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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

S. ten Holt - Solo Piano Music Vol. I-V
Jeroen van Veen

(2013)
Brilliant Classics / Vertrieb: edel:kultur

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Simeon ten Holt - "Canto Ostinato", "Soloduiveldans" I-IV, "Natalon in E", "Aforisme II", "Eadem Sed Aliter"

Die niederländische Antwort auf den musikalischen "Minimalismus"

von Rainer Aschemeier  •  23. Februar 2013
Katalog-Nr.: 9434 / EAN: 5029365943420

Fragte man Menschen nach den Hauptexportartikeln der Niederlande, wären die beliebtesten Antworten wohl Käse, Eierlikör sowie diverse süße Snacks, wie etwa Poffertjes, Stropwafels, usw. Am Ende käme vielleicht sogar noch jemand auf die Idee, niederländisches Bier trinken zu wollen.
Eins ist jedoch sicher: Musik zählt nur in Ausnahmefällen mal zu den Exportschlagern aus unserem Nachbarland, und wenn, dann beschränkt es sich zumeist auf den Pop- und Rockbereich, wo Künstler wie Golden Earring, Herman van Veen und ein paar andere zumindest zeitweise auch über die niederländischen Landesgrenzen hinaus große Erfolge feiern konnten.

Was oft übersehen wird, ist das musikalische Werk von Simeon ten Holt. Er, der noch bei Arthur Honegger und Darius Milhaud, also den großen Namen der Gruppe „Les Six“ studiert hatte, entwickelte sich nach einem Beginn im Fahrwasser einer Art „Spätexpressionismus“ hin zu einem der bedeutenden musikalischen Minimalisten – und wenn ich sage „bedeutend“, so meine ich das in diesem Fall durchaus weltweit.
Mit seinem Stück „Canto Ostinato“ aus dem Jahr 1979 traf er seinerzeit einen Zeitgeist, der auf der anderen Seite des Atlantiks von Komponistenpersönlichkeiten wie etwa Philip Glass oder Steve Reich geprägt wurde.
Simeon ten Holt profitierte mit ziemlicher Sicherheit vom Minimalismus als Modeströmung der 1980er-Jahre, aber der Erfolg von Glass und Reich überrollte Europa derartig, dass es kaum reichte, um auch seine Werke adäquat „zu Wort“ kommen zu lassen (wie wir sehen werden, hat ten Holts Musik viel mit Sprache zu tun).
Dabei ist ten Holt im direkten Vergleich mit den minimalistischen US-Amerikanern womöglich noch etwas interessanter als diese, was sich sowohl auf die melodische Erfindung bezieht, die sich bei ten Holt weniger von den klassischen Traditionen entfernt, als bei den US-Granden, als auch auf den „Minimalismus“ an sich, den ten Holt häufig noch weit extremer betrieben hat, als Reich oder Glass.

„Canto Ostinato“ von Simeon ten Holt gehört heute zu den weltweit am meisten aufgeführten Werken des musikalischen Minimalismus und kann auf derzeit nicht weniger als zwölf verschiedenen, aktuell erhältlichen CD-Einspielungen nachgehört werden.
Komponist und Pianist Jeroen van Veen, der vor einigen Jahren bereits zusammen mit anderen niederländischen Künstlern eine Box mit ten Holts Ensemblemusik bei Brilliant Classics realisiert hatte, veröffentlicht nun ein neues CD-Set, das sich diesmal ausschließlich der Soloklaviermusik ten Holts widmet.
Auch hier findet sich wieder der berühmte „Canto Ostinato“ in einer Fassung für Soloklavier und noch viele weitere Stücke, von denen „Soloduiveldans“ (Solo Devil’s Dance) in seinen vier Inkarnationen wohl am bekanntesten sein dürfte. Der Zyklus dieser vier Stücke erstreckt sich über drei CDs, eine weitere CD enthält, wie gesagt, den rund achtzigminütigen „Canto Ostinato“. Stücke wie „Natalon in E“, „Aforisme II“ und „Eadem Sed Aliter“ sind hingegen kaum bekannt und stellen höchst interessante Entdeckungen dar.

Ten Holts Musik als Solche ist prädestiniert für die im Zusammenhang mit musikalischem Minimalismus viel gehörte Pauschalisierung: „Da passiert ja gar nichts!“ Gleichzeitig offenbart sie, wie fehlerhaft dieses Pauschalurteil ist. Wer nämlich konzentriert hinhört, merkt, wie unglaublich viel in dieser Musik stattfindet. Nur findet es auf anderen Ebenen statt, als wir es üblicherweise gewohnt sind. Es ändert sich eben nur wenig im melodischen und dynamischen Gefüge. Hingegen passiert sehr viel im Bereich von Anschlag, kompositorischer Syntax und Rhythmik. Ten Holts Musik erinnert stets an Gespräche, an Sprache an sich: Mal wirkt sie wie aufgeregt durcheinanderbrabbelnde Stimmen („Soloduiveldans II“, Section 1), mal wie intensive Gespräche zwischen zwei Individuen („Natalon in E“). Änderungen finden hier viele, beinahe unzählige statt, jedoch auf engstem Raum. Mal wird eine einzige, vor Sekunden noch legato gespielte Note zum stakkato, mal ändert sich die Tonhöhe eines einzelnen Tones, nur um wenige Augenblicke später wieder auf seine ursprüngliche Tonhöhe zurückzufallen.

Ich gebe gerne zu, dass ich ten Holts Musik zutiefst faszinierend finde. Wer hier eine fehlende „Poetik“ beklagt oder bemängelt, dass hier keine kompositorische Entwicklung stattfinden würde, hat nichts verstanden. Es ist nicht fair, Musik wie die von ten Holt mit anders arbeitenden Komponisten und schon gar nicht mit den „Klassikern“ in einen Topf zu werfen – allein deswegen schon nicht, weil ten Holt mit seiner Musik ganz andere Ziele verfolgte. Seine Musik war stets Prinzip. Und wer das nicht gut findet, muss streng genommen auch bildende Künstler und Architekten ablehnen, die sehr prinzipienbasiert arbeiten.

Die vorliegende Brilliant Classics-Edition weist in Jeroen van Veen jedenfalls den denkbar besten Interpreten für diese Musik auf und kommt in einer sehr sehr ansprechenden klanglichen Gestaltung daher, die ein wunderbar klingendes Klavier in einem akustisch und hallmäßig vorbildlich „ausgeleuchteten“ Raum präsentiert. So sollten Klavieraufnahmen ruhig öfters klingen! Hier kann sich manch anderes Label eine Scheibe abschneiden.

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