Alexander Porfirjewitsch Borodin - Borodin Edition (10 CDs)Der kompletteste Borodin, den es bislang gabvon Rainer Aschemeier • 27. November 2012
Man merkt es deutlich: Die Weihnachtszeit steht vor der Tür, und die letzten potenziell weihnachtsgeschenktauglichen CD-Produkte treten in die Erdatmosphäre ein. Ob sich hierzulande viele Käufer für eine 10 CDs umfassende Box mit dem „so-ziemlich-gesamt-Werk“ des russischen Komponisten Alexander Porfirjewitsch Borodin werden gewinnen lassen, darf man bezweifeln. Das internationale Käuferinteresse an seiner Person sollte man jedoch nicht unterschätzen. Schon lange zählen Borodins zweite Sinfonie, sein zweites Streichquartett sowie die sinfonische Dichtung „Eine Steppenskizze aus Mittelasien“ zu den Stammgästen im internationalen CD-Repertoire und werden insbesondere in den englischsprachigen Ländern gern gehört, wo etwa das zweite Streichquartett mit zu den populärsten und am meisten aufgeführten überhaupt zählt. Zudem steht die Person Borodin in sehr gutem Ruf und gilt als die vielleicht bemerkenswerteste Person in jenem Bund von Komponisten, der einst kurz vor der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert in Russland als das „mächtige Häuflein“ bekannt war. Noch Jahrzehnte später pries kein Geringerer als Dmitri Schostakowitsch das kompositorische Genie Borodins, und auch Dirigenten wie etwa Evgeny Swetlanow hielten große Stücke auf ihn. Dabei wollte Borodin gar nie so recht Komponist sein. Das musikalische Talent schien ihn, der im Hauptberuf Chemieprofessor war, sogar eher zu stören. Borodin betrachtete Komposition als Freizeitbeschäftigung und bezeichnete sich selbst daher als „Sonntagskomponisten“ – ...sehr zum Leidwesen seines Freundes Nikolai Rimsky Korsakow, der Borodin ein ums andere Mal zu überreden versuchte den Chemikerlehrstuhl ruhen zu lassen, um endlich zur Gänze in der Musik durchzustarten. Zwecklos… Borodin starb 1887 als… Chemiker, der eine eher kleine Anzahl vollendeter und eine weitere Anzahl unvollendeter Kompositionen hinterließ. Die hier neu vorliegende Brilliant Classics-Box stützt sich auf mehrheitlich sehr gute Aufnahmen aus den Jahren 1987 bis 2008. Die populären Sinfonien erklingen in einer wirklich guten und auch recht gut klingenden Interpretation des Symphonieorchesters des Bolschoi-Theaters unter der Stabführung von Mark Ermler, die berühmte „Steppenskizze aus Mittelasien“ bekommt in der Interpretation der Armenischen Philharmonie unter Leitung des legendären Borodin-Fachmanns Loris Tjeknavorian sogar eine Referenzaufnahme ab. Moscow String Quartet und Moscow String Trio widmen sich in qualitativ die gesamte Bandbreite von „großartig“ bis „unterirdisch“ auslotenden und durchwegs nur moderat klingenden Einspielungen der Kammermusik für Streicher – darunter eine großartige Wiedergabe des zweiten Streichquartetts, die wirklich sehr gut ist. Borodins einzige Oper „Prinz Igor“ – inklusive der berühmten „Polowetzer Tänze“ – erklingt hier in einer Lizenzaufnahme von Sony Classics mit dem Sofia Festival Orchestra unter Emil Tschakarow sowie mit bulgarischen Solisten. Letztere sind denn auch der schwache Punkt an einer ansonsten auch klanglich ordentlichen Darbietung, die hier eine postum vervollständigte Fassung der zu Borodins Lebzeiten Fragment gebliebenen Oper vorstellt. Die eigentliche Entdeckung ist in meinen Ohren jedoch die schlicht großartige Klaviermusik Borodins, die fast gar nicht bekannt ist, aber meiner Meinung nach zum Besten gehört, was Ende des 19. Jahrhunderts aus Russland an Klaviermusik überliefert ist. Sensationell! Warum gehören diese Stücke nicht schon längst zum Standardrepertoire der großen Pianisten? Allein diese CD in der wunderbaren und hervorragend klingenden Interpretation von Marco Rapetti auf einem herrlich sonoren Yamaha-Flügel wäre den Anschaffungspreis der Box wert. Mit einer klanglich und interpretatorisch nur mittelklassigen Aufnahme vom US-Label DELOS widmet sich das 10 CD-Set abschließend auch noch dem äußerst unbekannten und in meinen Augen nicht ganz so interessanten Liedschaffen Borodins. Fazit: Eine Box die sich lohnt, auch wenn – wie so oft bei solchen digitalen Werkschauen nicht jede Disc auch ein „Treffer“ ist. Die essentiellen Werke sind jedenfalls in überdurchschnittlich guten Darbietungen vertreten. Vieles andere immer noch in durchschnittlich guten und nur sehr sehr wenig zählt hier zur Fraktion des kaum Erträglichen. Grundsätzlich: eine Kaufempfehlung, schon weil man hier Borodin in Facetten kennenlernt, die man anderswo vergeblich sucht. Und dabei stellt sich heraus, dass dieser hochinteressante Komponist in der Tat zu den Größten seiner Zeit gezählt werden muss, was selbst heute noch einige überraschen dürfte. |
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