Les Ballets Russes, Vol. 9 (2013)
• • • • Les Ballets Russes, Vol. 9Die bislang womöglich spannendste Folge in der löblichen hänssler-Reihe mit Ballettmusik der legendären Tanztruppe um Sergej Diaghilewvon Rainer Aschemeier • 1. März 2013
Bei hänssler Classics liegt nunmehr bereits die neunte Folge aus der schönen und sehr interessanten Reihe mit Musik der „Ballets Russes“ vor, also jener Truppe, die unter Leitung des legendären Impresarios Sergej Diaghilew zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Bühnen von Paris mit ihrer Kunst fest im Griff hatte. Ich gestehe gern, dass ich vor dem Hören dieser CD alle drei Stücke nicht kannte. Und nach meinen Recherchen ist der hier bei hänssler veröffentliche Silberling auch für alle drei Stücke die derzeit einzige erhältliche Einspielung. Unter den Blinden ist der Einäugige König, und so beginnt diese CD mit dem Stück, das man (in Anbetracht dessen, dass alle Werke auf diesem Album hochgradige Raritäten sind) noch halbwegs als das „bekannteste“ einstufen kann: „Le train bleu“ aus der Feder von Darius Milhaud. Es bietet unerwarteterweise ziemlich konservative Musik, bei der ich auch keineswegs überrascht gewesen wäre, wenn mir jemand erzählt hätte, sie würde zum Beispiel von Camille Saint-Saëns oder Théodore Dubois stammen. Tut sie aber nicht – und das ist schon recht erstaunlich. Mir persönlich ist kein anderes Stück von Darius Milhaud bekannt, dass derart konservativ und spätromantisch gestrickt ist. Sicher: Auch hier lugt die für Milhaud typische Nähe zur Unterhaltungsmusik jener Zeit durch manche Ritze (wenngleich sie eher in Richtung Operette und Salon lugt und weniger in Richtung Chanson- oder Jazzbar), und auch eine gewisse Nähe zum Neoklassizismus ist erkennbar. Insgesamt betrachtet dürfte „Le train bleu“ aber zu den ungewöhnlich „braven“ Stücken des sonst durchaus um keine musikalische Provokation verlegenen Darius Milhaud zählen. Es folgt das aus meiner Sicht reizvollste Stück des Albums, nämlich das aus Musik von Scarlatti zusammengestellte (und natürlich im Sinne des Neoklassizismus üppig überarbeitete) „Les femmes de bonne humeur“ von Vincenzo Tommasini. Tommasini ist noch einer aus dieser 1880er-Generation, der auch Respighi, Malipiero, Pizzetti und Casella angehörten, und die heute kaum noch jemand genügend wertschätzt. Umso erfreulicher ist es, dass wir hier das Stück endlich auf CD hören können, das als der direkte Vorläufer zu Strawinskys Meisterwerk „Pulcinella“ betrachtet werden kann. Mit Henri Sauguets „La chatte“ liegt abschließend noch ein eher konventionelles, romantisches Stück vor, das eher in der Reihe der traditionellen Ballettmusiken des 19. Jahrhunderts zu stehen scheint. Hört man aber genauer hin, ist die Orchestrierung des musikalischen Materials auch hier nicht frei von Einflüssen aus Chanson und Salonmusik. Insofern ist auch dieses Stück von einigem musikhistorischen Interesse – auch wenn es kompositorisch einfach nicht in derselben Liga zu spielen vermag, wie das Stück aus der Feder Milhauds. Auch ist es nicht so entzückend, wie das Tommasini-/Scarlatti-Ballett. Alles in allem liegt mit dieser CD jedoch die sicherlich bislang spannendste Folge der „Ballets Russes“-Reihe von hänssler classics vor. Und sie ist – wie schon ihre Vorgängerveröffentlichungen innerhalb der Serie – sehr gut eingespielt. Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (wir erinnern uns: Das Orchester, das keine Bindestriche zu kennen scheint) liefert unter der Leitung des Gastdirigenten Robert Reimer eine hervorragende Einspielung ab. Da bei dieser hänssler-Aufnahme auch der Klang stimmt, kann man diese CD vorbehaltlos empfehlen. Zwar sind die hier enthaltenen Stücke kompositorisch nicht allererste Sahne, aber sie stellen einen sehr kurzweiligen und hoch interessanten Einblick in die Musikgeschichte dar, den insbesondere am Neoklassizismus interessierte Hörer keinesfalls versäumen sollten. |
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