J. Cage - Klaviermusik
G. Simonacci
(2012)
Brilliant Classics / codaex
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Cage im Samtgewand
von Rainer Aschemeier • 30. Juli 2012
Katalog-Nr.: 9263 / EAN: 5029365926324
CDs mit Musik von John Cage, jenem großen Vertreter der US-amerikanischen Musikmoderne des 20. Jahrhunderts, hatten wir in letzter Zeit öfter mal „im Angebot“, so zum Beispiel hier und hier. Sabine Liebners Neueinspielung von John Cages „Etudes Australes“ avancierte bei www.the-listener.de sogar zu einer unserer drei CDs des Jahres 2011.
Nun folgt eine sehr interessante 3CD-Box mit Klaviermusik von John Cage auf Brilliant Classics. Interpret ist der renommierte italienische Pianist Giancarlo Simonacci, dessen Neueinspielung des Klavierwerks von Ildebrando Pizzetti wir im letzten Jahr mit viel Lob bedenken konnten (s. hier).
Simonacci hat auf Brilliant Classics bereits einige, vor allem von der Presse im englischsprachigen Raum sehr gelobte Cage-Einspielungen vorgelegt, die von Kammermusik bis hin zur Musik für vierhändiges und Solo-Klavier reichten.
Man kann diese neue Box also als Fortsetzung einer „Reihe“ begreifen, was die Veröffentlichung sicherlich nur umso interessanter erscheinen lässt.
Simonacci wagt sich mit den hier vorgestellten Stücken erstmals auf das tendenziell unsichere Gebiet des „reifen“ Cage-Stils. „Music for Piano 1-84“ enstand 1957, die anderen Stücke „One“, „One²“, „One⁵“ sowie das berühmt-berüchtigte „ASLSP“ (soll heißen: As SLow aS Possible) noch später. Vor allem der Einbezug von ASLSP (aus dem Jahr 1985, bzw. 1987 für Orgel umgestaltet) ist für jeden Vortragenden ein Wagnis, denn was genau soll das heißen: „So langsam, wie möglich?“.
Bekanntermaßen gibt es in der Burchardikirche in Halberstadt das John Cage-Orgelprojekt, dass den Vortrag des Stückes „ASLSP“ im Jahr 2000 begann. Alle paar Jahre (!) ändert sich dort eine Note, sodass der Abschluss des Vortrags von ASLSP dort für das Jahr 2639 geplant ist. DAS ist jedenfalls verdammt langsam.
Simonacci hingegen bleibt in für Menschen nachvollziehbaren Sphären und bringt das Stück in guten Zwanzig Minuten Spielzeit zur Aufführung. Sehr langsam klingt das nicht…
Es dürfte klar geworden sein, dass Cages Musik ihren Interpreten viel abverlangt. Von Cages Spätwerk gibt es kaum zwei Aufführungen/Aufnahmen, die gleich klingen. Cage wendete häufig aleatorische Kompositionstechniken an, also Techniken, die auf dem Zufall beruhen.
Er gab seinen Interpreten einerseits Freiheiten, die so groß sind, dass sie sich ebenfalls darin äußern müssen, dass der Interpret das Stück quasi „nachkomponiert“.
Andererseits erlegte er Musikern bei der Aufführung seiner Kompositionen so strikte Beschränkungen auf, dass diese sich fühlen müssen, wie im Korsett.
Diese Gradwanderung wagen nur wenige – weil man dabei nämlich grandios scheitern kann. Und so gibt es viele, viele Cage-Klaviermusik-CDs, die zumindest mich überhaupt nicht überzeugen können.
Simonacci hingegen schlägt sich sehr tapfer. An seiner makellosen Technik und seiner offensichtlichen Hingabe zu den Klängen des US-Komponisten ist absolut nichts auszusetzen. Hier musiziert jemand, der diese Musik wirklich liebt.
Gerade das könnte aber auch das Problem für manchen Cage-Anhänger sein. Die „Music for Piano 1-84“ zum Beispiel interpretiert Giancarlo Simonacci als sei sie spätromantische Klaviermusik. Mit verhältnismäßig viel Legato ausgestattet und mit einem umwerfend „sahnigen“ Klavierklang ausgestattet klingt das in meinen Ohren manchmal so, wie in früheren Zeiten, als Herbert von Karajan gelegentlich auch neuere Musik dirigierte.
Giancarlo Simonacci sucht als Interpret den Schönklang in Cages gewolltem Chaos.
Das klingt zweifellos wunderbar – und ich persönlich komme damit sehr gut klar. Ob es aber auch den „Hardcore“-Fans von John Cage gefallen wird, wage ich zu bezweifeln. In der Tat kann man in Sachen Cage vielerlei Meinung sein. Und so gibt es wohl ebensoviele Leute, die der Meinung sind, der Interpret habe bei Cage alle Freiheiten (also auch die der „Romantisierung“ des Vortrags) wie Leute, die meinen, der Interpret müsse sich bei einem Cage-Vortrag am besten „komplett raushalten“.
Giancarlo Simonacci spielt – wie schon bei der hervorragenden letztjährigen Pizzetti-CD – auf einem enorm klangschönen Fazioli-Flügel in der akustisch offenbar bestens disponierten Fazioli-Konzerthalle der italienischen Stadt Sacile. Tonmeister Matteo Costa und Gabriele Robotti haben auch diesmal wieder einen samtig-sahnigen Luxusklang gezaubert, den Giancarlo Simonacci aber auch willig bedient.
Fazit: Wer diese 3CD-Box erwirbt, erhält Cage im Samtgewand. Für Einsteiger ist das womöglich gar nicht mal falsch. Cage-Hardliner im engstirnigen Sinne werden das nicht mögen.
Ich persönlich mag es durchaus und kann diese CD-Box absolut empfehlen. Giancarlo Simonacci ist ein hervorragender Interpret, der Aufnahmeklang ist wie ein Bad in warmer Milch mit Honig. Über eine gute Anlage gehört, ist diese CD klanglich betrachtet der pure Hochgenuss. Simonacci betont die Schönheiten von Cages Musik und nimmt ihr die Sprödheit.
Ob man das statthaft findet oder nicht, muss jeder selbst entscheiden. Ich sehe es als eine Alternativoption, die mir persönlich ganz gut gefällt.