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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

P. Hindemith - Orchesterwerke (5 CDs)
u.a.: Dresdner Philharmonie - H. Kegel

(2013)
Brilliant Classics / Vertrieb: edel:kultur

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Paul Hindemith - Orchesterwerke (5 CDs)

Eine Jahrhunderteinspielung kehrt zurück - ...mit weitgehend überflüssigem Bonus-Ballast

von Rainer Aschemeier  •  29. Juli 2013
Katalog-Nr.: 9441 / EAN: 5029365944120

Seit dem Sommer 2006 ist es der meistgelesene Artikel unserer website – und er ist es seitdem geblieben: Der biografische Abriss zur Karriere des Ausnahmedirigenten Herbert Kegel. Gern verlinke ich an dieser Stelle noch einmal darauf.

Es ist schon erstaunlich, dass dieser Beitrag bei the-listener.de nachhaltig und andauernd so hohe „Anklickraten“ erreicht, wie kein anderer Artikel auf unserer doch so inhaltsreichen Seite. Selbst bei google war der Eintrag unserer Seite über Jahre ganz weit oben gelistet, wenn man ins google-Suchfeld den Namen „Herbert Kegel“ eingab – inzwischen hat sich das etwas geändert…

Vielleicht zeigt das ganz gut, wie „vergessen“ die Hinterlassenschaft des fantastischen Dirigenten Kegel noch bis in die späten 2000er-Jahre hinein war. Mit dem biografischen Abriss stieß the-listener.de damals in eine echte „Informationslücke“ vor, und bis heute sind Leser in aller Welt (ich erhielt zu dem Beitrag schon E-Mails aus Japan und den USA) dankbar, dass sie immerhin etwas Information über Kegels Werdegang im Internet finden.

Für Liebhaber der Einspielungen Herbert Kegels markierte das Ende der DDR eine Zäsur: Nicht nur ging mit der „Wendezeit“ auch der Freitod Herbert Kegels einher, sondern im Zuge dessen verschwanden auch die meisten seiner Einspielungen zumindest vorerst vom Markt. Im Prinzip waren nur seine herrlichen Beethoven-Einspielungen und seine Referenzinterpretationen von Orff-Werken dauerhaft erhältlich. Beinahe alles andere war irgendwann einmal vergriffen und nicht erhältlich. Heute kann man wieder (fast) alles kaufen, was Herbert Kegel irgendwann einmal für die Schallplatte oder die CD eingespielt hat – und das ist nur gut so!

Als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie dirigierte Kegel in den 1970er- und 1980er-Jahren eine Gesamteinspielung der Sinfonien von Paul Hindemith. Sie gehört zu den wichtigsten Zyklen, ja, zu den wichtigsten Einspielungen überhaupt im Gesamtwerk des herausragenden Dirigenten.
Leider war sie über lange Zeit nur „zerstückelt“ oder teilweise auch überhaupt nicht erhältlich. Dies ändert nun – relativ überraschend, wie ich finde – eine neue Gesamtausgabe dieser wundervollen Interpretationen durch das einst niederländische, inzwischen aber zum deutschen „edel“-Konzern gehörende Label „Brillant Classics“.

Hier sind die – auch in Belangen der Tontechnik – ganz fantastischen Aufnahmen der Dresdner Philharmonie unter Herbert Kegel ebenso vertreten, wie seine insgesamt deutlich weniger überzeugenden 1969er-Einspielungen des „Schwanendreher“-Konzerts sowie der Trauermusik (beides Aufnahmen mit dem in Fachkreisen legendären Bratschisten Davia Binder).
Vertreten sind ebenso die grandiosen Einspielungen der Sinfonien. Sie dirigiert Kegel so, wie man es von ihm kennt: Mit relativ bedächtigen Tempi, skrupulös präzise, extrem durchzeichnend und mit seinem ureigenen Gespür für Musikalität. Herbert Kegel besaß diese ganz individuelle „Handschrift“, diese spezifische Klangvision, die einfach nur er so und in dieser Form umsetzen konnte. Die Hindemith-Sinfonien in seiner Interpretation sind nicht weniger als die Referenzeinspielung schlechthin. Sie vereinigen in sich Musikalität auf höchstem Niveau, eine individuelle interpretatorische Vision eines der wichtigsten Interpreten des musikalischen Expressionismus in Deutschland und gleichzeitig eine Zugänglichkeit und Rezeptionsqualität, wie man sie anderenorts mit der Lupe suchen muss.
Zwar sind in den letzten Jahrzehnten auch andere sehr sehr gute Einspielungen dieser Werke erschienen (allen voran die löbliche Gesamtedition der Hindemith-Orchesterwerke unter Leitung des Weinheimers Werner Andreas Albert mit überwiegend australischen Orchestern beim Label cpo), doch sind die Hindemith-Sinfonien unter Kegel einfach eine Klasse für sich.
Diese spezifische „Klasse“ erklärt sich aus der großen Künstlerpersönlichkeit, der jederzeit unmittelbar klaren, sehr persönlichen und ganz stringent verfolgten Klangvorstellung Herbert Kegels.

Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Die Hindemith-Sinfonien-Edition aus den Händen Herbert Kegels ist ein unbedingtes Highlight der Schallplattengeschichte.

Doch da sind ja auch noch einige „Überraschungen“, die diese neue Box vom Brilliant Classics-Label zudem für uns bereithält: Da wäre etwa eine mir bislang unbekannte Einspielung des Konzerts für Trompete, Fagott und Streichorchester unter Mitwirkung des Startrompeters Ludwig Güttler. Zudem gesellt sich zu vier CDs mit Hindemith-Interpretationen Herbert Kegels noch eine fünfte mit den beim Publikum vergleichsweise populären „Symphonischen Metamorphosen“ in einer Einspielung der Staatskapelle Dresden unter Otmar Suitner sowie eine Aufnahme des Hindemith-Kinderchorwerks „Wir bauen eine Stadt“ mit (von Herbert Kegel geschulten) Rundfunk-(Kinder)-Chören, hier allerdings unter Leitung von Hans Sandig.

Ganz ehrlich gesagt: Man hätte sich bei dieser Box auf die Gesamtaufnahme der Sinfonien beschränken sollen.
Sie ragen hier qualitativ und bedeutungsmäßig so weit heraus, dass alles andere dagegen etwas fahl wirkt. Und, wie bereits angedeutet, gibt es im Rahmen dieser Edition eben auch Aufnahmen, die weniger überzeugen. So ist jedem Herbert-Kegel-Fan (zu denen ich mich unumwunden seit fast 30 Jahren zähle) bekannt, dass sein „Schwanendreher“, sein „Nobilissima Visione“, seine „Trauermusik“ nicht das Referenzniveau der Sinfonie-Einspielungen halten können.

Vielleicht noch etwas ganz zum Schluss: Dies ist keine Gesamteinspielung des gigantischen Hindemith-Orchesterwerks. Hier „fehlt“ Manches, wenn man einen „Komplettheitsanspruch“ mit sich herum trägt. Selbst als Auswahledition erscheint die Box mehr nach dem Motto zu funktionieren: „Wir nehmen einfach alles, was wir haben“, als dass eine Werkauswahl hier mit Sinn und Verstand erfolgt wäre. Auch dies ist ein Grund, um zu der Feststellung zu gelangen: Eine Beschränkung auf „nur“ die Sinfonien in einer handlichen Edition wäre hier besser gewesen.

Trotzdem: Eine alles in allem sehr erfreuliche Box, die zumindest in Teilen als sensationell gut bezeichnet werden muss. Hoffentlich findet sie viele Abnehmer und trägt die großartige Musik Paul Hindemiths, vor allem aber auch die Legende Herbert Kegels wieder in die Welt.

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