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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Th. Dubois - Klavierkonzert Nr. 2, Ouvertüre "Frithiof", Dixtuor
Les Siècles - François-Xavier Roth; Vanessa Wagner (piano)

(2012)
Musicales Actes Sud / harmonia mundi France

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Théodore Dubois - Klavierkonzert Nr. 2 / Ouvertüre "Frithiof" / Dixtuor

Die womöglich beste Dubois-CD, die bislang erschienen ist

von Rainer Aschemeier  •  14. Juni 2012
Katalog-Nr.: ASM 09 / EAN: 3149028017625

Wer unter Musikfans, selbst unter versierten, nach französischen Spätromantikern fragt, wird höchstwahrscheinlich die „üblichen Verdächtigen“ genannt bekommen: Camille Saint-Saëns… (lange Pause) dann wohl César Franck (obwohl der Halb-Belgier war) und vielleicht noch Charles-Marie Widor (wenn der Befragte ein Faible für Orgelmusik hat).
Kaum jemand aber wird auf Anhieb den Namen Théodore Dubois aus dem Ärmel schütteln. Dabei war dieser Komponist zu seinen Lebzeiten (und er ist schließlich noch nicht einmal Hundert Jahre tot…) eine der wichtigsten Musikerpersönlichkeiten Frankreichs, darüber hinaus Organist von Weltruf und der vielleicht bedeutendste Kompositionsprofessor im französischen Sprachraum.

Camille Saint-Saëns (links) wird am 15. Juni des Jahres 1909 von Théodore Dubois vom Bahnsteig abgeholt. (Urheberschutzfrist des Bildes abgelaufen).

1861 gewann er den Prix de Rome, den bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts hinein wohl bedeutendsten Kompositionspreis der Welt.
Er war Organist am Invalidendom und an der Madeleine und übernahm 1896 schließlich die Leitung des legendären Pariser Conservatoire, der wohl wichtigsten Ausbildungsstätte für Musiker im ausgehenden 19. Jahrhundert neben dem Moskauer Konservatorium.

Wie und warum konnten also dieser Mann und sein Werk derart in Vergessenheit geraten? Noch vor wenigen Jahren gab es Musik von Dubois praktisch weder auf den Spielplänen der Orchester noch auf den Listen der CD-Labels.
Der Grund ist wohl darin zu suchen, dass es sich bei Dubois (ähnlich übrigens wie beim Deutschen Max Bruch, der zu Dubois Lebzeiten als Kompositionsprofessor in Berlin wirkte) um einen kompromisslosen Traditionalisten handelte. Théodore Dubois komponierte in aller Regel streng formbewusst und ohne jedwelche Abenteuerlichkeiten. Ihm wäre es nie eingefallen, eine Orgelsinfonie zu komponieren, wie sein Freund und Zeitgenosse Saint-Saëns, und schon gar nicht wäre ihm in den Sinn gekommen, etablierte Formen wie Konzert oder Sinfonie irgendwie ausweiten zu wollen oder gar aus ihnen auszubrechen, wie es damals Komponisten wie Gustav Mahler oder der junge Strawinsky taten. Ein enfant terrible wie Erik Satie muss auf Dubois gewirkt haben, wie vom anderen Stern. Vermutlich fand er den Exzentriker aus Arcueil aber vor allem lachhaft.

Der Preis dieser harten Haltung war ein frühes Vergessen. Während Satie, Strawinsky, Milhaud, Debussy usw. mit ihren zum Teil revolutionären Kompositionen die Musikwelt völlig umwälzten, geriet die Musik Dubois zunehmend aus der Mode, und so blieb es im Prinzip bis heute. Ja, die Biographien von Dubois und Bruch haben in der Tat ihre Gemeinsamkeiten.

Seit einigen Jahren sorgen deutsche und französische CD-Labels dafür, dass das quantitativ sehr große Œuvre Théodore Dubois zumindest teilweise wieder dem kollektiven Vergessen entrissen wird. So konnten wir im letzten Jahr zum Beispiel die Weltersteinspielung des Dubois’schen Violinkonzerts begrüßen (Rezension siehe hier), wenngleich jene Aufnahme nicht eben exemplarisch zu nennen war.

Nun folgt eine Einspielung des Klavierkonzerts Nr. 2 von dem hierzulande praktisch unbekannten Orchesters „Les-Siècles“ unter der Leitung von Francois-Xavier Roth, der bekanntlich seit September 2011 Chefdirigent des SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg ist.

Solistin der vorliegenden Einspielung, die in meinen Augen aufsehenerregend ist, ist Vanessa Wagner.
Die CDs des „Les-Siècles“-Orchesters, das ausschließlich auf historischen Instrumenten musiziert, erscheinen seit mehreren Jahren bereits beim französischen Buchverlag „Actes Sud“ und sind in Deutschland im Vertrieb von harmonia mundi France erhältlich. Falls aber hiesige CD-Händler doch an ihre Grenzen stoßen, halten Online-Händler wie jpc.de oder amazon.de die CD zum für Sammler noch erträglichen Preis von etwa 15 bis 19 Euro bereit.

Und diese CD hat es wahrlich in sich. Ja, ich möchte sagen, das ist mal ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt, und sicherlich ist es die beste Dubois-Orchester-CD, die bislang aufgetaucht ist.

Das Orchester „Les-Siècles“ ist dem Booklet-Text zufolge ein Ensemble, das sich aus Mitgliedern der großen, namhaften Orchester Frankreichs rekrutiert. Welche das sind, darüber lässt man die Hörer im Unklaren, doch angesichts der beachtlichen Qualität dieser Aufnahme würde es mich nicht wundern, wenn man bei „Les Siècles“ Musiker aus den Reihen des Orchestre de Paris und ähnlich renommierten Klangkörpern wiederfindet.

Das vorgestellte Programm umfasst nicht nur Dubois‘ zweites Klavierkonzert, sondern erfreulicherweise erlaubt es uns auch einen Blick auf Dubois als Opernkomponisten, indem uns die Ouvertüre zur Oper „Frithiof“ als Eröffnung präsentiert wird. Danach folgt das (erstaunlicherweise) viersätzige Klavierkonzert, bevor uns zum Schluss noch mit dem „Dixtuor“ ein wunderbar facettenreiches Stück für eine Kammerorchesterbesetzung aus zehn Musikern offeriert wird.
Alle vorgestellten Werke sind samt und sonders wirklich besonders schön und retten damit Dubois‘ guten Ruf, nachdem das letztjährig veröffentlichte Violinkonzert schon fürchten ließ, Dubois‘ Kompositionskünste wären im sinfonisch-orchestralen Bereich eventuell nachhaltig hinter seinen Meriten im Orgel- und Kammermusiksektor zurückgeblieben.

Die Musiker auf dieser Aufnahme geben wirklich alles, musizieren das ganze Programm mit Seele und großer Hingabe zur Musik. Es ist dies somit die erste CD mit Dubois-Musik die ich kenne, die wirklich samt und sonders vollkommen empfehlenswert ist.

Dies ist keine reine CD für Entdecker und Abenteurer, sondern es ist vielmehr eine lupenreine Referenzeispielung, die jeden Liebhaber spätromantisch-schwelgerischer Orchestermusik ansprechen wird.

Zudem ist der Aufnahmeklang (obwohl es sich durchwegs um Liveaufnahmen handelt) ganz vorzüglich geraten. Man kann dieser CD also durchaus auch eine hohe HiFi-Tauglichkeit bescheinigen. Dieser Umstand unterscheidet sie ebenfalls von der letztjährigen Dubois-Veröffentlichung auf dem französischen BNL-Label.
Wer trotzdem unbedingt meckern will, würde die aufgrund einer sehr „nahen“ Abnahme der Instrumente gelegentlich fehlende Räumlichkeit des Klangbilds bemängeln und eventuell noch einen Hang zur Überbetonung des Bassbereichs beanstanden können. Doch der Bass ist knackig! Es wummert nicht, es wummst! Und dadurch kann man den leicht überpräsenten Bass sehr gut verkraften, vielen Hörern wird das sicher sogar eher positiv auffallen.

Leider fehlt außer den Infos zu den vortragenden Musikerinnen und Musikern jeglicher Booklet-Text, was bei einem so unbekannten Komponisten wie Dubois natürlich schade ist. Aber man sollte auch bedenken, dass das die Reihe „Les Siècles – Live“, aus der die vorliegende Aufnahme stammt, in Eigenverwaltung von den beteiligten Orchestermusikern aufgelegt wird.
Wenn man sich in solch finanziell eh angespannten Zeiten dann noch zutraut, eine CD von einer unbekannten und vielleicht soagr unbeliebten Sphinx-Gestalt wie Dubois zu veröffentlichen, ziehe jedenfalls ich meinen Hut und nehme das Sparen am Booklet-Text ausnahmsweise gern in Kauf.

Fazit: Für mich definitiv eine der bis dato schönsten und wichtigsten CDs des laufenden Jahres! Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir sie am Jahresende auf unserer www.the-listener.de-Jahresbestenliste wiederfinden werden.

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