François Couperin - Les NationsDie "musikalische Länderkunde" des François Couperinvon Rainer Aschemeier • 25. November 2012
Wir schreiben das Jahr 1726. Ein Komponist namens Couperin, der im Schnelldurchgang vom vierten Hoforganisten Ludwigs des XIV. zu dessen persönlichen Cembalolehrer und Hofkomponisten aufgestiegen war, steckt in der Zwickmühle: Einerseits ist er ein begeisterter Anhänger des italienischen Barockstils – vor allem der gerade zur Blüte gekommenen Triosonate nach dem Vorbild des Römers Arcangelo Corelli. Andererseits hatte er bislang selbst mit dafür gesorgt, dass der französische Stil in der Barockmusik seines Landes alle italienischen Einflüsse aus dem aktiven Musikleben verdrängt hat, ja, dass italienische Musik gesellschaftlich sogar bewusst gemieden und geächtet wird. Was tun? Couperin vollführte damals einen ziemlich wagemutigen Kunstgriff: Er komponierte Triosonaten á la Corelli – also im italienischen Stil – jedoch mit französischer „Note“; ein unerhörter Vorgang, den er sich nur zutraute, indem er diese Werke zum einen unter Pseudonym veröffentlichte und zum anderen als thematisch organisierte Suiten ausgab. Unter dem Vorwand, mit dem „Les Nations“ genannten Suitenzyklus eine Art „musikalischer Länderkunde“ vorzustellen, wagte er den Gang an die Öffentlichkeit – und triumphierte! Der musikhistorischen Bedeutung angemessen gibt es von „Les Nations“ jede Menge Einspielungen, von denen einige selbst wieder Geschichte geschrieben haben. 2004 legte das niederländische Brilliant Classics-Label die Kammermusik François Couperins als Gesamteinspielung vor. Hierbei fungierte das Alte Musik-Ensemble Musica ad Rhenum unter der Leitung des in den USA geborenen und ausgebildeten Niederländers Jed Wentz als Interpret. Die Einspielung wurde von Beginn an heftig diskutiert, da Wentz seinem Orchester nicht nur erstaunlich schnelle Tempi vorgab, sondern „Les Nations“ zudem auch mit einer ungewöhnlichen, und zwar ungewöhnlich großen, Besetzung aufführen ließ. Dies ließ Couperins Suiten in bislang nicht gekannter Prachtentfaltung erblühen und begeisterte viele Hörer, während andere Wentz‘ Praxis eher ablehnten. Ich persönlich halte die Interpretationen, die mit der hier vorgestellten Doppel-CD rund acht Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung wieder aufgelegt werden, für sehr gelungen und freue mich, dass diese wunderbare Version von „Les Nations“ wieder erhältlich ist. Jed Wentz und seine Musiker lassen diese Musik in ihrer ganzen barocken Pracht erstrahlen – eben so, wie man das von einem Hofkomponisten Ludwigs XIV. erwarten würde. Allein aus diesem Grund schon halte ich Wentz‘ verhältnismäßig große instrumentale Besetzung für vollauf gerechtfertigt. Die Doppel-CD kommt zudem in einem erfreulich guten Klanggewand, das zwar kurz davor ist, als „staubtrocken“ durchzugehen, jedoch gerade auch durch diesen Umstand sehr durchhörbar und detailfreudig ausfällt. Zwar tendiert eine solche Praxis der Musikaufzeichnung zum Akademisch-Analytischen, doch das muss ja nicht das Schlechteste sein. |
StöbernVerwandte / ähnliche Artikel: ArchivAlle Reviews können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich. |