J. Cage - Electronic Music For Piano (2013)
• • • John Cage - Electronic Music For PianoDer bisherige HiFi-Tipp des Jahres, doch mit nur vordergründig beeindruckender Interpretationvon Rainer Aschemeier • 3. April 2013
Auf dem italienischen Stradivarius-Label erschien im März noch eine „Nachzügler“-Veröffentlichung zum letztjährigen 100. Gebirtstag von John Cage. Beinahe jeder, der sich für die Musik John Cages interessiert, dürfte dessen „Music for Piano 4-84“ kennen. An dieser Stelle hatte ich letztes Jahr auch eine der zahlreichen erhältlichen Einspielungen dieser Stücke rezensiert, die als Klassiker der avantgardistischen Moderne gelten. Weitaus weniger bekannt ist, dass sich John Cage auch eine elektronisch modifizierte Fassung dieses Klaviermusikzyklus ausgedacht hat. In der Tat besteht die „Komposition“ – sofern man das so nennen kann – lediglich aus einer ziemlich kryptischen und in krakeliger Handschrift auf einen Briefbogen eines schwedischen Hotels gekritzelten Spielanweisung (s. CD-Cover). Die italienischen Künstler Ciro Longobardi (als Pianist ein Schüler u. a. von Alexander Longquich und Bernhard Wambach, als Kammermusiker Schüler von u. a. Maurice Bourgue) sowie Agostino Di Scipio (ein Künstler aus dem Bereich der elektronischen Neuen Musik) haben nun das Unmögliche versucht: Sie wollten die „Electronic Music For Piano“ tatsächlich in die Realität umsetzen und aufführbar machen. Wie so oft bei der Musik John Cages ergeben sich die zentralen Probleme dabei vor allem dadurch, dass Cage seinen Interpreten fast alle Freiheiten lässt, gleichzeitig aber danach verlangt, dass man bitteschön nicht strukturlos an die Sache herangehen möge. Dabei ist Ihnen einerseits ein hoch beeindruckendes Tondokument gelungen, das man als Cage-Fan unbedingt gehört haben sollte. Andererseits haben es die Musiker meines Erachtens übersehen, dass die Widersprüchlichkeit der Cage’schen Vorgaben nicht dazu da ist, um sich endlose Strukturierungs- und aufführungspraktische Gedanken zu machen. Sie ist vielmehr auch ein gutes Stück weit als blanke Ironie zu verstehen, als Entlarvung dessen, was der Mensch selbst ist: Ein ambivalentes, höchst widersprüchliches und gewissermaßen jederzeit am Rande der Umsetzungsmöglichkeiten seiner eigenen Existenz entlangbalancierendes Wesen. Unter diesem Gesichtspunkt wirkt die immense Mühe, die sich beide Künstler mit dieser Einspielung gemacht haben, durchaus übertrieben, gar ein wenig kontraproduktiv, was die Cage’sche Idee angeht. Nichtsdestotrotz ist diese neue Stradivarius-CD sehr beeindruckend und sollte nicht zuletzt auch von HiFi-Fans angetestet werden. Durch die elektronisch modulierten Obertöne und Feedbacks spielt sich insbesondere in der zweiten „Abteilung“, die die Künstler hier arrangiert haben, sehr sehr viel im höchsten Frequenzspektrum und somit an der Grenze der Wiedergabemöglichkeiten ab. Ich habe diese CD auf mehreren Anlagen gehört und dabei festgestellt, dass manche Lautsprecher (nämlich solche, mit Hochtönern, die nur einen geringen Wirkungsgrad aufweisen) Vieles, was auf dieser CD eigentlich zu hören wäre, gar nicht wiedergeben können. Erst auf einer hochwertigen Anlage entfaltet diese CD ihre volle klangliche Pracht. Fazit: Eine spannende HiFi-Empfehlung in erster Linie. Die Interpretation würde ich als zwar gelungen, aber vielleicht etwas zu konstruiert bezeichnen. |
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