Alessandro und Leonardo Maria Piccinini - Werke für LauteZu viel des Guten?von Rainer Aschemeier • 5. Februar 2012
Auf dem deutschen Label „Carpe Diem“, das sich in jüngerer Vergangenheit vor allem durch Aufnahmen alter und ältester Musik sowie ungewöhnliche „Jazz meets Alte Musik“-Projekte im kompromisslosen HiFi-Sound einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat, erschien zum Jahresbeginn eine Neueinspielung der weithin beliebten Lautenwerke Alessandro Piccininis. Doch welche Überraschung! Ist auf der CD doch angegeben, dass hier auch Stücke von Alessandros Sohn Leonardo Maria Piccinini erklingen. Doch allzu Entdeckungswillige sollten nicht gleich Freudensprünge vollführen, denn das Booklet zur CD gibt Auskunft darüber, dass jüngere Forschungen erwiesen haben, dass offenbar mehrere Kompositionen aus dem zweiten der berühmten beiden Lautenbücher Piccininis nicht von Alessandro, sondern von Leonardo Maria stammen. Die Stücke kennt der geneigt Piccinini-Fan also schon, es ändert sich lediglich deren Zuschreibung. Als ausführender Künstler tritt bei der jüngsten „Carpe Diem“-Novität der renommierte Gitarrist und Lautenist Rosario Conte in Erscheinung, den man bereits von CD-Produktionen der Labels Harmonia Mundi, Deutsche Grammophon, Sony und Tactus kennt. Conte widmet sich ganz und gar der außergewöhnlichen „Sanglichkeit“ der Piccinini-Kompositionen, die diese aus dem von manchem gelegentlich als „Einheitsbrei“ empfundenen Bestand der Renaissance-Lautenmusik weit hervorragen lassen. Hätte es den Begriff damals schon gegeben, wäre Piccinini wohl als der ausgewiesene „cantabile“-Komponist unter den Lautenmeistern der Renaissance bekannt geworden. Nicht ohne Grund gehört sein eher schmales Œuvre mittlerweile zu den bei Weitem bekanntesten und beliebtesten im Bereich der auf CD verfügbaren Lautenmusik. Es gibt eine ganze Reihe meist sehr guter verfügbarer oder vergriffener Einspielungen seiner Musik – unter anderem bei so illustren Labels wie Tactus, zigzag territoires, Fuga Libera, Raumklang, Hyperion, Accent, Deutsche Grammophon und claves. Doch die vorliegende CD kommt mit einigen Besonderheiten daher. So haben wir hier zum Beispiel das – wie bereits erwähnt – betont „sangliche“ Spiel Rosario Contes, das Piccininis eh schon „sanft“ und gelegentlich ätherisch anmutende Musik noch etwas mehr in die Richtung angelischer Sphären rückt. Conte bedient sich dabei des Kunstgriffs, gelegentlich deutlich langsamere Tempi zu verwenden als viele seiner Mitbewerber. Besonders fällt das bei Tanzstücken, wie etwa der bekannten Galliarda III, ins Gewicht. Interpretation ist bei Renaissancemusik entweder „Glaubensfrage“ oder Prinzip, in jedem Fall aber noch deutlich verschiedenartiger handhabbar als bei konventioneller „klassischer“ Musik. Auch der „Carpe Diem“-Sound von Klangmagier Jonas Niederstadt gefällt mir bei der hier vorliegenden Novität ausnahmsweise nicht so gut. Zwar schätze ich das auch hier wieder zum Ausdruck kommende Bemühen Niederstadts um den klanglichen Einbezug des Aufnahmeraums in das Soundkonzept der Aufnahme („Carpe Diem“ zeichnet praktisch ausschließlich in historischen Räumlichkeiten und nicht im Tonstudio auf), doch muss ich in diesem Fall fragen, ob man unter den gegebenen Umständen nicht vielleicht eine andere Aufnahmeumgebung hätte wählen sollen!? Das in einem Kloster der norditalienischen Stadt Rovato aufgezeichnete Album weist so viel natürlichen Raumhall auf, dass die zarten Lautenmusik-Girlanden gelegentlich zu verwischen und wie Wasserfarben zu „verlaufen“ drohen. Besonders störend finde ich jedoch die durch den sehr langen Nachhall des Raumes entstehende „Klangwand“ im „Hintergrund“, die immer dann entsteht, wenn Conte schnelle, notenreiche Passagen auf seinem Instrument wiedergibt. Fazit: Die Interpretation ist subjektiv betrachtet nicht ganz nach meinem persönlichen Geschmack – andere werden aber womöglich jubeln und Contes Ansatz sehr wertschätzen können. Spieltechnisch ist das Album jedenfalls makellos. Das für mein Hörempfinden üppige „too much“ an Raumhall ist meines Erachtens aber auch objektiv betrachtet ein wenig zu viel des Guten. ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt.)) |
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