Shipwrecked - Ensemble ExEinladung zur musikalischen Häresievon Rainer Aschemeier • 7. Mai 2012
Jahrzehntelang war die Alte-Musik-Szene eine ziemlich verknöcherte, dogmatische Gemeinschaft, die nach außen hin in etwa so ansprechend wirkte, wie eine frisch vom Baum gefallene Kastanie: Irgendwie schön und faszinierend, aber auch ziemlich pieksig und abweisend. „Bloß nicht anfassen, das können nur Spezialisten“, schien lange Zeit ein Motto derer zu sein, die die Musik aus Mittelalter, Renaissance und Frühbarock durch Mittel historischer Aufführungspraxis wieder zu Gehör brachten. Gottlob hat sich das vor allem in den vergangenen 15 Jahren geändert – und zwar gehörig. Neben den auf unseren Seiten schon ausgiebig gelobten CDs des innovativen und qualitativ auch höchste Ansprüche befriedigenden Labels „Carpe Diem“, kommt nun eine weitere CD-Schmiede hinzu, die sich der unkonventionellen Vermittlung von alter Musik verschrieben hat. Häretiker wollen sie also sein, die polnischen Labelmacher. Die Metapher gefällt mir gut, denn auch in der Alte Musik-Szene scheint heute Vieles nicht mehr rational begründbar zu sein, sondern das Ergebnis von „Glaubensfragen“, die unter den Anhängern der Bewegung heftigst umstritten sind. Wie schön ist es da, dass das irische Ensemble Ex, das auf dieser allerersten Veröffentlichung des „Heresy“-Labels zum Einsatz kommt, ganz unverkrampft daran geht, uns einen faszinierenden „Soundtrack“ zu eröffnen. Es ist Musik aus dem 16. Jahrhundert, die hier der Idee gewidmet wurde, auf musikalische Art eine wahre Geschichte nachzubilden – die Geschichte des Seefahrers Francisco de Cuellar, der anno 1588 als Kapitän der spanischen Armada die Schlacht gegen die Engländer verlor und über Irland und die spanischen Niederlande unter abenteuerlichen Umständen wieder in seine Heimat Spanien zurückkehrte. Das Ensemble Ex vertritt eindeutig die Auffassung, dass weltliche Musik damals zum Vergnügen da war und dass sakarale Musik im 16. Jahrhundert wohl auch nicht ganz so streng geklungen haben mag, wie man uns heute glauben machen will. Mit viel Folk, Musizierfreude und Mut zur Improvisation geht das Ex Ensemble an seine Interpretation heran und ist somit prädestiniert dafür, die Altvorderen der Alten Musik vor den Kopf zu stoßen. Diese CD reiht sich also in eine Reihe ein mit zwei Veröffentlichungen des letzten Jahres, nämlich den CDs The Lviv Lute (Dorian/Sono Luminus) und Glosas (Carpe Diem). Auch sie waren eher frech und unkonventionell – und haben mir deshalb viel Freude bereitet. Der Sound der CD ist mir persönlich etwas zu hallig. Wenn man das Konzept nämlich fortspinnt, ist ja kaum davon auszugehen, dass die Lieder, die wir hier zu hören bekommen, in Kirchen oder gar Konzertsälen erklungen haben. Für die hier zu hörenden Stücke kämen wohl eher Straßen, Plätze und Hafenspelunken in Betracht. Insofern ist die CD zwar zugegebenermaßen sehr gut aufgenommen, doch bediente man sich dabei einer meiner Meinung nach denkbar unpassenden räumlichen Klangkomponente. Die CD klingt stellenweise jedenfalls mehr nach Kathedrale oder Tropfsteinhöhle als nach dem „Mitten Drin“ des Alltagslebens im 16. Jahrhundert. Fazit: Eine sehr reizvolle erste Veröffentlichung des neuen polnischen Alte Musik-Labels „Heresy Records“. Solche Hörer, die Alter Musik gegenüber nicht allzu dogmatisch eingestellt sind, können einigermaßen bedenkenlos den Kauf wagen, zumal die Interpretationsqualität des Ensembles Ex wirklich vorzüglich ist. ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma Naxos, zur Verfügung gestellt.)) |
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