Legenden und Gebete - duo pianoworteMission Impossible? Mitnichten ...von Rainer Aschemeier • 11. März 2012
Das Melodram ist sowohl heute als auch früher ein Kuriosum der Musikgeschichte. Die meisten Menschen nutzen den Begriff „Melodram“ beziehungsweise „melodramatisch“ höchstens mal im sprichwörtlichen Zusammenhang, haben aber keine Ahnung, dass das Melodram als real existierende Werkgattung im musikalischen Kontext überhaupt existiert. Was also ist ein Melodram? Ein Melodram ist ein Musikstück – egal, ob für großes Orchester, eine Kammermusikbesetzung oder ein Soloinstrument -, dessen Text (der in der Regel eine abgeschlossene Geschichte erzählt) gesprochen statt gesungen wird. Es gibt Melodrame mit rhythmisch auskomponierter Sprechpartie, bei der jeder Silbe ein fester „Platz“ im Stück zugewiesen wird. Es gibt auch andere Melodrame, bei der der Sprechtext sich eher mit der Musikpartie abwechselt, was zu einem freieren Vortrag führt und den Vorteil hat, dass auch musikalisch nicht vorgebildete Sprecher das Stück zusammen mit einem Musiker aufführen können. Das Duo mit dem pfiffigen Namen „pianoworte“ ist Deutschlands einziges ausschließlich auf den Vortrag von Melodramen spezialisiertes Ensemble. Es besteht aus dem Pianisten Bernd-Christian Schulze und dem Schauspieler Helmut Thiele, der auch ein Gesangsstudium absolviert hat. Mitnichten. Die neue CD des Duos mit dem betont schlichten Titel „Legenden und Gebete“ zeigt, dass die Mission durchaus erfolgreich sein kann. Niveauvolle Texte von Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf, dem österreichischen Schriftsteller Alois Brandstetter und dem ebenfalls österreichischen Mundartdichter Wilhelm Rudnigger geben sich ein Stelldichein mit einem Text von Erich Jooß – seines Zeichens publizistischer Berater der Deutschen Bischofskonferenz (und so, wie die Jobbezeichnung klingt, fällt dann auch dieser Text aus …). Das all dies trotz allem eine äußerst unterhaltsame und zudem durchaus niveauvolle Mischung geworden ist, ist für mich das eigentliche Wunder. Man kann sich diese Melodrame überwiegend wirklich gut anhören, und zumindest diejenigen, für die Frieder Meschwitz kompositorisch verantwortlich zeichnete, haben auch musikalisch durchaus Klasse. Man höre sich etwa die Kreuzigungsszene in Meschwitz‘ Legendenvertonung des Lagerlöf-Sujets „Das Rotkehlchen“ an – das ist nicht nur effektvoll und clever komponiert, sondern das geht tiefer. Das ist wirklich gut. Das Duo pianoworte führt alles perfekt auf, legt sich sehr ins Zeug. Bernd-Christian Schulze ist ein wirklich toller Pianist ohne Fehl und Tadel. Sprecher Helmut Thiele ist hingegen womöglich nicht jedermanns Sache, da seine Stimme sich nicht nur durch eine sehr charakteristische, sehr „mittenpräsente“ Stimmfärbung auszeichnet, sondern sein Vortrag (womöglich produktionsbedingt?) auch durch eine gelegentlich übertrieben wirkende Sprachakkuratesse in Szene gesetzt wird, die Teile der Hörerschaft sicherlich polarisieren wird. Fazit: Eine interessante CD für Leute, die sich schon immer mal näher mit der selten auf Tonträger nachzuhörenden Gattung des Melodrams beschäftigen wollen – und dabei nichts gegen Vermittlung von christlichen Glaubensinhalten einzuwenden haben. Ich glaube, die CD ist nichts für jedermann, aber unter rein musikkritischen Aspekten ist das eine mehr als ordentliche Produktion mit guter Musik und oft unterhaltsamen und wirklich tiefsinnigen Texten. Der Klang ist durch die Tonmeister des NDR erstklassig aufgezeichnet worden. ((Das Hörexemplar der CD wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma Klassik Center Kassel, zur Verfügung gestellt.)) |
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