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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

S. Rachmaninoff - Sinfonie Nr. 2 / L. Bernstein - Candide-Overture
Philharmonia Orchestra / London Symphony Orchestra - E. Swetlanow

(2012)
ica classics / Naxos

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Sergej Rachmaninoff - Sinfonie Nr. 2 / Leonard Berstein - "Candide"-Overture

Swetlanow in London

von Rainer Aschemeier  •  14. September 2012
Katalog-Nr.: ICAC 5078 / EAN: 5060244550780

Seit einiger Zeit legt das Archivlabel „ica classics“ in schöner Regelmäßigkeit hochklassig remasterte Rundfunkaufnahmen aus den Archiven von BBC und WDR auf CD vor. Sein wir ehrlich: Viele dieser Archivaufnahmen mögen vor allem für Sammler und Spezialisten ein Ereignis sein, haben aber für den Kanon dessen, was man unbedingt gehört haben muss kaum eine Relevanz. Oder, um es geradeheraus zu sagen: Referenzeinspielungen hört man bei solchen Archivlabels nur selten mal.

Einen solch seltenen Fall haben wir hier mit einer schlicht umwerfenden Einspielung der zurecht beliebten zweiten Sinfonie des Russen Sergej Rachmaninoff. 1993 in der Royal Festival Hall of London von der BBC aufgezeichnet, markiert die nun erstmals auf CD erschienene Archivaufnahme eine Sternstunde in der Geschichte des Philharmonia Orchestra. Dort fand sich seinerzeit der legendäre russische Dirigent Ewgeny Swetlanow ein und trieb das Orchester bei der Interpretation eines seiner erklärten Lieblingsstücke des russisch-sinfonischen Repertoires zu physischen und interpretatorischen Höchstleistungen.
Zwar vermag diese neue ica-CD nicht ganz die Perfektion der im letzten Jahr erschienenen neuen Referenzeinspielung der Sinfonie durch das Royal Philharmonic Orchestra (Rezension siehe hier) zu knacken, doch gelang Swetlanow mit der Philharmonia anno 1993 eine ungemein ausdifferenzierte, an emotionalen Höhepunkten, ja, ich möchte fast sagen „emotionalen Exzessen“, reiche Darbietung.

Besonders die extreme Dynamikpalette, die Swetlanow aus dem mit äußerster Anspannung agierenden Philharmonia Orchestra herauskitzelt, ist beeindruckend. Spannend ist aber auch, wie „kammermusikalisch“ er die Partitur behandelt, wie gezielt und wohlorientiert er einzelne Stimmen aus dem dichten Satz herausmeißelt und exponiert. Das ist in der Tat eine Weltklasse-Einspielung, wenngleich man festhalten muss, dass in ihr auch eine nicht unproblematische Eigenschaft Swetlanows zum Ausdruck kommt. Denn Swetlanow, der auch Komponist (im spätromantischen Stil) war (mehr Informationen dazu siehe hier), verstand sich selbst als kompositorischen Epigonen Rachmaninoffs.
So weit, so gut – allerdings genügte es ihm offenbar nicht, diese „Nachkommenschaft“ auf seine eigenen Kompositionen zu beschränken. Stattdessen erlaubte er sich auch in der hier zu hörenden Interpretation von Rachmaninoffs Zweiter ziemlich viele Eigenmächtigkeiten an der Grenze des gerade noch Statthaften. Und so ist dies hier auch eine CD, bei der sich die Gelehrten streiten können. Nimmt man nämlich eine Studienpartitur zur Hand, wird klar, wie „frei“ Swetlanow diese Musik zuweilen interpretiert.
Allerdings muss man auch klar und deutlich sagen, dass der Effekt, den er damit erzielt, in den allermeisten Fällen so umwerfend großartig ist, dass einem jegliches Herumkritisieren im Halse steckenbleibt.

Keine Frage: Diese CD ist ohne jeden Zweifel eine der aufsehenerregendsten Archiventdeckungen der letzten Jahre. Rachmaninoff-Sammler dürfen sie ebenso wenig verpassen, wie die eingangs erwähnte neue Referenzeinspielung des Royal Philharmonic Orchestra, die im letzten Jahr erschien. Und ja, auch „Neueinsteiger“ in das Werk Rachmaninoffs sind mit dieser CD sehr gut bedient – auch, wenn sie die erwähnten Eigenmächtigkeiten Swetlanows enthält.

Beim Klang von Archivaufnahmen muss man ja leider oft Abstriche machen. Bei dieser BBC-Produktion ist – abgesehen von den unvermeidbaren kleinen Unzulänglichkeiten einer Liveaufnahme – aber alles im grünen Bereich: Für eine Aufnahme aus dem Jahr 1993 ist die Auflösung und Tiefenstaffelung mehr als vorbildlich, eher schon sensationell. Etwas störend bemerkbar macht sich höchstens eine leichte Überbetonung des mittleren Frequenzspektrums, die aber angesichts der Live-Situation als verzeihlich gelten kann und auch wirklich kaum ins Gewicht fällt.

Die klanglichen Abstriche bei der auf der CD ebenfalls enthaltenen Darbietung der schmissigen „Candide“-Overture von Leonard Bernstein sind ungleich größer. Diese Aufnahme der BBC aus dem Jahr 1978, aufgezeichnet in der Ulster Hall von Edinburgh, kann aber so oder so nicht überzeugen. Weder hatte das hierbei zu hörende London Symphony Orchestra einen guten Tag, noch der zuständige Tonmeister, noch Maestro Swetlanow selbst, der Bernstein wohl irgendwie mit Schostakowitsch verwechselt haben muss – jedenfalls klingt es so…

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