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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

C. Chávez - Klavierkonzert
Orquesta Sinfónica Nacional de México - C. M. Prieto; J. F. Osorio (Klavier)

(2013)
Cedille / Vertrieb: Naxos

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Carlos Chávez - Klavierkonzert

Nach 14 Jahren (!) endlich wieder eine Neueinspielung eines Hauptwerks von einem der wichtigen Komponisten des 20. Jahrhunderts

von Rainer Aschemeier  •  15. Juni 2013
Katalog-Nr.: CDR 90000 140 / EAN: 7351319140240

Wissen Sie, wie lange es her ist, das zum letzten Mal eine Neueinspielung eines Werks von Carlos Chávez auf dem deutschen Markt erschienen ist? Vier Jahre ist das nun her!
Und wissen Sie, wann das letzte Mal der Name Carlos Chávez ein Label dazu bewogen hat, diesem hervorragenden Komponisten (fast) eine ganze CD zu widmen? Halten Sie sich fest: 14 Jahre!

Insofern gleich zu Beginn erst einmal ein großes Lob an das US-amerikanische Cedille-Label aus Chicago, das den Mut gehabt hat, diese CD zu veröffentlichen.
Gleichzeitig muss man sich fragen: Was nur hält die CD-Labels in aller Welt davon ab, mehr Musik von Carlos Chávez zu veröffentlichen? Sicherlich mag sein Publikum heutzutage überschaubar sein, aber es gibt ja auch kaum CDs mit seiner Musik. Wie soll da ein Publikum heranwachsen?

Doch beginnen wir mal von vorn: Carlos Chávez (1899-1978) war für Mexiko das, was Heitor Villa-Lobos für Brasilien war: Ein Nationalkomponist, der es nicht nur schaffte, die Volksmusik seines Landes niveauvoll in seine Musik zu inkorporieren, sondern auch über den südamerikanischen Tellerrand hinaus Bekanntheit zu erlangen. Im Vergleich zu Villa-Lobos ist Chávez musikalischer Zugriff härter und expressiver, nichtsdestotrotz auf einem Niveau, das auch wiederum nicht modernistischer ist, als etwa das Spätwerk von Dmitri Schostakowitsch. Das könnte man einem breiten Publikum eigentlich schon schmackhaft machen.

Chávez zählt zudem zu den Komponisten mit einer unverwechselbaren Musiksprache. Er hat einen ganz individuellen Sound, der am besten wohl in seinen sechs grandiosen Sinfonien zum Ausdruck kommt, die noch bis vor Kurzem in einer tollen Gesamteinspielung des London Symphony Orchestra unter Leitung von Eduardo Mata (erschienen bei VOX) erhältlich waren, derzeit aber scheinbar vergriffen sind.

Ich könnte weiter schwärmen, mich durchaus auch dazu hinreißen lassen, Carlos Chávez zu einem der bislang noch immer wenig entdeckten Genies des 20. Jahrhunderts zu erklären.
Doch lassen wir das doch einfach sein und hören einfach in diese neue CD rein, die uns das selten gehörte Klavierkonzert vorstellt.

Auch dieses Stück ist ein umwerfend effektvoll und spannungsgeladen komponiertes Werk. Wie aus seinen Symphonien bekannt, hören wir die Chávez-typischen Holzperkussionsinstrumente hier so häufig, wie sonst vielleicht nur noch in dem wohl bestem und bekanntestem Werk des Mexikaners, der „Sinfonía India“.
Der einführende Allegro agitato-Satz beansprucht mit einer Spielzeit von etwas mehr als 20 Minuten fast zwei Drittel der Gesamtspielzeit des Konzerts. Es ist ein furioser Auftakt, der Chávez von seiner besten Seite zeigt: Originell, niemals langweilig, immer frisch und spontan, mit reichlich rhythmischen Verwirrspielchen und einem Klavierpart für echte Tastenlöwen. Jorge Federico Osorio erweist sich von Beginn an diesem mächtigen Satz gewachsen und legt einen erfreulich eigenständigen Stil an den Tag. Hier spielt jemand, der technisch voll auf der Höhe ist und dieses Konzert zudem „mit Leib und Seele“ interpretiert.
Zu Beginn des zweiten Satzes überrascht Chávez mit einer Art „Zwiegespräch“ zwischen Harfe und Klavier. Dies auf eine Weise, dass man manchmal nur erahnen kann, welche Klänge gerade vom Piano kommen und welche von der Harfe. Das Englischhorn setzt ein und bildet mit Harfe und Klavier ein merkwürdig düsteres, fast schon unwirklich klingendes Trio. Faszinierend! Welche Klangfarben!
Im dritten Satz geht es noch einmal mit einem deftigen Allegro zur Sache. Während das Klavier in Art einer Toccata wie ein Nähmaschinchen durch den Beginn des dritten Satzes braust, ist das Orchester dazu verdonnert, passgenaue rhythmische Einwürfe der unterschiedlichen Orchestergruppen bereitzustellen.
Spätestens hier merkt man, wie hervorragend auch das Orchester dieser Einspielung zu agieren versteht. Doch wir hatten ja auch schon an anderer Stelle einmal bemerkt, dass das Orquesta Sinfónica Nacional de México ohne mit der Wimper zu zucken jederzeit zu den besten Klangkörpern der Welt gerechnet werden darf.

Da auch der Sound Cedille-typisch gut bis sehr gut ausgefallen ist, haben wir hier endlich – nach 14 Jahren! – wieder ein Hauptwerk aus der Feder des großen Carlos Chávez in einer mustergültigen Einspielung. Perfekt!

Das tolle Konzert wird ergänzt durch drei Stücke für Klavier solo. auch hier geht es los mit einem Werk von Carlos Chávez. Das kurze Stück mit dem Titel „Meditación“ zeigt Chávez in einem früheren Stadium seiner Kompositionstätigkeit – heftig beeinflusst vom französischen Impressionismus.
Soloklavierstücke zweier anderer mexikanischer Komponisten folgen: „Muros Verdes“ von José Pablo Moncayo – ein melancholisch-versonnenes, lupenrein spätromantisches Stück – und die „Variations on an Original Theme“ von Samuel Zyman. Letztere spiegeln die neueste mexikanische Musik wider. Zyman hat seine Variationen erst 2007 fertiggestellt, und ich finde das Stück sehr überzeugend und wirklich bemerkenswert. Zyman scheint eine spannende Stimme im internationalen Musikbabylon zu sein. Von diesem Komponisten würde man gern mehr hören.
Ich finde letzten Endes aber alle drei Stücke – jedes auf seine Weise – sehr interessant, wenngleich sie sicherlich nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass das fabelhafte Klavierkonzert von Carlos Chávez hier ganz zurecht im Mittelpunkt des Interesses bleibt.

Fazit: Ich bin begeistert! Auf solch eine CD habe ich schon lange gewartet. Chávez ist eine grandiose Komponistenpersönlichkeit mit einem hochgradig eigenständigen Werk, das viel viel mehr aufgeführt und gehört werden sollte. In diesem Sinne darf ich abschließend auch noch das informativ geschriebene Booklet loben, das eben diesen Missstand ganz zurecht anprangert.
Diese CD steht dick und fett auf unserer Shortlist zur „CD des Jahres“. So viel steht fest!

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