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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

W. Rihm - 11. Streichquartett, interscriptum, grave
Minguet Quartett / Markus Bellheim (Klavier)

(2013)
wergo / Vertrieb: note 1

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Wolfgang Rihm - 11. Streichquartett, interscriptum, grave

Drei Gesichter des unberechenbaren Wolfgang Rihm

von Rainer Aschemeier  •  28. April 2013
Katalog-Nr.: WER 6756 2 / EAN: 4010228675627

Wolfgang Rihms Unberechenbarkeit ist bekannt: Mal erklärt er, das Streichquartett sei heutzutage eigentlich gar keine Werkgattung, sondern nurmehr eine Besetzung. Dann wieder schreibt er ein Streichquartett nach allen klassischen formalen Regeln der Kunst, sodass es geradezu dazu auffordert, als Reflexion und Beschäftigung mit dem Gattungsbegriff aufgefasst zu werden.

Vorliegende neue wergo-CD zeigt anhand von drei ausgewählten Stücken für Streichquartett die ganze Vielschichtigkeit von Rihms Werk für Streichquartett. Mit dem 11. Streichquartett, dessen Entstehungsgeschichte sich von 1998 bis 2010 erstreckt (weswegen es erst nach Rihms 12. Streichquartett fertiggestellt wurde), steht ein Hauptwerk aus Rihms umfangreichem Streichquartettœuvre im Zentrum dieser CD. Es ist dies so ein typisches Rihm-Werk, das sich gleichzeitig mit der musikalischen Vergangenheit zu verbrüdern und mit ihr zu brechen scheint.
Rihm gibt sich nur scheinbar formbewusst. Wir hören einen Komponisten im Ringkampf mit der romantischen Quartetttradition, einen, der vom 21. Jahrhundert aus die – sagen wir mal – Brahms’sche Streichquartettausprägung auf den Prüfstand zur Zerreißprobe stellt. Rihm selbst beschwört in diesem Werk übrigens Paralellen zu Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ herauf.
Das Stück ist ein von inneren Konflikten geprägtes Kammermusikwerk, das wie in Form gepresst erscheint. Es klingt, als wolle das Streichquartett (die Besetzung) das Streichquartett (die Form) sprengen, als würde es immer wieder musikalische „Putschversuche“ unternehmen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Dass dabei ein in sich geschlossenes, homogenes Werk entstanden ist, kann man eigentlich nur bewundern, zumal das 11. Streichquartett auch eine sehr wechselvolle Entstehungsgeschichte hinter sich hat, in der musikalisches Material von anderen Werken Rihms (auch das ganz typisch für diesen Komponisten) in das Streichquartett inkorporiert wurde.

Mit „Interscriptum“, bemerkenswerterweise bezeichnet als „Duo für Streichquartett und Klavier“, hören wir die andere Seite des Komponisten. Hier spricht der Avantgardist, der von Beginn an gar nicht die Absicht hat, sich mit irgendwelchen formellen Problemen herumzuschlagen – zumindest nicht, was einen etwaigen Gattungsbegriff angeht. Obwohl, so ganz stimmt das auch nicht. Rihm hätte dieses Stück schließlich auch einfach „Klavierquintett“ nennen können. Aber das ist es eben nicht. Das Streichquartett wird hier als musikalische Einheit betrachtet, als volltönendes „Gesamtinstrument“, wenn man so will. Es gibt in diesem Stück keine Solostreicher. Es gibt die Quartettbesetzung (kompakt) und das Klavier als Counterpart. Insofern ist es in der Tat ein Duo. Und auch das trifft es wieder nicht ganz, denn Rihm lässt dieses Duo wieder nicht miteinander musizieren, sondern organisiert eine zum Teil sprachähnliche Auseinandersetzung – man könnte wohl sagen, ein Streitgespräch zwischen beiden musikalischen Lagern.

Bei „grave in memoriam thomas kakuska“ ist allein schon die Titelgebung des Stücks bemerkenswert. Sie kann nämlich doppeldeutig gelesen werden: Einmal als die englische Entsprechung für „Grab“, zum anderen als die klassische Tempobezeichnung „grave“, die einen langsamen, schweren Vortrag zum Ziel hat. Dass dieser Zusammenhang im ansonsten informativ und gut geschriebenen Booklet-Text keine Berücksichtigung findet (obwohl er doch für ungeübte Hörer vielleicht nicht ganz so offensichtlich ist), ist mehr als unverständlich. Das Booklet spricht in Bezug auf dieses Stück von „tonsymbolischer Ohren- und Augenmusik in bester Barocktradition“. Da wäre der Hinweis auf die „grave“ als Tempomaß, das in der Barockmusik entscheidend geprägt wurde, meines Erachtens ein Muss gewesen.
Thomas Kauska, der im Titel des Stücks erwähnt wird, war übrigens der langjährige Bratschist des Alban Berg Quartetts, dem „grave“ gewidmet ist und das dieses Stück auch uraufgeführt hat.

Mithin sind wir bei den Interpreten angelangt. Es spielt auf dieser CD das Kölner Minguet-Quartett. Für col legno hat es bereits eine ganze Reihe von Rihms Streichquartetten eingespielt und gilt zurecht als das führende Ensemble für dieses Repertoire. Auch auf dieser neuen wergo-CD gibt sich das Minguet Quartett keine Blöße. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man diese Musik besser spielen könnte, als wir es hier hören. Besonders schön ist der tief-mitten-präsente Ton des Quartetts, der wunderbar zu Rihms vollmundiger Musik passt. Der Aufnahmeklang wurde vom Deutschlandfunk qualitätvoll, wenngleich auch vielleicht ein wenig routiniert eingefangen. Trotzdem dürfte sich auch in diesem Punkt so schnell nichts Besseres finden lassen. Fazit: Empfehlung!

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