensvärd, oder die beiden Per Krafft der Ältere (1724–1793), von dem Bellmans Staatsportrait gemalt wurde und Per Krafft der Jüngere (1777–1863), ist vielleicht schade, aber sehr verständlich, denn selbst dieses wunderbare Buch kann eben nicht jeden und alles zeigen und behandeln.

Nach dem ersten Lesen wird die Lust größer und größer, sich dem Land und seiner umfassenden Kultur immer mehr zu nähern und auf weitere Entdeckungsreisen zu gehen, sei es bildnerisch, musikalisch oder literarisch. Grandios!

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