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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

V. Schebalin - Orchestermusik Vol. 1: Orchestersuiten
Sibirisches Sinfonieorchester - D. Vasiliev

(2012)
toccata / Vertrieb: Naxos

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Vissarion Schebalin - Orchestersuiten op. 18 & 22

Ein verheißungsvoller Start in die erste je unternommene Schebalin-Werkschau auf mehreren CDs

von Rainer Aschemeier  •  3. Dezember 2012
Katalog-Nr.: TOCC 0136 / EAN: 5060113441362

Vissarion Schebalin ist einigen Hardcore-Anhängern der russischen Musikmoderne eventuell ein Begriff. Die allermeisten Klassikfans werden mit dem Namen aber nicht viel anfangen können, denn noch stärker als die ebenfalls hierzulande zu unbekannten russischen Komponistengranden Mjaskowski und Weinberg ist Schebalins Werk in der westlichen Welt ins Abseits der Musikrezeption geraten oder vielmehr – noch schlimmer – nie wirklich wahrgenommen worden.
Dabei gehörte der im sibirischen Omsk geborene Schebalin – ähnlich wie Gavriil Popov oder der o.g. Mieczysław Weinberg – zu jenen Komponisten der ehemaligen UdSSR, die ein beeindruckendes kompositorisches Niveau vorzuweisen hatten.

Mit den Orchestersuiten op. 18 und op. 22 legt das britische toccata-Label nun die erste CD in einer geplanten Reihe mit Orchesterwerken Schebalins vor. Obwohl diese Kompositionen aus den Jahren 1934-36 sowie 1962 Suiten aus eher leicht verdaulicher Theatermusik sind und typischen Gelegenheitswerk-Charakter besitzen, lassen sie doch hellhörig werden. Allein, wie Schebalin die akustische Farbpalette seines Orchesters beherrst, wie er instrumentiert, ist ganz große Klasse.
Da merkt man die herausragende Qualität einer ganzen Komponistengeneration. Es ist die Generation, als deren prominentester Vertreter heute berechtigterweise Dmitri Schostakowitsch gilt. Schostakowitsch, der übrigens ein enger Freund Schebalins war, hat ganz ähnliche Werke geschrieben, wie wir sie hier von Schebalin hören. Dabei handelt es sich um Balletsuiten sowie die berühmten und beliebten sogenannten Jazz-Suiten, die bekanntermaßen der Salonmusik näher standen, als dem eigentlichen Jazz.
Ganz ähnlich verhält es sich hier bei Schebalins Orchestersuiten. Auch sie bilden eine Ansammlung überwiegend leichter, melodiöser Unterhaltungsmusik mit Titeln wie „Walzer“, „Galopp“, „Romanze ohne Worte“, „Potpourri“, usw.

So harmlos aber, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, ist es nicht. Es beginnt schon damit, dass die erste Orchestersuite dem Angedenken Wsewolod Meyerholds gewidmet ist, ein Stalin unliebsam gewordener Theaterdirektors, der 1940 unter falschen Spionageverdacht gestellt, inhaftiert und schließlich hingerichtet wurde.
Womöglich erklärt dies auch, warum das ansonsten heitere Stück mit einem gewichtigen, für uns westliche Ohren „typisch russisch“ anmutenden Trauermarsch beginnt.
Die Suite beinhaltet zudem Schauspielmusik für zwei seinerzeit sehr umstrittene Theaterstücke – ein Grund, warum auch Schebalin, wie so viele verdiente Komponisten seiner Generation ins Visier des Stalin-Kulturoberen Schdanow und den von ihm eingeleiteten „Säuberungsaktionen“ geriet. Zwar musste er nicht in dem Maße um Leib und Leben fürchten, wie etwa Schostakowitsch, Weinberg oder Popov, doch war Schebalin in seinem kreativen Schaffensprozess ohne Zweifel ebenso wie die genannten Komponisten einem Zwang zur künstlerischen Selbstbeschränkung unterworfen.

Die zweite Suite, die auf dieser CD zu hören ist, beinhaltet Musik zu Alexandre Dumas‘ berühmtem Schauspiel „Die Kameliendame“ und wirkt zum Teil sehr lautmalerisch, zumal mit einer „Tarantella“ und einem „Bolero“ auch ein ganz witziger Blick auf das sowjetische Italien-/Spanien-Bild jener Tage gelenkt wird.

Die Interpretation durch das Sibirische Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Dmitry Vasiliev ist bemerkenswert gut. Dafür, dass man das Orchester aus Omsk hierzulande kaum je zu Ohren bekommt, ist es doch sehr bemerkenswert, wie viel interpretatorische und instrumentale Qualität sich hier offenbart. Das ist tatsächlich ein richtig gutes Orchester, und ich freue mich jetzt schon darauf, in toccatas Schebalin-Reihe bald hoffentlich auch dessen sieben Sinfonien in ebenso schönen Interpretationen hören zu können, wie wir sie hier erleben dürfen.

Der Klang der CD geht ebenfalls in Ordnung. Ich würde ihn zwar eher als „gutklassig“ einstufen, weniger als „hochklassig“, nichtsdestotrotz gibt es in den wichtigen Punkten nicht viel zu meckern: Das Orchester kommt jedenfalls schön ausbalanciert durch die Boxen. Akustische Auflösung und Natürlichkeit des Klangbilds lassen zwar ein wenig zu wünschen übrig, doch ist dies vollauf im tolerablen Bereich. Wer damit leben kann, dass nun einmal nicht jede CD auf dieser Welt die Gelüste aller Audiophilen bedienen kann, wird mit dieser Einspielung sicher auch auf längere Sicht glücklich werden können.

Fazit: Ein toller und verheißungsvoller Start in die erste je in Angriff genommene Schebalin-Werkschau auf CD! Ich kann es kaum erwarten, auch die Sinfonien zu hören. Mehr davon!
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