J. S. Bach - Chromatische Fantasie und Fuge, Italienisches Konzert, Partita Nr. 6 (2009)
• • • • Johann Sebastian Bach — KlavierwerkeSergei Edelmanns unanständig neoromantischer Bachvon Rainer Aschemeier • 20. März 2012
So fantastisch, wie die im letzten Jahr neu erschienene SACD des ukrainischstämmigen Pianisten Sergei Edelmann ausgefallen ist, war es für www.the-listener.de selbstverständlich, dass wir auch die weiteren Veröffentlichungen dieses Ausnahmepianisten weiter verfolgen würden. Die letztjährige Novität mit Werken von Liszt und Schubert hatte es immerhin in unsere Jahresend-Bestenliste 2011 geschafft (s. hier und eine ausführliche Rezension s. hier). Nun erscheinen gleich zwei „neue“ Veröffentlichungen Edelmanns – „neu“ in Anführungszeichen, weil es schon ältere Aufnahmen aus den Jahren 2009 und 2010 sind, die nun jedoch erstmals auch auf dem deutschen Klassikmarkt verfügbar sind. Bei der 2009 erschienenen SACD handelt es sich um eine Zusammenstellung von Werken Johann Sebastian Bachs, die wir hier besprechen wollen, und bei der 2010 erschienenen Doppel-SACD geht es um Edelmanns Spezialgebiet: Chopin. Die Rezension zu letztgenannter Edition wird in einigen Tagen folgen. So genau, wie dieses tausendmal gesehene Porträt Johann Sebastian Bachs glauben viele auch seine Musik zu kennen. Bildquelle: wikimedia commons Als hätte die „Originalklang“-Bewegung nie stattgefunden, musiziert Edelmann Bach mit sämtlichen romantischen Rafinessen, wie dem freien und stark emotionalisierenden Einsatz von Anschlagsdynamik und vor allem Rubato, Rubato, Rubato. Es ist schon sehr erstaunlich, dass sich so etwas heute überhaupt noch jemand traut! Ich persönlich hätte gedacht, dass solcherart Bach-Rezeption inzwischen vollends der Vergangenheit angehören würde. Doch Edelmann belehrt uns eines Besseren. Nach anfänglicher Sprachlosigkeit ob der aus heutiger Sicht beinahe schon unverschämt zu nennenden Romantisierung von Bach-Stücken wie der chromatischen Fantasie und Fuge BWV 903 (ausgerechnet also von dem Stück, das wir heute allerorten von den Vertretern der historisch informierten Aufführungspraxis nur allzugern als akustischen Eisblock von jeglichen Emotionen befreit serviert bekommen), dem berühmten Italienischen Konzert BWV 971 und der nicht ganz so bekannten Partita Nr. 6 BWV 830, macht sich ein anderer Eindruck breit. Er beginnt mit dem Gedanken: „Naja, gar nicht mal schlecht…“ und verstärkt sich dann zu einem „Wow! Das ist wirklich verdammt gut!“. Selbstverständlich muss diese Veröffentlichung zu den exotischen Markterscheinungen gezählt werden (und das nicht deswegen, weil sie vom japanischen Klaviermusiklabel „Triton“ veröffentlicht wurde, das hierzulande kaum bekannt ist). Selbstverständlich ist es inzwischen „unanständig“, Bach auf so eine neoromantische Art und Weise darzubieten. Aber wer diese Bedenken allesamt über Bord zu werfen vermag, muss am Ende doch zugeben: Das, was wir hier hören können, ist schon sehr sehr gut und (mal ganz platt gesagt) auch einfach wunderschön. Damit möchte ich nicht behaupten, dass der Ukrainer irgendwie „gestrig“ musizieren würde. Sein Stil als Pianist ist zweifellos modern. Doch seine Interpretationen scheren sich einfach nicht um die Entwicklungen der historischen Aufführungspraxis, sind somit als im besten Sinne hochgradig konservativ einzustufen. Das kann toll sein, wenn das jemand zelebriert, der schlicht so gut ist, wie Sergei Edelmann. Hierzulande hat man das aber leider wahlweise verdrängt, vergessen oder sich selbst gedanklich verboten. In Deutschland „gehört sich sowas nicht“. Wie schade! Wir verpassen doch eine Menge! Und genau das zeigt diese SACD. Die vom Exton-Ableger Triton produzierte Hybrid-SACD klingt übrigens wieder einmal (in allen zur Wahl stehenden Formaten) grandios, wobei mir bei Edelmanns Bach der etwas knackiger klingende CD-Layer besser gefällt als die leicht zum Weichzeichnen neigende SACD-Spur. Und 5-Kanal-Surround ist (nach meinem Dafürhalten) bei einer Klaviermusikaufnahme eh nutzlos. Aber wer es mag, bekommt auf dieser Triton-SACD auch das. Fazit: Eine ziemlich unbequeme CD, die nichts für jedermann ist. Aber gerade das macht sie in meinen Ohren ungemein spannend. Sergei Edelmann ist ein Pianist mit einer ureigenen Klangvision. Wie ich persönlich das finde? Da reicht ein Wort: Großartig! ((Das Hörexemplar der SACD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma challenge classics, zur Verfügung gestellt.)) |
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