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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Dragon Rhyme
The Hartt School Wind Ensemble - G. Adsit

(2012)
Naxos

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Dragon Rhyme - Musik von Jennifer Higdon, Kurt Weill und Chen Yi

Hervorragende neue CD aus der Reihe "Wind Band Classics"

von Rainer Aschemeier  •  15. Oktober 2012
Katalog-Nr.: 8.572889 / EAN: 747313288977

Eine einfach in allen möglichen Belangen perfekte neue CD ist jüngst in der Serie „Wind Band Classics“ bei Naxos erschienen. Sie beinhaltet drei Stücke für Blasorchester, zum Teil mit Soloinstrumenten. Alle drei Stücke sind in unterschiedlichem Ausmaß der modernen Musik zuzuordnen.
Eröffnet wird das Programm von dem Sopransaxophonkonzert der von uns immer wieder gern ob ihrer sehr überzeugenden Kompositionsbeiträge gelobten US-Amerikanerin Jennifer Higdon (frühere CD-Rezension siehe zum Beispiel hier).

Higdon gehört in den USA zu den inzwischen etablierten und höchstdotierten Komponistinnen der Gegenwart – und es ist eine Schande, dass sich der deutsche „Kulturbetrieb“ so vehement gegen so hervorragende Komponistenpersönlichkeiten wie sie oder auch ihre Kollegin Libby Larsen verschließt.
Nichts beweist die herausragende kompositorische Klasse Jennifer Higdons mehr als das hier zu hörende Sopransaxophonkonzert. Ursprünglich als Oboenkonzert konzipiert, gestaltete Jennifer Higdon ihr rund viertelstündiges Meisterstück 2006 zum Konzert für Blasorchester und Sopransaxophon um. Es ist ein wunderschönes kurzes Konzert, das mit zum Besten gehört, was ich von Jennifer Higdon, deren Stil sich stets wie eine Art „21. Jahrhundert-Version“ der Musik von Aaron Copland anhört, bislang erlebt habe. Mit seiner lakonisch-ruhigen Art und seinem sich darüber beständig entwickelnden Solopart lässt Higdons Konzert besonders nachhaltig Erinnerungen an Coplands Solostück für Trompete und Englischhorn „Quiet City“ aufkommen, man kann aber dank des hin und wieder recht massiv wirkenden Blechbläsereinsatzes auch an Vorbilder wie Roy Harris denken.
Jedenfalls ist es ein ungeheuer reizvolles Stück Musik, das nachhaltig in Erinnerung bleibt – und welche sogenannte „Neue Musik“ kann das heute sonst von sich behaupten!?

Es folgt eine weitere Wiederentdeckung in Sachen Kurt Weill. Dieser deutschstämmige Komponist und US-Exilant ist heute vor allem für seine in Kooperation mit Bertold Brecht entstandene „Dreigroschenoper“ (und daraus entstammende Songs wie etwa „Mack the Knife“ – zu deutsch: „Die Moritat von Mackie Messer“) weltberühmt – so berühmt allerdings, dass quasi sein gesamtes restliches Oeuvre dem globalen Vergessen anheimfiel.
Vor einigen Jahren wurde Weills zweite Sinfonie (nicht zuletzt dank einer sehr guten Einspielung auf dem Naxos-Label) einer breiteren Öffentlichkeit wieder zu Gehör gebracht, und plötzlich überschlugen sich die Gelehrten vor Lob, als hätte dieses Werk nicht jahrzehntelang in irgendeinem Notenarchiv geschlummert.
Ähnliches könnte man nun auch bei der hier vorliegenden, längst überfälligen Neueinspielung des grandiosen (!) Violinkonzerts von Kurt Weill annehmen. Liegt hier doch ein konzertantes Meisterwerk des Expressionismus vor, dass beinahe unbekannt genannt werden kann. Weill hat hier noch nicht seine „Broadway“-Tonsprache verinnerlicht, sondert kommt unverkennbar aus einem Umfeld, das das große Vorbild Hindemith zu keinem Zeitpunkt verleugnet, ja, sogar gelegentlich imitiert. Auch Strawinsky ist herauszuhören, jedoch weit weniger „wild“, als uns der Booklettext glauben machen will. Stattdessen würde ich auch Querbezüge zur Zweiten Wiener Schule Schönbergs und Bergs suchen wollen. Weills Kompositionslehrer Busoni mag bei dem hoch virtuosen, zum Teil fast übertrieben wirkenden Gestus des insgesamt hochgradig spannenden Konzerts Pate gestanden haben. Hier haben wir einen vergessen geglaubten „Missing Link“ des Expressionismus in einer brillanten Einspielung mit einem grandiosen Violinsolisten Anton Miller, von dem zumindest ich nach dieser grandiosen Darbietung gern mehr hören würde.

Den Abschluss bildet das temperamentvolle und titelgebende Stück „Dragon Rhyme“ aus dem Jahr 2010, das als Auftragswerk für das Hartt School Wind Ensemble – das diese tolle CD eingespielt hat – entstanden ist. Es stammt von Chen Yi, einem chinesischstämmigen Komponisten. Wie das mit Auftragswerken manchmal so ist: Man hat – um ehrlich zu sein – schon Besseres gehört. Nichtsdestotrotz ist Chen mit seinem Versuch, Intervalle aus der traditionellen Peking-Oper mit westlicher Neuer Musik zu verknüpfen ein wenn nicht vollauf überzeugendes, so doch zumindest anregendes Werk gelungen, dass man sich mit Aufmerksamkeit und einigem Vergnügen anhören mag.

Die Leistung des Hartt School Wind Ensemble unter dem Dirigat seines Leiters Glen Adsit ist auf dieser CD nichts weniger als g r o ß a r t ig! Den Anforderungen der zum Teil immens anspruchsvollen Musik vollständig gewachsen, mit einer begeisternden Klangkultur und einem extrem akkuraten Zusammenspiel ist dies ein Spitzenensemble, das weltweit ganz vorne mitmusizieren kann.
Auch die Solisten Anton Miller (Geige) und Carrie Koffman (Sopransaxophon) kann man nur als Weltklasse bezeichnen.

Gleiches gilt für den hervorragenden, hoch auflösenden, hyperbrillanten HiFi-Sound dieser Scheibe: Er lässt nicht nur das Blech des Hartt School Wind Ensembles in Glanzgold strahlen, sondern er vergisst auch die Wärme der Holzbläser und die mächtigen Abgründe von Posaunen, Tuben und dem übermütig lärmenden Pauken-Finale des Chen Yi-Stücks nicht.

Fazit: Eine der überraschendsten Positiv-Entdeckungen des laufenden Veröffentlichungsjahres mit einem musikalisch sehr überzeugenden Programm und einer interpretatorischen Glanzleistung, die auf einem Hifi-klanglichen Silbertablett serviert wird. Das kann logischerweise nur bedeuten, dass diese CD weit oben auf unserer the-listener.de Auswahlliste zur „CD des Jahres 2012“ notiert wird.

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