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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Roy Harris - Symphonien Nr. 3 & 4
Colorado SO - M. Alsop

(2006)
Naxos

• •

Roy Harris - Symphonien Nr. 3 & 4

Colorado Symphony Orchestra & Chorus - Marin Alsop

von Rainer Aschemeier  •  8. September 2006

Roy Harris muss in den USA eine Art musikalischer Nationalheiliger sein. Dies täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass sein recht umfangreiches Oeuvre im Rest der Welt im Prinzip keine Rolle spielt.

Eine Ausnahme hierbei bildet Harris’ dritte Symphonie aus dem Jahr 1938. Leonard Bernstein setzte sich Zeit seines Lebens stark für das einsätzige Stück ein und Sergej Kussewitzkij lobte das Werk nach seiner Uraufführung als „die erste große Symphonie eines Amerikaners“. Letztgenannter Satz sei Kussewitzkij aus musikhistorischer Sicht milde verziehen – selbstverständlich kann Harris’ Dritte (so schön das Werk auch wirklich ist) nicht gegen die vier international bedeutsamen Symphonien von Charles Ives anstinken. Ives’ Symphonien waren 1938 zwar bereits allesamt komponiert, jedoch noch nicht uraufgeführt worden. Somit erklärt sich Kussewitzkijs irreführendes Zitat.

Harris’ Dritte ist ein rundum begeisterndes, von amerikanischer Folk- und Kirchenmusik beeinflusstes Werk, dass Leonard Bernstein mit den Worten lobte: „in jeder Hinsicht reif, schön proportioniert, eloquent, maßvoll und anrührend.“ Alle diese Attribute treffen in der Tat auf Leonard Bernsteins Maßstab setzende Einspielung aus dem Jahr 1987 für die Deutsche Grammophon Gesellschaft zu. Leider ist Marin Alsop – derzeitige Stardirigentin des Naxos Labels – mit ihrem Colorado Symphony Orchestra (einst als Denver Symphony Orchestra bekannt) meilenweit von Bernsteins Verve und Spannungsaufbau entfernt. Mir persönlich erscheint diese Unzulänglichkeit jedoch eher am Orchester als am Dirigat zu liegen. Das würde auch erklären, warum Alsops bisherige Einspielungen mit dem Bournemouth Symphony Orchestra vollends zu überzeugen wussten, während jetzt in Colorado ein plötzlicher Qualitätsverlust zu verzeichnen ist.

Marin Alsop im Gespräch mit Leonard Bernstein am Beginn ihrer Karriere beim Tanglewood Dirigierwettbewerb 1989.

Harris’ vierte Symphonie trägt den Untertitel „Folk Song Symphony“. Zuerst sollte man allerdings festhalten, dass das Stück formell betrachtet gar keine „echte“ Symphonie ist, sondern eine lose Abfolge von Chorsätzen mit Orchesterbegleitung. Um es klar zu formulieren: Harris’ ungewöhnliche Kombination von amerikanischen Folksongs und Gospels, die weitgehend in Originalmelodie vom Chor intoniert und dabei von einer Orchesterbegleitung untermalt werden, die sich offenbar nicht entscheiden kann ob sie nun gern modernistisch oder neoromantisch wäre, wirkt auf europäische Ohren eher befremdlich. Während die Kritikerkollegen von www.classicstoday.com offenbar die Vierte als ihr Lieblingswerk aus dem 13 Symphonien umfassenden Zyklus des Komponisten aus Oklahoma auserkoren haben, wage ich zu bezweifeln, dass diesseits des Atlantiks viel Verständnis für diese mit kitschigem Nationalethos gefärbte „Amerikamusik“ zu erwarten ist.

Immerhin muss auch bei der „Folk Song Symphony“ die uneingeschränkte Meisterschaft des Komponisten in den Punkten Orchestrierung und kluger Effektanbringung festgestellt werden. Leider offenbart auch in der Vierten das Colorado Symphony Orchestra seine Schwächen (nicht jedoch der Colorado Symphony Chorus, der einen ausgezeichneten Eindruck hinterlässt). Durch einen unvorteilhaft dünn aufgenommenen und in bestimmten Frequenzbereichen „gekappt“ wirkenden Sound des Naxos-Labels wird der mediokre Gesamteindruck nur noch betont. Wollte man, da es sich bei der Einspielung um eine Live-Aufnahme handelt, Rauschen und evtl. Publikumsgeräusche herausfiltern und hat dadurch den Raumklang zerstört? Es hat fast den Anschein…

Als Fazit sei folgende kurze Ergänzung erlaubt: Naxos wird alle 13 Symphonien von Roy Harris in loser Folge in den nächsten Jahren einspielen und veröffentlichen – so steht es jedenfalls im Booklet zur hier besprochenen CD. Dieses Projekt ist zu begrüßen, da es sich bei Roy Harris’ Symphonien – wenn man die Vierte vielleicht einmal partiell außen vor lässt – wirklich um Werke eines global bedeutenden Symphonikers handelt. Es wäre jedoch zu überdenken, ob das Colorado Symphony Orchestra diesem Mammutprojekt gewachsen ist. Mit den fabelhaften Einspielungen der siebten und neunten Symphonien von Harris hat Naxos bewiesen, dass es ein Orchester gibt, dass es offenbar besser kann: das Ukrainische Nationalsymphonieorchester unter der Leitung des stets makellosen Theodore Kuchar. Es bleibt demnach zu hoffen, dass demnächst weitere amerikanische Symphonien auf hohem Niveau in der Ukraine aufgenommen werden, als sie einfach irgendwelchen amerikanischen Provinzorchestern zum Fraß vorzuwerfen.

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