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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

W. Rihm: Sämtliche Werke für Violine und Klavier
Tianwa Yang (Violine) & Nicholas Rimmer (Klavier)

(2012)
Naxos

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Wolfgang Rihm - Werke für Violine und Klavier (Gesamteinspielung)

Musikalische Geburtstagsnachlese auf Weltklasseniveau

von Rainer Aschemeier  •  8. November 2012
Katalog-Nr.: 8.572730 / EAN: 747313273072

Wolfgang Rihm zählt zu den bekanntesten und meist diskutierten Komponisten unserer Tage. Er ist einer von nur wenigen Deutschen unserer Tage, deren Name gegenwärtig auf internationaler Ebene zu der „Upper Class“ der Komponistenelite gezählt wird. Dabei ist er hierzulande nicht unumstritten.

Die Erdung seines absolut unverkennbaren, oft schon anhand der ersten paar Töne identifizierbaren Stils fand von Anfang seiner Karriere bis heute in der Spätromantik statt. Nicht wenige werfen Rihm daher vor, ein reaktionärer Komponist zu sein – und im engeren Sinne somit nicht „modern“.
Letzten Endes gibt aber nicht nur der Erfolg Rihm recht. Wohl jeder, der sich tiefergehend mit den Stücken Rihms beschäftigt, merkt, dass da ein Genie am Werk ist – mit einer beeindruckenden Souveränität und Sicherheit, einem gänzlich individuellen Musikidiom und einer schier unglaublichen Produktivität. Rihm schrieb seit Beginn der 1970er-Jahre sage und schreibe 400 Werke! Und im Alter von 60 Jahren ist der gebürtige Karlsruher hoffentlich noch lange nicht am Ende seiner kompositorischen Laufbahn angelangt.
Ich persönlich habe manchmal allerdings Probleme mit Rihms Orchesterwerken, die buchstäblich etwas „dick aufzutragen“ scheinen. In der Tat: Während andere im Orchestersatz malen, scheint Rihm zu spachteln. Auch dies ist dem Komponisten immer wieder negativ vorgehalten worden, während ich das eher als eine Frage des persönlichen Geschmacks betrachte.

Diese neue Naxos-CD – wohl als Nachlese zu Rihms 60. Geburtstag gedacht – rückt Rihms Werke für Violine und Klavier sowie ein Werk für Violine solo in den Mittelpunkt. Es ist damit nicht die erste CD, die sich auf diesen Werkabschnitt Rihms konzentriert, ganz sicher ist sie jedoch eine der besten dieser Art und im Übrigen vollständig.

Meine Güte, was ist diese Tianwa Yang für eine Geigerin! Die Chinesin ist ja eh schon so etwas wie der heimliche Star des Naxos-Labels, doch mit dieser CD hat sie sich selbst übertroffen: Welch eine Dynamik-Palette, welch überragende Beherrschung des Instruments, auch welche Fähigkeit zur emotionalen Differenzierung des Ausdrucks! Die 1987 geborene Virtuosin gehört schon jetzt zur globalen Elite der Violinvirtuosen. Auch ihr Duettpartner, der Deutsch-Brite Nicholas Rimmer – sonst bei Sony Classics und cpo zuhause – legt hier mit seinem präzisen, volltönenden Klavierspiel ein sensationelles Debüt auf dem Naxos-Label vor.

Das Wichtigste jedoch: Hier musizieren zwei, die sich blind zu verstehen scheinen. Die fragmentiert wirkende, immer wieder durch arhythmische Pausen zerklüftete Musik Rihms stellt höchste Anforderungen an eine Duo-Besetzung – vor allem, was die Einsätze betrifft, aber auch in Sachen Dynamik ist diese Musik für beide Partner eine Nuss, die es erstmal zu knacken gilt. Dabei hat Rihm in mehreren Stücken dieser CD, vor allem aber in „Hekton“ aus dem Jahr 1972, beide beteiligten Instrumentalisten mit annähernd gleichberechtigen Parts ausgestattet. Soll heißen: Das Klavier hat hier ebensoviel „zu tun“, wie die Violine, ist nicht auf die Begleitung reduziert.
Tianwa Yang und Nicholas Rimmer legen eine Bilderbucheinspielung sämtlicher hier zu hörender Werke vor – ohne Ausnahme und mit Bravour!

Die CD enthält neben den Duostücken „Phantom und Eskapade“ (1993/94 – wunderschön! Eines der herrlichsten Stücke Neuer Musik, die ich kenne!), „Hekton“ (1972), „Antlitz“ (1992/93) und „Eine Violinsonate“ (1971/75) mit „Über die Linie VII“ (2006) auch eine Weltersteinspielung dieses Stücks für Solovioline.
Letzteres ist der Beweis, dass Wolfgang Rihm auch im neuen Jahrtausend auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten komponiert – falls es diesen Beweis denn brauchte.
Spannend ist hierbei, wie sich der Karlsruher erneut tapfer der reichen Tradition dieser Werkgattung stellt. Selbstverständlich sind beim Thema Solovioline immer auch Namen wie Bach, Hindemith, Ysaÿe, usw. im Hinterkopf des Hörers. Rihm weiß das – und nichts weniger als einen weiteren Klassiker hinzuzufügen ist sein Anspruch. Mit „Über die Linie VII“ hat er das zweifelsohne geschafft. Auch deshalb, weil er die Nabelschnur zur musikalischen Vergangenheit nicht kappt.

Der Klang dieser in der Stadthalle Ettlingen (bei Karlsruhe) eingespielten CD ist außerdem sehr gut. Es gab in diesem Jahr Kammermusikproduktionen, die offener, brillanter und transparenter geklungen haben als diese. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau: Diese CD ist klanglich wirklich gelungen, wenn sie vielleicht auch nicht zur Speerspitze der HiFi-Bewegung zählen mag.

Fazit: Rundum wunderbar! Für mich ein weiterer heißer Kandidat für unseren Titel „CD des Jahres“. Wir werden sehen, wer den „Pokal“ abräumt.

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