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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

H. Berlioz - Symphonie Fantastique / Le Corsaire (Ouvertüre)
Orchestre National de Lyon - L. Slatkin

(2012)
Naxos

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Hector Berlioz - Symphonie fantastique / Le corsaire

Leonard Slatkins furioser Auftakt in Lyon

von Rainer Aschemeier  •  29. August 2012
Katalog-Nr.: 8.572886 / EAN: 74731328867

Einspielungen der „Symphonie fantastique“ sind Legion auf dem internationalen CD-Markt. Umso erstaunlicher eigentlich, dass es bei uns auf www.the-listener.de in den immerhin neun Jahren, die wir inzwischen im www unterwegs sind, bislang noch nie eine Rezension einer Einspielung des Stücks gegeben hat.
Ändern wir das also jetzt mal, und zwar mit einer Aufnahme, die zweifellos ein Bestseller werden wird.

Die Kombination Slatkin/Berlioz sollte eigentlich schon ausreichen, um die Käufer zu locken – gilt Slatkin mit seinen höchst gelobten Einspielungen der Dukas-Sinfonie auf RCA, seinen Tschaikowsky-Beiträgen (ebenfalls RCA) sowie seinen sehr sehr guten Mahler-Interpretationen (auf Telarc) doch als Spezialist für die herausragenden Romantiker, „Stürmer und Dränger“.
Doch diese neue Aufnahme markiert zudem Slatkins Auftakt als Generalmusikdirektor beim Orchestre National de Lyon. Er, der zuvor schon Orchester wie unter anderen das St. Louis Symphony, das Detroit Symphony und das BBC Symphony Orchestra leitete, während er seit ewigen Zeiten als erster Gastdirigent des Royal Philharmonic Orchestra geführt wird, überschreitet nun erstmals die Sprachbarriere und wechselt nach Frankreich.

Dieser Schritt erscheint mutig, denn die Destination Lyon mit seinem Orchester, das zwar bereits verzügliche Aufnahmen abgeliefert hat, ansonsten aber noch immer eher als Geheimtipp unter den europäischen Spitzenensembles gilt, muss man nicht zwingend als Aufstieg in der Karriere des Stardirigenten deuten.
Letzten Endes kommt es aber darauf an, was man draus macht – und da sieht die Bilanz nach dieser neuen Debüt-CD recht gut aus.

Leonard Slatkin hat eine Stärke des Orchesters aus Lyon offenbar sofort ausgemacht und setzt gezielt dort an, wo es schon von Hause aus am besten war, nämlich bei seiner beeindruckenden Fähigkeit zur dynamischen Feinabstufung.
Vom sanftesten, flirrenden Pianissimo bis hin zu markerschütternden Fortefortissimo-Attacken in den letzten beiden Sätzen von Berlioz‘ bis heute für seine Zeit fast schon erschreckend moderner Sinfonie – Slatkin holt in Sachen Dynamik das Beste vom Besten aus seinem neuen Orchester. Wenngleich dies auch nicht immer mit unbedingter Exaktheit einhergeht (wobei vor allem die Streicher manches Mal dem Rest der Mannschaft eine Winzigkeit hinterher zu hecheln scheinen), ist das Ergebnis doch insgesamt sehr beeindruckend.
Slatkin schafft es vor allem, die dicht gesetzte Partitur ungemein durchhörbar und transparent zu gestalten. So transparent sogar, dass ich sagen möchte, dass ich das in der Konsequenz noch nicht gehört habe. Das ist eine hochgradig beeindruckende Leistung von Dirigent und Orchester, aber auch von der äußerst hochklassigen Tontechnik, für die – wie so oft in Lyon – Naxos‘ Mann für die audiophile Spitzenklasse verantwortlich zeichnet, nämlich Tim Handley. Das, was Handley hier gezaubert hat, gehört im Marktvergleich zu den best klingendsten Berlioz-Aufnahmen, die man sich anschaffen kann und genügt selbst sehr hoch gesteckten HiFi-Ansprüchen vollkommen!

Eine „Marotte“ von Leonard Slatkin, die auch in der hier neu vorliegenden Einspielung deutlich wird, ist seine Vorliebe für eher langsame Tempi. Das steht insbesondere dem zweiten Satz („Ein Ball“) sowie dem dritten („Szene auf dem Lande“) ausgezeichnet zu Gesicht. Wie im dritten Satz gewissermaßen „die Stimmung kippt“, wie der tragischen Liebesgeschichte, die Berlioz der Sinfonie zugrunde gelegt hat, plötzlich die diabolische Selbstvernichtungsvision des Protagonisten entspringt, hat Slatkin in beeindruckend psychologisierender Weise freigelegt. Etwas enttäuschend finde ich hingegen den „Marsch zum Schafott“, der mir einerseits etwas zu sehr auf vordergründigen Effekt zielt, andererseits sehr zäh und langsam ausgefallen ist. Das Plärren der Posaunen (im Original übrigens die heute nicht mehr gängige Ophikleide, die einst wohl etwas weniger „apokalyptisch“ tönte als die heute meist eingesetzte klangmächtigere Posaune) und die Triolen der Pauke sind hier zwar vorbildhaft zu hören, doch das rechte „Feeling“, die unheilvolle Spannung über der Szenerie, wollen nicht so recht aufkommen.
Der folgende „Hexensabbat“ – sicherlich von den meisten Hörern als das „Highlight“ dieser beliebten Komposition betrachtet – weiß da schon mehr zu überzeugen, wobei es Slatkin und seinen Lyonern nicht gelingen will, die metaphysische Dichte des Geschehens so treffend widerzuspiegeln, wie es einst zum Beispiel Lorin Maazel mit dem Cleveland Orchestra geschafft hatte.
Immer wieder hat man beim französischen Nationalorchester aus Lyon auch den Eindruck, dass zumindest einzelne Leute im Ensemble (so zum Beispiel der Percussionist, der die „Kirchenglocken“ beim Hexensabbat übernahm) gelegentlich so ihre liebe Mühe mit der komplizierten Rhythmik der Partitur haben.

Halten wir also fest: Erstens – Diese Einspielung der Symphonie fantastique ist bemerkenswert transparent dirigiert, gespielt und aufgenommen. Es gibt wohl kaum eine bessere CD, wenn man Berlioz‘ Orchestrierung studieren will und sich mit einer Studienpartitur vor die HiFi-Anlage pflanzen möchte. Auf dieser sensationell hoch auflösend eingespielten CD hört man einfach alles!
Zweitens – an sich ungewöhnlich (denn meist ist es anders herum) überzeugen auf dieser CD die ersten drei Sätze der fantastischen Sinfonie mehr als die gemeinhin als „Highlight“ betrachteten Schlusssätze.

Ich würde diese CD durchaus empfehlen, denn sie ist in der Tat sehr gelungen und offenbart einen durchaus individuellen Interpretationsansatz, der es sehr wohl wert ist, gehört zu werden. Gleichwohl kann man kaum verleugnen, dass es insgesamt betrachtet in sich stimmigere Einspielungen auf dem Markt gibt. In jedem Fall aber ist die Scheibe ein echtes HiFi-Highlight!

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