Johann Jacob Froberger - Suiten und ToccatenHerrliche Froberger-Retrospektive aus dem Hause Carpe Diem Recordsvon Rainer Aschemeier • 23. Mai 2012
Das Label „Carpe Diem“, das sich im Wesentlichen auf audiophile Aufnahmen von Musik der Renaissance und des (Früh-)Barock spezialisiert hat, legt nun die zweite Solo-CD der rumänischen Cembalistin Alina Rotaru vor. Die erste CD „Fortune my foe“, die in der Fachpresse bereits sehr löblich besprochen wurde, kenne ich leider nicht, doch vermute ich, dass die zum 14. Mai 2012 erscheinende zweite CD „Froberger“ noch einmal ein Sprung nach vorn für die Künstlerin geworden ist. Außer etwas Vokalmusik sind von Johann Jacob Froberger heute ausschließlich Stücke für Tasteninstrumente überliefert – und das bedeutete zu Frobergers Zeiten praktisch ausschließlich Cembalo und Clavichord (von ein paar instrumentalen „Exoten“, die wir heute höchstens noch aus dem Museum kennen, einmal abgesehen). Im Gegensatz zur bisherigen Publikumsgunst (die in Sachen Froberger zumindest breitenwirksam bis dato quasi kaum stattfand), wird dem Komponisten von der Musikwissenschaft ein sehr hoher Rang eingeräumt, der in keiner Beziehung zu seiner Vernachlässigung durch den heutigen Musikbetrieb steht. Die Fachenzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“ schrieb 2002 beispielsweise: „Für die Entwicklung der Tastenmusik des 17. Jh. gilt Froberger neben Frescobaldi und Chambonnières als bedeutendster Komponist.“ Weiter heißt es, dass diese Auffassung bereits seit dem 18. Jh. in Fachkreisen „uneingeschränkt geteilt“ werde. Seit glatten drei Jahrhunderten geht es also schon so: Froberger gehört zu der Sektion viel gelobt, wenig gehört. Da kommt einem doch gleich wieder das alte Klopstock-Zitat in den Sinn: „Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.“ In Sachen Froberger müsste man dabei das „gelesen“ freilich durch ein „gehört“ ersetzen. Allein aus diesem Grund ist es also bereits erfreulich, dass „Carpe Diem“ und Alina Rotaru sich diesem Projekt angenommen haben. Wie bei „Carpe Diem“ üblich, ist das Ganze zudem keine schnöde Studio-Session gewesen, sondern die Aufnahme fand wieder in besonderen Räumlichkeiten statt. Diesmal haben sich Rotaru und Tonmeister Jonas Niederstadt für das Musée d’art et d’histoire im schweizerischen Neuchâtel entschieden. Auf diesem historischen Instrument wurden die vorliegenden Aufnahmen unter großem Aufwand durchgeführt. Der große Aufwand entstand vor allem wohl dadurch, dass das Instrument noch keine temperierte, sondern eine mitteltönige Stimmung aufwies (für nähere Infos dazu s. zum Beispiel hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Mitteltönige_Stimmung ). Das bedeutet, dass das Instrument, je nach Tonart eines Stückes, dauernd umgestimmt werden muss. Die meisten Labels scheuen diesen großen Aufwand, der nicht nur viel Zeit kostet, sondern auch sehr viel Sorgfalt erfordert. Live erlebt man so etwas sowieso heute kaum noch – ich denke, man kann sogar ruhigen Gewissens sagen: gar nicht mehr. Doch wenn man erst einmal hört, wie dieses herrliche Instrument in seiner mitteltönigen Stimmung klingt… tja, was soll ich sagen… es ist einfach ein fantastischer Klangeindruck. Erst einmal ist es faszinierend zu hören, was unsere Vorfahren als vermeintlich „reine“ Stimmung kannten. Für moderne Ohren ist der Klangeindruck nämlich gelegentlich schon etwas „schräg“. Doch das gibt sich nach ein wenig Gewöhnungszeit. An die Stelle von „schräg“ tritt dann nach und nach ein geradezu archaisches Hörerlebnis, das zumindest mich absolut hingerissen hat. Alina Rotaru ist eine große Künstlerin, die diese Musik nicht nur in technischer Hinsicht auf makellose Weise zu bewältigen versteht, sondern auch tief mit der emotionalen Welt Frobergers verschmolzen zu sein scheint. Hier gehen Werk und Interpretin eine ideale Symbiose ein, und dies äußert sich in rund 64 Minuten Cembalomusik vom Feinsten. Jonas Niederstadt hat – wie eigentlich immer – für einen spektakulären Aufnahmeklang gesorgt. Hier merkt man erst, das ein Cembalo – man verzeihe mir die Ausdrucksweise – auch mal richtig „Arsch in der Hose“ haben kann. Soll heißen: Das Ganze klingt bissig und knackig, tiefe Töne haben Bass, auch hohe Töne haben Körper und Volumen. Was für eine Wohltat im Vergleich zu den oft schrecklich dünn und „piepsig“ klingenden Cembalo-CDs anderer Labels, auch solcher, die sich sonst eigentlich auf Aufnahmen historischer Aufführungspraxis verstehen! Zwar merkt man auch, dass Niederstadt in den Museumsräumlichkeiten nicht bis ins Letzte sein „Markenzeichen“ ausleben konnte, nämlich den ausgeprägten Raumhall. Doch mir persönlich gefällt diese etwas trockenere Klangumgebung sehr gut. Fazit: Von allen „Carpe Diem“-CDs, die ich bislang besprechen durfte, ist diese hier die in jeder Hinsicht beste. Eine Empfehlung ohne jegliche Abzüge von der Höchstnote. ((Bitte beachten: Die CD wird erst ab dem 14. Mai 2012 im Handel erhältlich sein. Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt.)) |
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