H. Villa-Lobos - Sinfonien Nr. 6 & 7 (2012)
• • • • • Heitor Villa-Lobos - Sinfonien Nr. 6 "On the Outline of the Mountains of Brazil" & 7Grandioser Villa-Lobos aus São Paulo!von Rainer Aschemeier • 1. September 2012
Bereits in den 1990er-Jahren hatte das SWR-Sinfonieorchester unter der Leitung des texanischen Dirigenten Carl St. Clair eine Gesamteinspielung der famosen Sinfonien des brasilianischen Vaters der Musikmoderne – Heitor Villa-Lobos – begonnen, die seinerzeit viel Aufmerksamkeit erregte, so auch bei uns (siehe hier). Unter der Leitung des renommierten Villa-Lobos-Experten Isaac Karabtchevsky, der bereits Ende der 1980er-Jahre eine sehr sehr gute Gesamteinspielung von Villa-Lobos populären „Bachianas Brasileiras“ beim Harmonia Mundi-Ableger „Iris“ vorgenommen hatte, erklingen auf dieser Naxos-Novität zwei der schönsten und zugänglichsten Sinfonien des brasilianischen Maestros. Karabtchevsky hat diese Musik hingegen so verinnerlicht, dass er mit seinem Dirigat über das erneut grandios aufspielende Sinfonieorchesters aus São Paulo den Geist des Komponisten förmlich auszuatmen scheint – so „aus einem Guss“ erscheinen diese Aufnahmen. Sie sind auf der vorliegenden CD nicht nur glänzend interpretiert, phrasierungstechnisch durchwegs konsistent und überzeugend, sondern (und das ging der St. Clair-Einspielung leider etwas ab) in hohem Maße ausbalanciert und harmonisch nachvollziehbar. Villa-Lobos‘ Musik bewegt sich hin und wieder am Rande des Chaos, kommt mit ungemein dichten und komplexen Instrumentationsgeweben daher – und kann daher Orchester und Dirigenten vor große Probleme stellen. Das Ergebnis ist mehr als beeindruckend. Wer Villa-Lobos nur von seinen bekannten „Bachianas Brasileiras“ her kennt, wird sich wundern, dass Exotismen (wie sie in Villa-Lobos sonstigem Werk durchaus gang und gäbe sind) in den Sinfonien kaum vorkommen. Insbesondere die sechste Sinfonie ist ein Highlight sondergleichen. Villa-Lobos komponierte die Hauptthemen der einzelnen Sätze mithilfe von Schablonen, die er über Foto-Positive der Bergketten von Brasilien legte. Jeder Gipfel markierte eine Note, die horizontalen Abstände zwischen den Bergen wurden zu Tonlängen, die vertikalen Abstände legten die Tonhöhen fest. Keine Frage: Heitor Villa-Lobos, der von den meisten Komponistenkollegen seiner Zeit als kongenialer Partner eingestuft wurde, war zu Lebzeiten berühmter und geschätzter, als er heute ist. Zu Villa-Lobos‘ Zeit in Paris (1923 und 1927-30) kam es in der dortigen Musikszene, die seinerzeit als die bedeutendste in Europa, wenn nicht der ganzen Welt galt, zu einer regelrechten „Villa-Lobos-Verschossenheit“, die Igor Strawinsky zu sarkastischen Kommentaren verleitete, auf die Heitor Villa-Lobos wenig charmant zurückgepatzt haben soll: „Strawinsky? Ein alter Furz!“. Heitor Villa-Lobos ist eine zentrale Figur der Musikmoderne, und kein Label hat das früher erkannt, als Naxos bzw. Marco Polo. Mit durch die Bank sehr guten Einspielungen liegt dort das wohl beachtlichste Archiv für eingespielte Musik aus Villa-Lobos‘ Feder vor. Wenngleich auch Mitbewerber wie das schwedische High-End-Label „BIS“ in den Nullerjahren einige wegweisende Aufnahmen herausgebracht haben (so etwa die Gesamteinspielung der „Choros“ – Villa-Lobos‘ zweitem zusamenhängenden Zyklus nach den „Bachianas Brasileiras“), ist nun zweifellos Naxos die richtige Adresse, um diese phänomenalen Neueinspielungen der Villa-Lobos-Sinfonien zu veröffentlichen. Neben der bereits erwähnten Klasse der Interpretation, die sich hier findet, ist auch der sehr gute Klang dieser Scheibe zu betonen, der erneut von Tonmeister Ulrich Schneider in Szene gesetzt wurde. Für BIS und Sony Classics hatte Schneider bereits gezeigt, was er kann, und nahtlos zieht er sein Konzept nun auch für Naxos durch. Fazit: Wenn alle CDs des neuen Villa-Lobos-Sinfonienzyklus so überzeugend werden, wie diese hier, dann steht uns ein editorisches Großprojekt ins Haus, das sich gewaschen hat – und das bisherigen Mitbewerbern, obschon die nicht von schlechten Eltern sind, nicht den Hauch einer Chance lässt… |
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