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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

G. Ligeti - études pour piano
Thomas Hell

(2012)
wergo

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György Ligeti - études pour piano

Ligetis rasantes Verwirrspiel namens Etüden

von Rainer Aschemeier  •  3. Dezember 2012
Katalog-Nr.: WER 6763 2 / EAN: 4010228676327

Etüden sind so eine Sache: Fast jeder, der selbst ein Instrument spielt, kennt sie aus eigener, oft schrecklicher Erfahrung. Hirnlose, stumpfe, auf die bloße Bewältigung gelegentlich maschinell wirkender, Fingerkrampf erzeugender Vergewaltigungen der eigenen Hände und Sehnen ausgerichtete Musikstückchen, die auch dem begeisterten Schüler das Grausen lehren können.
Der einst von Beethoven ausgebildete Carl Czerny gilt mit seiner umfassenden Klavierschule als das Schreckgespenst der Etüdenwelt, und Generationen von Klavierschülern hassen seinen Namen mit Leidenschaft – unberechtigterweise übrigens, wie ich finde. Man schaue nur auf Czernys durchaus inspirierte Klaviersonaten oder Sinfonien.

Vielleicht ist alles aber auch nur eine Frage der geistigen Einstellung: Das Üben von immer gleichen Bewegungsabläufen kann man auch als Meditation auffassen, die notwendige Beschränkung auf das Allernotwendigste als kreative Herausforderung. Und so wundert es nicht, dass sich die Etüde spätestens Ende des 19. Jahrhunderts zu emanzipieren begann.
Von Frédéric Chopin über Claude Debussy bis hin zu den Vertretern der Neue-Musik-Bewegung wurde die Etüde über ihren bloßen Selbstzweck emporgehoben. 1985 schließlich begann auch einer der wichtigsten, weil besten, Vertreter der Neuen Musik, sich mit der Gattung auseinanderzusetzen. Es handelte sich um den ungarisch-österreichischen Komponisten György Ligeti, der zu dieser Zeit bereits ein Star am zeitgenössischen Komponistenhimmel war.
In drei „Livres“, die in drei „Schüben“ in den Jahren zwischen 1985 und 2001 entstanden, legte Ligeti seine Sicht auf die Etüde vor. Es ist eine äußerst hörenswerte und tiefsinnige Begegnung mit der so ungeliebten Musikgattung, die dazu geeignet ist, wieder Nähe zu schaffen zwischen Etüde und Mensch.

Zwar ist auch Ligeti – wie zu ahnen war – fern davon, der Etüde ein emotionales Gepräge zu verleihen, aber er füllt sie doch mit Leben und erkennt in ihr eine Menge Reflexionsebenen. Die Ligeti’schen Etüden sind kontemplative Meditation, irisierende Illusion, irrwitziger Lärm, pianistische Herausforderung und musikgeschichtliche Reflexion – Letzteres übrigens durchaus auch mit eingewobenem Humor. In jedem Fall sind sie große Musik, die die Beschäftigung mit ihr lohnt – allerdings dürfte die Befriedigung vor allem für Diejenigen groß sein, die den Notentext bei der Hand haben, um anhand des Geschriebenen Ligetis faszinierende Tricks und Kniffe auf frischer Tat ertappen zu können.
Der auf dieser neuen wergo-Produktion zu hörende Solist Thomas Hell ist ein bemerkenswert versierter Pianist, der sich – zumindest scheinbar – mühelos durch diese immens schwierige und vielschichtige Musik hindurchwuselt. Sein Spiel ist aber nicht nur präzise und technisch meisterhaft, sondern Hell kitzelt auch die verdeckten Ebenen dieser Musik heraus und macht sie so ganz natürlich und – zumindest was mich angeht – erstaunlich zugänglich erfahrbar.

Am besten hört man diese CD aber ohne den etwas überkandidelten Booklet-Text zu lesen, denn Ligetis Etüden sind vor allem einfach erst einmal tolle Musik, während sie der Booklet-Text vor allem anderen als intellektuelle Herausforderung preist. Aber es ist diese Einstellung zur Neuen Musik, die so vielen Leuten den Zugang zu ihr erschwert. Deshalb: Hören! Verstehen muss man gar nicht unbedingt – zumal man es auch kaum kann, wenn man sich nicht selbst auf dem schwindelerregend hohen Niveau eines Interpreten wie Thomas Hell bewegt. Ligetis Etüden sind Klangrausch pur. Sie können und sollten so genossen werden: Als Rausch, als wilde tour de force. Dann macht so geniale Neue Musik wie diese erst richtig Spaß!

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