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The Listener

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"Delights & Dances"
Chicago Sinfonietta, Harlem Quartet - Mei-Ann Chen

(2013)
Cedille / Vertrieb: Naxos

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"Delights & Dances"

Konzerte für Streichquartett und Orchester

von Rainer Aschemeier  •  21. Juni 2013
Katalog-Nr.: CDR 90000 141 / EAN: 735131914123

„Delights & Dances“ – was mag sich dahinter verbergen? Dazu noch das merkwürdige Retro-Cover…
...könnte alles Mögliche sein.

So oder so ähnlich waren meine ersten Gedanken, als ich diese neue CD der Chicago Sinfonietta und des Harlem Quartet in Händen hielt. Ein erklärender (und in meinen Augen besserer) CD-Titel hätte lauten können: Konzerte für Streichquartett und Orchester. Denn genau darum geht es bei den hier versammelten vier Stücken: Ein Streichquartett trifft auf ein Orchester in Kammerbesetzung. Das erinnert auf den ersten Blick an das barocke „Concerto Grosso“-Prinzip, erweist sich aber auf den zweiten Blick als etwas ganz Anderes.

In allen hier zu hörenden Stücken agiert das Streichquartett-Ensemble als eine Art „Soloinstrument mit erweiterten Möglichkeiten“ und ist demzufolge weniger als Ensemble gefragt, als vielmehr anhand der solistischen Möglichkeiten seiner vier Mitglieder.

Mit dem titelgebenden „Delights & Dances“ aus der Feder des 1962 in Arizona geborenen Komponisten Michael Abels steht das herausragende Highlight gleich am Beginn dieser Novität des US-amerikanischen Cedille-Labels, das zurecht als ziemlich unverbrüchlicher Garant für Qualität gilt.
Abels mischt hier Countrymusic- und Bluegrass-Sounds mit einer Art „Western-Klassik“ im Fahrwasser von Aaron Copland. Er kennt keine Scheu zur unverhohlenen Nähe zur Popularmusik, bleibt dabei aber auch bemerkenswert widerborstig und im positiven Sinne unbequem. Das Ergebnis ist eines der spannendsten Stücke Neuer Musik, die ich in letzter Zeit gehört habe – und schon wieder stammt es aus den US of A.

Leider können sämtliche anderen Stücke auf der CD dieses hervorragende Niveau nicht recht halten. Getrost lässt sich sagen: Die Musik wird umso langatmiger, je länger die CD läuft. Mit dem „Konzert für Streichquartett und Orchester“ des 1924 geborenen Exil-Russen Benjamin Lees folgt aber zunächst ein zumindest noch recht unterhaltsames Stück, dem man eigentlich vor allem eine nicht recht gelungene Orchestrierung vorwerfen kann. Aber es besitzt auch keine rechte Eigenständigkeit. Hier hören wir einen Aufguss von Musik, wie wir sie etwa von William Walton oder entfernt auch vom späten Paul Hindemith kennen. Auch ein wenig Strawinsky schwimmt noch oben auf der Suppe – gewissermaßen als knackiges Crouton. Doch Lees‘ Konzert erschöpft sich im Wesentlichen in der Wiederholung etablierter Muster. Nichtsdestotrotz werden Anhänger genannter Komponisten durchaus reizvolle Ansätze finden, die dem Stück einigen Unterhaltungswert verleihen.

Mit dem „Saibai Dance“ des 1949 geborenen Chinesen An-Lun Huang folgt – laut Booklet-Info – ein „audience favourite“, also ein Lieblingsstück des Publikums. Welches Publikum genau hier gemeint ist, bleibt allerdings offen. Ich persönlich finde das Stück etwas plakativ und nah an der Agit-Prop-Euphorie der einschlägigen chinesischen „Staatssinfonik“ – sicherlich das verzichtbarste (und mit rund vier Minuten Laufzeit auch das kürzeste) Stück auf diesem Album.

Dass die Chicago Sinfonietta auch jede Menge Jazz im Blut hat, beweist sie auf sehr beeindruckende aber auch recht vordergründige Art und Weise beim „West Side Story Concerto“, das man auch als eine Art „West Side Story“-Suite für Streichquartett und Orchester begreifen kann. Die bekanntesten Melodien aus dem prominenten Bernstein-Musical wurden hier von Randall Craig Fleischer für die Besetzung Streichquartett/Orchester gesetzt und etwas lieblos aneinandergepappt. Dazu darf das Orchester mal beherzt „Mambo!“ bölken, mal swingend mit den Fingern schnippen. Klar macht das Laune. Aber Tiefgang hat es nicht. Und das Nullachtfuffzehn-Arrangement des „Konzerts“ hat den faden Beigeschmack einer reinen Auftragsarbeit.

Fazit: Gäbe es die gute alte Langspielplatte noch, könnte man im wörtlichen Sinne sagen, dies ist ein Album mit zwei Seiten. Auf der „A-Seite“ gibt es in Michael Abels‘ „Delights & Dances“ ein herausragendes Stück Neue Musik zu entdecken und mit Benjamin Lees‘ „Concerto“ eine zumindest noch recht interessante Rarität zu hören. Seite B ist dann eher den musikalischen Belanglosigkeiten vorbehalten und wird der „A-Seite“ somit nicht ganz gerecht.

Das alles ist aber kein Vorwurf an die wahrlich vorzüglich aufspielenden Interpreten, also das Harlem Quartet und die absolut fantastische Chicago Sinfonietta unter der betont rhythmisch aufgeladenen Leitung der jungen Chefdirigentin des Orchesters, der chinesischstämmigen Mei-Ann Chen (hier haben wir wohl auch die Erklärung für den zuvor angesprochenen „Saibai Dance“). Auch der Sound ist klasse. Vielleicht etwas „nah“ am Orchester und etwas wenig räumlich, aber ansonsten perfekt.

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