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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

J. Svendsen / M. Bruch - Streichoktette
Tharice Virtuosi

(2012)
claves

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Johan Svendsen / Max Bruch - Streichoktette

rare Meisterwerke in hervorragenden Interpretationen

von Rainer Aschemeier  •  13. Dezember 2012
Katalog-Nr.: 50-1207 / EAN: 7619931120720

Streichoktette sind eine zwiespältige Angelegenheit: Einerseits gehören sie spätestens seit Mendelssohn Bartholdys Werk dieses Typs zum festen Bestandteil des kammermusikalischen Repertoires. Andererseits stellten sie (auch zu Mendelssohns Zeiten schon) so große musikpraktische Herausforderungen an die ausführenden Kräfte dar, dass sie bis heute eher selten aufgeführt werden.

Die angesprochenen Herausforderungen beginnen schon mit der Besetzungsfrage. Im Prinzip sind die allermeisten Streichoktette mit einer doppelten Streichquartettbesetzung ausgestattet. Soll heißen: Vier Violinen, zwei Bratschen und zwei Celli. Trotzdem ist das Oktett aber natürlich mehr als nur ein „aufgeblasenes“ Streichquartett. Das Oktett besitzt beinahe unerschöpfliche Potenzialreserven zur differenzierten Behandlung der Einzelstimmen. Aus der Instrumentierungsperspektive gesprochen stehen hier nämlich praktisch gleich acht Solisten zur Verfügung, mit denen sich kompositorisch eine ganze Menge anstellen lässt.

Dem gegenüber steht allerdings, dass acht Musiker bereits eine Besetzungsgröße sind, die irgendwo kurz vor der eines Kammerorchesters steht. Und so kommt es bereits bei einer solchen Achterbesetzung zu dem gefürchteten Effekt, dass die Musiker auf der linken Bühnenseite buchstäblich nicht mehr wissen, beziehungsweise nicht mehr hören können, was die Musiker auf der rechten Bühnenseite gerade tun.
Im Fall von Mendelssohns Streichoktett – das zudem besonders hohe spieltechnische Anforderungen stellt – ist es daher nicht unüblich, das Werk unter der Leitung eines Dirigenten aufzuführen, der die Hoheit über Rhythmik, Balance und Dynamik den Musikern ganz klassisch vom Pult aus vermittelt.
Geschieht das nicht, muss es sich schon um ein besonders fittes und eingespieltes Ensemble handeln, damit anspruchsvolle Streichoktette nicht nur überhaupt ermöglicht werden können, sondern möglichst auch ihre ganze Strahlkraft entfalten.

Auf der vorliegenden CD des schweizerischen Labels claves hören wir die Tharice Virtuosi, eine schweizerische Kammermusikgruppe, deren Leiter Liviu Prunaru sich mit dem Titel des Konzertmeisters des weltbekannten Concertgebouw Orkest Amsterdam schmücken kann. Von ebendiesem Orchester hat er auch seine Geige überreicht bekommen, eine wertvolle Stradivari aus dem Jahr 1694.
Das weckt große Erwartungen, denn unbewusst wird der Hörer angesichts dieser Eckdaten auf die Idee kommen, an das hier zu hörende Ensemble ähnlich hohe Erwartungen zu richten, wie eben an das weltberühmte Concertgebouw Orchester aus Amsterdam.

Wer immer das auch tut wird jedenfalls nicht enttäuscht werden: Die Tharice Virtuosi erweisen sich auf der vorliegenden CD als ein so herausragendes Weltklasse-Ensemble, wie man es nicht alle Tage hört.
Man achte nur auf den stürmischen Beginn des zweiten Satzes aus dem Svendsen-Oktett: Da wäre so manches andere Ensemble womöglich ins Schwitzen gekommen, doch nicht so die Tharice Virtuosi! Hier sitzt jeder Bogenstrich. Mit bestechender rhythmischer Präzision und überzeugender dynamischer Balance gelingt es ihnen jederzeit, die hier vorliegenden anspruchsvollen Streichokette klingen zu lassen, wie aus einer Hand, wie ein großes Ganzes, kurz: genau so, wie es sein soll.

Die besagten Oktette stammen übrigens aus den Federn der beiden Spätromantiker Johan Svendsen und Max Bruch. Während ich über Max Bruch auf diesen Seiten schon viel geschrieben habe (unter anderem hier, hier und hier), ist Johan Svendsen bislang noch nie in Rezensionen von the-listener.de aufgetaucht.
Ich möchte auch biografisch gar nicht zu weit ausholen, nur kurz erwähnen, dass er 1840 in Christiania (dem heutigen Oslo) geboren wurde und somit ein Zeitgenosse Edvard Griegs war. Svendsen war zu Lebzeiten zeitweise ebenso berühmt wie Grieg und galt zusammen mit ihm als die Speerspitze der norwegischen Musikromantik. Sein Ruhm verblasste aber noch zu Lebzeiten merklich, und mit dem Aufkommen neuer Musikströmungen nach der Jahrhundertwende versank sein durchaus reiches und qualitätvolles Werk nach und nach in der Versenkung.

Svendsens Streichoktett war das Abschlusswerk für sein Studium am Leipziger Musikkonservatorium. Entsprechend jugendlich, forsch und, ja, gelegentlich auch akademisch klingt es. Es dürfte wegen zahlreicher schneller, sich überlagernder Passagen sehr anspruchsvoll für die ausführenden Interpreten sein und macht reichen Gebrauch von wirkungsvoll ausgeführten Instrumentierungseffekten, die zeigen, wie viel man aus einer Streichokettbesetzung so „herauskitzeln“ kann. Alles in allem ist es ein sehr ansprechendes und melodisches Werk, das aber durchaus noch den Anflug eines Frühwerks in sich trägt und in seinem Bestreben, möglichst viele klangliche Facetten eines Streichoktetts vermitteln zu wollen auch einigen Akademismus versprüht.

Max Bruchs Streichoktett ist da schon ein ganz anderes Kaliber: Als ausgereiftes Spätwerk 1920, nur sieben Monate vor seinem Tod, konzipiert, zeigt es die ganze Könnerschaft des großen Spätromantikers und das, wofür ihn seine Fans so lieben: große, typisch Bruch’sche Melodielinien, die sich wie Bogen durch das gesamte Werk hindurch ziehen.
Durch einen kuriosen Zufall der Musikgeschichte kam das Stück erst 1996 zu seiner späten Uraufführung und ist deshalb – leider! – noch weit entfernt davon, als etabliert zu gelten. Gleichwohl sollte es das sein, denn in diesem Stück haben wir viel vom Besten, was Max Bruch (der zum Zeitpunkt der Komposition nicht weniger als 83 Lenze zählte) in der Wahrnehmung seiner Anhänger ausmacht.
Das Bruch-Oktett wirkt zuweilen wie eine Antithese zum Svendsen-Stück: Wo jener auf möglichst virtuose, effektvolle Behandlung der Einzelstimmen setzte, realisierte Max Bruch eine flächige, geradezu sinfonisch anmutende Partitur, die sich manchmal sogar anhört, wie ein Entwurf zu einer vierten Sinfonie.

Noch viel gäbe es zu dieser vorzüglichen CD zu erzählen, die auch klanglich eine sehr gute Figur abgibt. Aber bevor ich hier den Rahmen sprenge, möchte ich lieber zum Hören auffordern, denn diese CD hat es wahrlich verdient – sowohl was die auf ihr enthaltene Musik angeht, als auch was die sehr gute Interpretation derselben anbetrifft. Ein erster Schritt dazu, kann unser webradio sein, auf dem diese CD unter anderem auch in Auszügen vorgestellt wird.

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