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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

E. Bloch - Sinfonie in cis-Moll / "Sea Poems"
London Symphony Orchestra - D. Atlas

(2013)
Naxos

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Ernest Bloch - Sinfonie in cis-Moll / "Sea Poems"

Zwei fast unbekannte Hauptwerke Ernest Blochs in Aufnahmen mit dem London Symphony Orchestra

von Rainer Aschemeier  •  10. September 2013
Katalog-Nr.: 8.573241 / EAN: 747313324170

Den schweizerischen Komponisten Ernest Bloch kennt das Konzertpublikum hierzulande vor allem von seinem pathetischen „Cello-Hit“ „Schelomo“, der auf CD-Alben gern mit Max Bruch „Kol Nidrei“ zusammen gekoppelt wird. Das ist musikalische stets eine etwas wilde Mischung, aber eben wegen dieser häufig stattfindenden Kopplung mit Bruch-Musik ist der 1880 geborene Bloch im öffentlichen Bewusstsein als „Romantiker“ fest verankert.
Dabei vergisst man allzu leicht, wie modern und zeitgenössisch Bloch nach seiner Exilation in die USA komponiert hat. Da kann man ihn durchaus als veritablen Expressionisten bezeichnen. Es hat also im Werk Ernest Blochs eine deutlich erkennbare Entwicklung in Richtung Musikmoderne stattgefunden, die man etwa bei Max Bruch mit der Lupe suchen muss (ohne dass ich das nun abwertend meinen würde – Bruch gehört hier bei the-listener.de ja bekanntlich mit zu unseren Lieblingskomponisten).

Doch zurück zu Ernest Bloch. Bloch begann in der Tat als Spätromantiker im Fahrwasser von Richard Strauss, Hans Pfitzner oder Gustav Mahler. Zwar kam Bloch in seiner spätromantischen Zeit nie an deren existenzialistisch klaffende Untiefen heran, doch dürfte die hier in einer schönen Neueinspielung bei Naxos vorliegende Sinfonie in cis-Moll eine Entdeckung für Fans von Strauss oder Schreker sein. Das Frühwerk aus den Jahren 1901/02 ist bislang nur selten eingespielt worden, und bei Naxos findet der Hörer des Albums am Dirigentenpult die derzeit wohl führende Kapazität in der internationalen Bloch-Forschung: Die Dirigentin Dalia Atlas.

Dalia Atlas hat eine bewegte Karriere hinter sich: Bereits nach einem ihrer ersten Probedirigate sollte sie als feste Dirigentin an die New Yorker MET berufen werden. Doch sie lehnte ab, da sie sich um die kulturellen Belange in ihrer israelischen Heimat kümmern wollte, die sie zu Beginn ihrer Karriere als noch im Aufbau befindlich wahrnahm. Sie gründete die „Atlas Camerata“, ein reisendes Orchester ohne festen Sitz, das in ganz Israel die hohen Weihen der klassischen Musik (mit einem Schwerpunkt auf dem reichen jüdischen Erbe derselben) noch selbst bis in die hintersten Kleinstädte transportierte.
Nun, nachdem Madam Atlas ein Alter erreicht hat, in dem sich manch anderer gern zur Ruhe setzt, legt sie erst noch mal so richtig los. Für Naxos setzte sie in den vergangenen Jahren teils hervorragende Einspielungen von Blochs Orchesterwerken um, sodass man als Bloch-Fanatiker bei Naxos am schnellsten, umfassendsten und manchmal auch besten fündig wird, wenn man auf der Suche nach raren Bloch-Orchesterwerken ist.

Zu dieser bereits jetzt beeindruckenden Riege der Bloch-Symphonik gesellt sich nun auch die cis-Moll-Sinfonie dazu, ein Jugendstil-Bolide aus Blochs jungen Jahren. Während im anregend geschriebenen, wenn vielleicht auch etwas (zu) sehr Bloch-bejubelnden Booklet-Text die Dirigentin Dalia Atlas Blochs cis-Moll-Symphonie als das „beste Werk“ dieses Komponisten einstuft, denke ich, dass Blochs beste Jahre zum Zeitpunkt der Komposition erst noch vor ihm lagen. Ähnlich wie die sinfonischen Erstlinge von Schreker, Pfitzner und co. lässt sich der große Meister hier schon erahnen, aber nur selten wird man wirklich den unerwarteten „großen Wurf“ bewundern, wie ihn einst etwa Gustav Mahler vom Stapel gelassen hatte.

Viel spannender, zumal wenn man sich in Erinnerung ruft, welche musikalischen Vorbilder bei dem Werk Pate stehen, ist Blochs musikalische Reflexion über das Meer: „Poems of the Sea“ ist ein rein orchestrales Stück, dem jedoch dieselben Gedichte von Walt Whitman inspiratorisch zugrunde liegen, wie der „Sea Symphony“ von Ralph Vaughan Williams. Blochs Werk erschien zwölf Jahre nach Vaughan Williams‘ Sinfonie, 18 Jahre nach Delius‘ „Sea Drift“, 17 Jahre nach Debussys „La Mer“ und 55 Jahre vor Howard Hansons „Sea Symphony“, in der sich dieser ebenfalls der Whitman’schen Gedichte bedient hatte.
In diesem illustren Kreis der sinfonischen Werke, die sich mit dem Thema „Meer“ befassen, können Blochs „Poems of the Sea“ sehr gut mithalten. Farbig, ungemein bildlich und jederzeit mitreißend bilden sie – strukturell gesehen – eigentlich eine kleine dreisätzige Sinfonie. Insofern könnte man sie auch Blochs „Sea Symphony“ nennen.
Es ist dieses Stück, nicht die cis-Moll-Sinfonie, die das eigentliche Highlight dieses Albums darstellt.

Dalia Atlas steht hier einmal nicht am Pult ihres eigenen Orchesters, der „Atlas Camerata“, sondern darf das traditionsreiche London Symphony Orchestra leiten. Sie macht das sehr routiniert und mit bedächtigen Tempi, was insbesondere bei den „Sea Poems“ manchmal auch negativ auffällt. Allzu bieder wirkt Blochs Musik dadurch manchmal. Dalia Atlas lässt keinen Finger breit Zweifel daran, das Bloch in ihren Augen ein ganz klar spätromantischer Komponist ist. Ob das wirklich so sonnenklar ist, sei dahingestellt. Ich finde Dalia Atlas‘ Lesart der „Sea Poems“ jedenfalls etwas einseitig.
Das London Symphony Orchestra überrascht indes mit einer nur mäßig beeindruckenden Leistung. Sicher, die Holz- und Blechbläser sind Weltklasse, doch die Streicher wirken hier manchmal doch etwas unsicher, stellenweise an der Grenze zum Fransigsein. Auch die Durchhörbarkeit des großen Orchesterapparats ist hier nur suboptimal gelöst, was allerdings entweder dem Komponisten oder der Dirigentin anzulasten ist.

Als Tonmeister kam hier übrigens der große Arne Akselberg zum Einsatz, jener Arne Akselberg, der momentan zu den spannendsten Hifi-Garanten in der Welt der Klassik zählt und für EMI, Da Capo und andere Labels so grandios klingende CD-Alben produziert hat, dass man nur ins Schwärmen geraten kann. Auch hier schnellen die Augenbrauen auf’s Angenehmste nach oben, ob des Klasse-Sounds, den Akselberg hier gezaubert hat. Aber auch in dem erlesenen Kreis großartiger Akselberg-Aufnahmen ist dieses Album nicht unter den Top Ten zu finden. Das besagt aber nichts. Eine mittelmäßige Akselberg-Aufnahme ist besser, als das, was die meisten Majorlabels unter „Toptitel“ klanglich auf die Welt loslassen. In diesem Sinne: Hifi-Fans bitte zugreifen.

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