W. Rihm - 11. Streichquartett, interscriptum, grave (2013)
• • • • • Wolfgang Rihm - 11. Streichquartett, interscriptum, graveDrei Gesichter des unberechenbaren Wolfgang Rihmvon Rainer Aschemeier • 28. April 2013
Wolfgang Rihms Unberechenbarkeit ist bekannt: Mal erklärt er, das Streichquartett sei heutzutage eigentlich gar keine Werkgattung, sondern nurmehr eine Besetzung. Dann wieder schreibt er ein Streichquartett nach allen klassischen formalen Regeln der Kunst, sodass es geradezu dazu auffordert, als Reflexion und Beschäftigung mit dem Gattungsbegriff aufgefasst zu werden. Vorliegende neue wergo-CD zeigt anhand von drei ausgewählten Stücken für Streichquartett die ganze Vielschichtigkeit von Rihms Werk für Streichquartett. Mit dem 11. Streichquartett, dessen Entstehungsgeschichte sich von 1998 bis 2010 erstreckt (weswegen es erst nach Rihms 12. Streichquartett fertiggestellt wurde), steht ein Hauptwerk aus Rihms umfangreichem Streichquartettœuvre im Zentrum dieser CD. Es ist dies so ein typisches Rihm-Werk, das sich gleichzeitig mit der musikalischen Vergangenheit zu verbrüdern und mit ihr zu brechen scheint. Mit „Interscriptum“, bemerkenswerterweise bezeichnet als „Duo für Streichquartett und Klavier“, hören wir die andere Seite des Komponisten. Hier spricht der Avantgardist, der von Beginn an gar nicht die Absicht hat, sich mit irgendwelchen formellen Problemen herumzuschlagen – zumindest nicht, was einen etwaigen Gattungsbegriff angeht. Obwohl, so ganz stimmt das auch nicht. Rihm hätte dieses Stück schließlich auch einfach „Klavierquintett“ nennen können. Aber das ist es eben nicht. Das Streichquartett wird hier als musikalische Einheit betrachtet, als volltönendes „Gesamtinstrument“, wenn man so will. Es gibt in diesem Stück keine Solostreicher. Es gibt die Quartettbesetzung (kompakt) und das Klavier als Counterpart. Insofern ist es in der Tat ein Duo. Und auch das trifft es wieder nicht ganz, denn Rihm lässt dieses Duo wieder nicht miteinander musizieren, sondern organisiert eine zum Teil sprachähnliche Auseinandersetzung – man könnte wohl sagen, ein Streitgespräch zwischen beiden musikalischen Lagern. Bei „grave in memoriam thomas kakuska“ ist allein schon die Titelgebung des Stücks bemerkenswert. Sie kann nämlich doppeldeutig gelesen werden: Einmal als die englische Entsprechung für „Grab“, zum anderen als die klassische Tempobezeichnung „grave“, die einen langsamen, schweren Vortrag zum Ziel hat. Dass dieser Zusammenhang im ansonsten informativ und gut geschriebenen Booklet-Text keine Berücksichtigung findet (obwohl er doch für ungeübte Hörer vielleicht nicht ganz so offensichtlich ist), ist mehr als unverständlich. Das Booklet spricht in Bezug auf dieses Stück von „tonsymbolischer Ohren- und Augenmusik in bester Barocktradition“. Da wäre der Hinweis auf die „grave“ als Tempomaß, das in der Barockmusik entscheidend geprägt wurde, meines Erachtens ein Muss gewesen. Mithin sind wir bei den Interpreten angelangt. Es spielt auf dieser CD das Kölner Minguet-Quartett. Für col legno hat es bereits eine ganze Reihe von Rihms Streichquartetten eingespielt und gilt zurecht als das führende Ensemble für dieses Repertoire. Auch auf dieser neuen wergo-CD gibt sich das Minguet Quartett keine Blöße. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man diese Musik besser spielen könnte, als wir es hier hören. Besonders schön ist der tief-mitten-präsente Ton des Quartetts, der wunderbar zu Rihms vollmundiger Musik passt. Der Aufnahmeklang wurde vom Deutschlandfunk qualitätvoll, wenngleich auch vielleicht ein wenig routiniert eingefangen. Trotzdem dürfte sich auch in diesem Punkt so schnell nichts Besseres finden lassen. Fazit: Empfehlung! |
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