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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

S. Pohjola - Sinfonien Nr. 1 & 2
Finnisches Radio-Sinfonie-Orchester - S. Oramo

(2012)
Alba

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Seppo Pohjola - Sinfonien Nr. 1 & 2

Entdeckenswerte sinfonische Neuheiten aus Finnland

von Rainer Aschemeier  •  7. September 2012
Katalog-Nr.: ABCD 339 / EAN: 6417513103397

Es soll ja Leute geben, die trauern der „klassischen“ Moderne hinterher – zum Beispiel den deutschen Expressionisten, die um die 1920er-/30er-Jahre herum den Zeitgeist prägten und es verstanden, akademisch fundierte und trotzdem rasant moderne Musik zu erschaffen, die nicht zuletzt auch noch einem breiten Publikum zugänglich zu machen war.
Und auch wenn das eine ziemlich reaktionäre und überaus konservative Haltung ist, kann man solcherart Ansinnen durchaus verstehen. Die Expressionisten jener Jahre, allen voran Paul Hindemith, haben schließlich Großes geleistet, haben Musik geschrieben, die sich jenseits jeglicher Kritikfähigkeit befindet, die keine Maßstäbe braucht, sondern selbst Maßstab wurde.

Warum aber komme ich hier mit den Expressionisten um die Ecke, wenn ich die neueste CD des finnischen Qualitätslabels „Alba“ besprechen möchte?
Natürlich liegt’s am Komponisten und dessen Musik. Mit den beiden ersten Sinfonien des immer namhafter werdenden Finnen Seppo Pohjohla (1965 geboren) liegt nämlich mal eine CD vor, welche den Konservativen und den „Neutönern“ gleichermaßen behagen dürfte.

Vor allem Pohjohlas erste Sinfonie aus dem Jahr 2002 trägt viel vom Geist Paul Hindemiths in sich – und das ist durchaus als Kompliment gemeint! Das Stück fußt auf einer persönlichen Tragödie im Leben des Komponisten, nämlich dem plötzlichen Tod seiner beiden Brüder. Ihnen ist die klassisch viersätzig gehaltene Sinfonie gewidmet.
Das Stück scheint auch inhaltlich eine Trauerarbeit zu sein. Man achte zum Beispiel auf die zahlreichen musikalischen Zitate, die Pohjola in seinen sinfonischen Erstling eingeflochten hat. Da erklingt unverkennbar das „Dies Irae“ aus der gregorianischen Totenmesse, da ertönt (zugegebenermaßen ziemlich maskiert) Johann Sebastian Bachs „Air“ aus der Suite BWV 1068, usw. Auch die Hinwendung zum „Hindemith’schen Tonfall“ mag man in dieser Richtung deuten – erinnert die Musik von Pohjolas erster Sinfonie doch zuweilen frappierend an Hindemiths „Mathis“ oder auch an dessen „Trauermusik“.
Die gesamte Sinfonie vermag völlig zu überzeugen, sprüht vor originellen Ideen und ist eine der reizvollsten Kompositionen jüngeren Datums, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Im Verlauf des Stücks ist vor allem der durchgängig im piano und sogar pianissimo gehaltene zweite Satz bemerkenswert, der im engeren Sinne sicherlich die „modernste“, soll heißen zeitgemäßeste Musik beinhaltet, während die anderen Sätze eher rückwärtsgewandt zu sein scheinen und sich, wie gesagt, eher an der klassischen Musikmoderne der Expressionisten orientieren.

Spannend ist es dann, die zweite Sinfonie Pohjolas (2006) im Vergleich zu hören. Sie ist viel quirliger, atonaler, auch eigenständiger als ihre Vorgängerin. Pohjola scheint hier mehr „er selbst“ zu sein, orientiert sich weniger an Vorbildern aus der Vergangenheit der Musikgeschichte. Zwar kommt er auch in diesem Stück nicht von seiner expressionistischen Grundierung los, muss er ja aber auch gar nicht; denn einer, der so schreibt wie es Pohjola tut, bewegt sich auf zeitlos modernen Pfaden.
Im zweiten Satz der zweiten Sinfonie ertönt entgegen dem klassischen Sinfonie-Muster ein Scherzo mit geschickt integrierten, hölzernen Perkussionsinstrumenten. Durch die Aura von Xylophon und co. fühlt man sich zuweilen an die Klangwelt des späten Schostakowitsch (ich nenne jetzt mal als konkretes Beispiel dessen 15. Sinfonie) erinnert.
Doch bereits im dritten Satz präsentiert uns der wandlungsfähige finnische Komponist Pohjola wieder eine andere Seite seiner musikalischen Kunstfertigkeit. Der düster-kontemplative dritte Satz der Zweiten entwickelt sich zum vielleicht modernsten Stück Musik, das man auf dieser schönen und sehr lohnenswerten SACD aus dem Hause „Alba“ entdecken kann, bevor er dann in einen ungestümen Schlusssatz überleitet, der fraglos wieder Erinnerungen an Werke von Expressionisten wie etwa Ernst Krenek oder Ernst Toch aufkommen lässt.

Das Finnische Radiosinfonieorchester unter der Leitung des erfahrenen Dirigenten Sakari Oramo macht auf der vorliegenden CD eine recht gute Figur und erweist sich allen Herausforderungen der rhythmisch zuweilen wagemutigen Musik vollauf gewachsen. Das mag auch an dem zwar etwas routiniert, aber doch sehr hochrangig routiniert wirkenden Dirigat des finnischen Stardirigenten Sakari Oramo liegen. Er, der 1998 den Dirigierstab in Birmingham von seinem Vorläufer Sir Simon Rattle übernahm, als der zu den Berliner Philharmonikern wechselte, ist neben seinem Job in Birmingham zudem auch Chefdirigent des hier zu hörenden Finnischen Radiosinfonieorchesters. Ab 2013 wird er in Birmingham quittieren und zum BBC Symphony Orchestra wechseln. Auch, als er Anfang dieses Jahres (2012) für den erkrankten Lorin Maazel bei den Wiener Philharmonikern einsprang, war das Medienecho sehr positiv.
Sowohl das Label „Alba“, als auch der finnische Komponist Seppo Pohjola können sich also glücklich schätzen, dass hier ein so prominenter Pultstar den Taktstock schwingt.

Was bei der vorliegenden SACD durchaus verbesserungsfähig gewesen wäre, ist der Aufnahmeklang, der hauptursächlich dafür ist, dass das Orchester zu kompakt und eindimensional wirkt. Die Musik Pohjolas, die jede Menge Potenzial für räumliche Tiefenstaffelung zugelassen hätte, hätte ich mir etwas differenzierter und transparenter aufgezeichnet gewünscht, als wir das hier hören können. Das überrascht etwas, denn sonst ist „Alba“ ja für seinen audiophilen Anspruch bekannt. Vielleicht können sich aber Hörer der auf der SACD vorhandenen 5.0-Surround-Spur an der begehrten Räumlichkeit erfreuen. Da ich aus Überzeugung meine Anlage ganz auf hochklassigen Stereo-Genuss ausgerichtet habe, kann ich zum Surroundsound dieser SACD-Novität nichts beitragen. Es wäre zu wünschen, dass man dort auf die Tiefenstaffelung und Dreidimensionalität trifft, die der Stereo-Mix dieser Aufnahme leider nicht hergibt.

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