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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

A. Casella - Konzert für Orchester, A Notte Alta, Suite aus "La Donna Serpente"
BBC Philharmonic - G. Noseda; M. Roscoe (Klavier)

(2012)
chandos / note 1

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Alfredo Casella - Orchesterwerke Vol. 2

Chandos "Italienische Reihe" geht mit einem Highlight in die nächste Runde

von Rainer Aschemeier  •  2. Juni 2012
Katalog-Nr.: CHAN 10712 / EAN: 095115171226

Es ist doch immer wieder sehr spannend zu sehen, wie sich bestimmte Trends plötzlich, scheinbar aus dem Nichts heraus, auf dem internationalen Klassik-CD-Markt auftun. Jahrzehntelang hat sich – mit Verlaub – praktisch niemand bei den Klassiklabels für die reiche Hinterlassenschaft der italienischen Musikmoderne geschert (von wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel dem Kleinst-Label cpo und ein paar nicht immer hochklassigen CDs bei Marco Polo mal abgesehen), und plötzlich gibt es gleich einen ganzen Schwung namhafter Labels, die sogar ganze Reihen mit italienischer Musik des 20. Jahrhunderts auflegen.

Naxos und chandos begannen ihre Reihen mit Werken der italienischen Musikmoderne fast zeitgleich. Während Naxos in dem von dem Budget-Label gewohnten Eiltempo Werke von u. a. Pizzetti, Malipiero, Casella, Respighi und anderen im rekordverdächtigen Akkordmodus auf den Markt warf, geht chandos seit Beginn seiner Reihe bedächtiger vor und veröffentlicht seine „italienischen“ CDs mit einigen Monaten Abstand.
Bei Naxos war denn auch nicht alles Gold, was glänzte: Während einige CDs der italienischen Reihe bei Naxos absolut vorzüglich ausgefallen waren (siehe zum Beispiel hier oder hier), gab es auch andere, die nicht so gelungen waren (Ein Beispiel dafür siehe hier).

Bei chandos hingegen hatte bislang alles Hand und Fuß. Und so ist auch die neueste CD in der Reihe vor allem Eines: Umwerfend gut!

Mit drei Werken aus unterschiedlichen Schaffensphasen hat chandos einen tollen Werküberblick über die Karriere von Alfredo Casella auf dem zweiten Teil der geplanten Gesamtedition der Orchesterwerke dieses sehr versierten, politisch aber nicht unumstrittenen Komponisten vorgelegt.
Vorgestellt wird das einfach nur überwältigend tolle Konzert für Orchester, Op. 61, die Sinfonische Dichtung „A notte alta“, Op. 30 (also eher ein Frühwerk) und die Sinfonischen Fragmente aus der Oper „La donna serpente“, Op. 50.

Die CD eröffnet mit dem bereits angesprochenen Konzert für Orchester, das Casella 1937 im Auftrag des Concertgebouw Orchesters und dessen damaligem Leiter Willem Mengelberg verfertigt hatte. Man sollte nicht vergessen, dass Alfredo Casella seinerzeit noch zur europaweiten Komponistenprominenz gehörte. Er hatte Béla Bártók in einem aufsehenerregenden Kompositionswettbewerb geschlagen und wurde in einem Atemzug mit den Großen der damaligen Musikmoderne genannt. Der Name Casella galt in der damaligen Musikszene nicht viel weniger als zum Beispiel derjenige Strawinskys. Es ist daher kaum ein Wunder, dass das Concertgebouw Orchester ein solches, groß angelegtes Orchesterwerk zu seinem 50-jährigen Jubiläum bei Casella bestellte und 1938 uraufführte.
Casella ließ sich nicht lumpen und lieferte dem schon damals äußerst renommierten Klangkörper ein glänzendes Werk sinfonischen Ausmaßes, in dem allen Sektionen des Sinfonieorchesters zum Teil virtuose Soloparts zugeteilt wurden. Egal, wo man ansetzt – sei es bei der konkurrenzlos gelösten Instrumentierung des Werks, sei es bei dem melodischen Erfindungsreichtum: Das Konzert für Orchester von Alfredo Casella gehört meines Erachtens zu den herausragenden Werken seiner Zeit und sollte viel bekannter sein.
Es ist weit überzeugender als alle Sinfonien Casellas, und ich glaube, dass es in diesem Hinblick nicht abwegig wäre zu sagen, dass dieses Konzert für Orchester eine von Casellas beeindruckendsten orchestralen Meisterleistungen repräsentiert.

„A notte alta“, eine Art „italienische Antwort“ auf Arnold Schönbergs frühes Meisterwerk „Verklärte Nacht“, ist ebenfalls hoch interessant, aber unverkennbar (noch) kein Meisterwerk. Nichtsdestotrotz bildet das Stück einen sehr spannenden und musikalisch reizvollen Rückblick auf Casellas „wilde Jahre“, in denen er sich zusammen mit seinem Zeitgenossen Malipiero eine Art „musikalischen Futurismus“ auf die Fahnen geschrieben hatte.

Die Suite aus „La donna Serpente“ wirkt hingegen etwas wie Stückwerk und kann ihre Herkunft aus einer anderen Werkgattung kaum verleugnen. Trotzdem werden auch in diesem Fall viele Casella-Anhänger glücklich sein, dass sie diese melodisch zum Teil sehr schöne und erneut effektvoll instrumentierte Musik nun im heimischen Hörraum genießen können.

Zu diesem Genuss trägt unter anderem ein exzellenter Aufnahmeklang bei, der zu den besten gehört, die ich in diesem Jahr bislang gehört habe. Grandios das Blech des vortrefflich agierenden BBC Philharmonic Orchestra, gewaltig donnernd die Percussion-Section beim Konzert für Orchester, geradezu seidenweich die Streicher auf der gesamten CD, ultratief die imposanten Kontrabässe, eine grandiose Räumlichkeit, die in Paarung mit einer äußerst luziden Durchhörbarkeit durch alle Instrumentengattungen ein Höchstmaß an akustischer Transparenz generiert: Das ist erstklassig und bestätigt einmal mehr den Ruf des chandos-Labels zu den führenden HiFi-Labels der Szene zu gehören.

Was könnte es also als Fazit anderes geben, als die www.the-listener.de-Höchstwertung?
Das BBC Philharmonic Orchestra ist dem auf Naxos zu hörenden Sinfonieorchester aus Rom in allen Belangen überlegen, und Dirigent Gianandrea Noseda scheint Casella nicht bloß zu interpretieren, er scheint ihn vielmehr dem Orchester eingeatmet zu haben.

Diese CD zählt zu den absoluten Highlights des ersten Halbjahres 2012 und sollte in keiner Sammlung fehlen!

Etwas enttäuschend ist es allerdings, dass die politische Komponente von Casellas Musik im Booklet der CD mit keinem Wörtchen Erwähnung findet. Sicher sollte man weltanschauliche Dinge nicht über die Musik stellen, doch in Sachen Casella gibt es schon einige noch nicht hinreichend aufgearbeitete Punkte, die so gravierend sind, dass man sich auch als Hörer (und erst recht als Interpret) mit ihnen befassen sollte.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“ zur Verfügung gestellt.))

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