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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

L. v. Beethoven - Sinfonien Nr. 1-9
The Netherlands Symphony Orchestra - Jan Willem de Vriend

(2012)
Challenge Classics / (Vertrieb ab 2013: codaex)

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Ludwig van Beethoven - Sinfonien (Gesamteinspielung auf 6 SACDs)

Sensationelle neue Beethoven-Box, die zur bisherigen Interpretationselite gezählt werden darf

von Rainer Aschemeier  •  19. Dezember 2012
Katalog-Nr.: CC72550 / EAN: 608917255027

Spätestens seitdem ich für die Zeitschrift „crescendo“ die Ehre hatte, ein Porträt über den niederländischen Dirigenten Jan Willem de Vriend verfassen zu dürfen, habe ich mich wohl als Fan desselben geoutet.
Im Falle von de Vriends Interpretationen, das muss ich tatsächlich eingestehen, schmelze ich förmlich dahin.
Seine Einspielungen der Beethoven-Sinfonien sind in diesem Jahr in einer Box zusammengefasst erschienen. Sie zeigen, dass auch die gefühlt tausendste Gesamteinspielung dieser wohl am öftesten zyklisch eingespielten Werke der Musikgeschichte noch immer neue Erkenntnisse bringen kann.

Der Clou bei Jan Willem de Vriends Gesamtaufnahme ist vor allem die äußerst differenzierte Behandlung der umstrittenen Tempi der Beethoven-Sinfonien. Diese haben sich in den letzten Jahren scheinbar zu so einer Art „Rennstrecke“ für Dirigenten entwickelt, die in einem Wettbewerb darum zu stehen scheinen, wer von ihnen den schnellsten Beethoven dirigiert.
De Vriend bricht wohltuend aus diesem hirnrissigen Trend aus. Hört man seine Einspielungen, zum Beispiel der siebten oder der dritten Sinfonie, hat man von Beginn an das Gefühl, dass hier jeder Satz, ja, selbst jeder Teilaspekt jedes Satzes mit einem ungemein feinfühligen Gespür für Tempo und Dynamik ausdifferenziert wurde.
Dabei kommt es de Vriend zugute, dass er zum einen seine Karriere als Spezialist für Alte Musik begonnen hat und als langjähriger Leiter des „Combatimento Consort Amsterdam“ geübt ist in Dingen historischer Aufführungspraxis.
Zum anderen ist er auch ein nimmermüder Musikwissenschaftler und scheut sich nicht, selbst tief in Originalquellen und Handschriften einzusteigen. Er hat in Sachen Beethoven Literatur und Orignaldokumente gesichtet und ausgewertet, die bislang kaum jemand anderem zur Verfügung standen.

Das vorzügliche Netherlands Symphony Orchestra aus Enschede (früher bekannt unter dem Namen „Orkest van het Oost“) ist ihm bei seiner revolutionären Beethoven-Deutung ein kongenialer Partner. Dieses großartige Orchester wäre für jede Stadt in jedem Land ein Geschenk, ein Aushängeschild, ein Vorzeigeprojekt herausragenden Ausmaßes. In den Niederlanden hat de Vriends Ensemble jedoch mit einer drohenden Orchester-Fusion zu kämpfen.
Man mag es kaum glauben, wenn man diese fantastischen Beethoven-Aufnahmen hört, dass Kulturpolitiker es nicht begreifen können, dass hier das Wort „Ensemble“ eben nicht nur bedeutet, dass irgendwie zufällig gerade 60, 70 Musiker zusammen auf einer Bühne versammelt sind, um gerade mal schnell eine Beethoven-Sinfonie aufzuführen. In diesem Fall ist das Orchester noch eine Einheit, das zusammen mit seinem Dirigenten eine verschworene Gemeinschaft zu bilden scheint, wo der Orchesterleiter um jede Stärke, jede Schwäche seines Klangkörpers genauestens Bescheid weiß.
Es ist gerade diese Geschlossenheit, diese Einheit, die auf das Wohltuendste die „Alte Schule“ verkörpert, die unter de Vriends Leitung mit dem Besten der neuesten Forschungspraxis verquickt wird. Das Ergebnis ist in meinen Ohren einer der sensationellsten und konsistentesten Beethoven-Zyklen der jüngeren Tonträgergeschichte, mindestens so bedeutend, wie vor 14 Jahren derjenige des Tonhalle-Orchesters Zürich unter David Zinman. Meiner Meinung nach ist der niederländische Zyklus aus Enschede sogar noch ein Stück weit interessanter, zumal hier auch eine wahrlich fantastische Tontechnik die Aufnahmen begleitet.
Durchhörbar bis zum letzten Bogenstrich, unglaublich dynamisch und kraftstrotzend, warm und natürlich klingt hier das Orchester, sodass man hier Zweierlei konstatieren kann:
Erstens – Bert van der Wolf, der Challenge Classics „Haus- und Hof-Tonmeister“ hat hier mit die beste Arbeit seiner bisherigen Karriere abgeliefert. Diese Aufnahmen halten jedem noch so anspruchsvollen HiFi-Wunsch stand. Zweitens – Die Konzerthalle in Enschede scheint tatsächlich eine vorzügliche Akustik zu besitzen, denn der verblüffend natürliche Klangeindruck ist hier auch eine Folge eines wunderbaren Raumklangs, der in der Tat einen erstaunlich realitätsnahen Höreindruck erzeugt.

Abschließend soll noch kurz auf die Orchesterbesetzung eingegangen werden, die hier zum Tragen kommt: De Vriend und sein Orchester entschieden sich dafür, das Orchester zum Teil mit historischen Instrumenten zu bestücken, zum Teil mit modernen. Das war eine gute Wahl und führt zu einer Art „Best of Both Worlds“-Effekt.

Übrigens ist dies die allererste Beethoven-Einspielung, die eine zu Beethovens Zeit übliche Praxis wieder aufgenommen hat. Diese besagt, dass die Wiener Orchester zu Beethovens Zeiten ihre Hörner mit Trompetenmundstücken ausgestattet hatten. Der Klangeindruck, der Unterschied zur regulären Fassung mit „normalen Hörnern“ ist bemerkenswert und in manchen Stücken (etwa bei der mit Hörnern reich gesegneten Dritten oder der wuchtigen Fünften) geradezu markerschütternd. Das muss man einfach gehört haben!
Bei Beethovens Neunter gibt es übrigens den einzigen Schwachpunkt dieser Aufnahme zu vermelden, und der betrifft – wie leider oft – die Qualität der Gesangssolisten. Während beide Frauenpartien vorzüglich besetzt sind, hat man doch schon einmal bessere Männerstimmen gehört. Hingegen ist der Chor „Consensus Vocalis“, der bei der bekannt anspruchsvollen Chorpartie der Neunten zum Einsatz kommt, eine echte Entdeckung. Man mag es kaum glauben, wenn man liest, dass dieser Chor, der bei dieser Einspielung so manches Weltklasse-Ensemble ganz schön alt aussehen lässt, auf semiprofessioneller Basis arbeitet, also im weiteren Sinne ein „Freizeit-Chor“ ist. Unglaublich!

Übrigens möchte ich bei de Vriends Einspielung der Neunten ganz besonders den Schlussteil des berühmten Choralsatzes hervorheben. Während dieser in mindestens 80% aller am Markt verfügbaren Einspielungen nicht überzeugt, weil entweder die Rhythmik aus dem Ruder gerät oder die Trompete zu leise oder zu laut gespielt wird, vermag de Vriend hier eine verblüffend ideale Lösung dieses schwierigen Werkabschnitts zu erzielen – was kaum hoch genug gewertet werden kann.
Man höre sich im Vergleich dazu nur einmal die viel gelobten Zinman-, Skrowaczewski- oder Järvi-Einspielungen an (oder wer es besonders deutlich hören möchte, kann ja spaßeshalber mal zu einem der zahlreichen Karajan- oder Bernstein-Beethovenzyklen greifen).
Ich denke, da muss doch so mancher Rezensent sein Urteil noch einmal überdenken. De Vriend erscheint nicht nur in diesem Detail als der bislang womöglich präziseste Sachwalter dieses musikalischen Welterbes.

Fazit: Für mich ist diese f a n t a s t i s c h e Beethoven-Gesamtaufnahme eine der besten, die je gemacht worden sind. Sie ist unglaublich ausdifferenziert und detailversessen, überzeugt zudem durch eine breite, breite, breite Dynamikpalette, eine hervorragend durchdachte Gestaltung der Tempi, durch ein Orchester, das auf absolutem Weltklasseniveau musiziert und durch einen HiFi-Sound, der selbst höchste Ansprüche zufriedenstellen dürfte. Für jeden ernsthaften Beethoven-Jünger muss diese Box eine Pflichtanschaffung sein!
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Mit dieser Besprechung (übrigens der 451. Artikel seit Anbeginn unserer website vor neun Jahren) verabschiedet sich the-listener.de in die Weihnachtspause. Ab dem 02. Januar 2013 sind wir wieder für unsere Leser da!

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