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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

C. Ives - Violinsonaten (Gesamt-Einspielung)
H. Hahn, V. Lisitsa

(2012)
Deutsche Grammophon Gesellschaft

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Charles Ives — Violinsonaten (Gesamteinspielung)

Ives auf Trockeneis

von Rainer Aschemeier  •  28. Januar 2012
Katalog-Nr.: 477 9435GH / EAN: 028947794356

Eher selten bekommt man auf unseren Seiten im Internet mal eine CD der Deutschen Grammophon Gesellschaft zu sehen, was wohl einfach daran liegt, dass diese Firma nicht eben den Mut zur Programmvielfalt gepachtet zu haben scheint, auf den wir bei ww.the-listener.de eben viel Wert legen.
Doch nun liegt auf dem traditionsreichen Klassiklabel mal eine doppelte Überraschung vor: Nicht nur gibt es heuer eine Neuaufnahme der bislang eher selten eingespielten Violinsonaten des Vaters der US-amerikanischen Musikmoderne, Charles Ives, zu hören, es ist dazu auch noch eine Spitzenbesetzung am Werk!

US-Superstar-Geigerin Hilary Hahn, die Anfang des 21. Jahrhunderts mit ihrer Mischung aus jugendlich-mädchenhaftem Auftreten und einem geradezu sensationellen Geigenton, der immer mal wieder aufsehenerregend an den unerreichten David Oistrakh erinnerte, von sich reden machte, gibt sich hier ein Stelldichein mit ihrer bislang eher unbekannten ukrainischstämmigen Duettpartnerin Valentina Lisitsa. Während eine Veröffentlichung auf dem siet jeher viel beachteten Major-Label Deutsche Grammophon für Hilary Hahn gewohntes Terrain ist, ist Valentina Lisitsa bisher nur durch ein paar versprengte Independent-Aufnahmen beim Mini-Label „Audiofon records“ hervorgetreten.
Allerdings haben beide, den Angaben im Booklet der CD zufolge, als Duo schon mehrere gemeinsame Tourneen durch die USA absolviert, wo sie zuletzt auch sämtliche Violinsonaten von Charles Ives live gegeben haben.

Ganze vier Möglichkeiten gibt es derzeit, um sich Ives‘ Violinsonaten auf CD zuzulegen. Auf dem Papier sieht die Kombination Hahn/Lisitsa (als die bei Weitem prominenteste) natürlich ziemlich gut aus. Doch was „kann“ diese Einspielung wirklich – vor allem auch im Vergeich zu den verfügbaren Alternativen?
Wer nach eben solchen sucht, kommt relativ schnell auf die Einspielung von Gregory Fulkerson und Robert Shannon auf dem „Bridge“-Label aus dem Jahr 1989. Sie gilt als so etwas, wie die derzeitige Referenz – und das ganz zurecht. Sie ist fabelhaft gespielt und auch klangtechnsich vorzüglich aufgenommen. Vergleicht man diese Einspielung mit der neuen von Hahn und Lisitsa fällt auf, mit wie viel Respekt und auch Distanz die beiden Künstlerinnen an die vier Sonaten von Ives herangehen. Während Fulkerson und Shannon sich überhaupt nicht scheuen, den – ohne jeden Zweifel in praktisch allen Kompositionen von Ives vorhandenen – volkstümlichen, musikantischen Ton in vollen Zügen auszuleben, wittern Hahn und Lisitsa hinter jeder Note ein abstraktes Kunstwerk, dem es sich eher behutsam zu nähern gilt.

Damit steht man als Hörer wieder einmal vor der Qual der Wahl: Bevorzugt man es eher „akkurat und distanziert“ (= Hahn/Lisitsa) oder eher „intuitiv und volksnah“ (= Fulkerson/Shannon)?

Hilary Hahn und Valentina Lisitsa spielen jedenfalls ziemlich makellos, während vor allem die Violinpartie in der Fulkerson/Shannon-Aufnahme manchmal doch leicht schwächelt. Doch auch bei Hahn und Lisitsa ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn die ungewöhnlich distanzierte Kühlheit, die sie der Musik von Ives angedeihen lassen (vor allem von Seiten Lisitsas), ist aus meiner Sicht eigentlich unangebracht. Ives kam ohne jeden Zweifel aus der Spätromantik, und zumindest seine Violinsonaten zeugen davon auch noch ganz fraglos. Warum Hahn und Lisitsa also nun versuchen, Ives eine Art hypermodernen Anstrich „anzuabstrahieren“, verschließt sich mir.

Aber man kann ansonsten an dieser neuen Einspielung wirklich nur sehr wenig bemängeln. Das ist eine sehr schön eingespielte, eben etwas unterkühlte Deutung der Ives’schen Violinsonaten. Allerdings aber auch nicht mehr…
Etwaige Qualitätssprünge grandiosen Ausmaßes im Vergleich zu früheren Aufnahmen anderer Labels mit weniger prominentem Personal bleiben aus.

Das größte Manko dieser Neuaufnahme liegt (wieder einmal) in der Tontechnik. Wie regelmäßige Leser von www.the-listener.de wissen, weiß ich Kammermusikaufnahmen, die nach „kleinem Raum“ klingen, also recht trocken abgemischt sind, in der Regel sehr zu schätzen. Doch hier haben es die Tonmeister wohl etwas zu gut gemeint: Knochentrocken ist noch untertrieben für das, was der geneigte Hörer hier zu hören bekommt. Es fällt bei diesem extrem trockenen Sound selbst routinierten Musikmoderne-Kennern schwer, den musikalischen Zusammenhang zu erfassen, und nebenbei gesagt klingt es einfach auch nicht gut.
Akustisch hat man, drastisch formuliert, den Eindruck, die Ausführenden stünden in einer voll abgedämmten Holzkiste. Das ist der seit Monaten mit Abstand unbequemste Aufnahmeklang einer Kammermusikaufnahme, den ich in letzter Zeit zu hören bekam.
Auch wirken beide Instrumente irgendwie räumlich getrennt, als wären sie nicht im selben Zimmer, sondern würden in unterschiedlichen akustischen Sphären musizieren. Außerdem ist Hilary Hahns Violine erstens um einiges zu laut und zweitens sehr mittenlastig eingefangen worden.
Valentina Lisitsas Klavier hingegen klingt merkwürdig dumpf und irgendwie verwaschen. Aus anderen Einspielungen anderer Labels wissen wir, wie herrlich urwüchsig und kernig ein Bösendorfer-Flügel (so, wie er hier zum Einsatz kam) klingen kann, doch diese Aufnahme macht den Anschein, als hätte ein Tontechniker versucht, einen „unartigen“ Bösendorfer auf „artigen“ Steinway-Sound zu trimmen – was im Endeffekt aber nicht funktioniert hat.

Fazit: Eine zwiespältige Sache… Ganz sicher nicht schlecht, aber auch fernab jeglicher Sensationen. Einfach eine solide Aufnahme mit eher schwacher Tontechnik.

Das Problem ist nur, dass wahrscheinlich die meisten von so einer hochkarätigen Besetzung und einer CD, die sich das Label mit der langen Tradition nicht zuletzt auch „hochkarätig“ bezahlen lässt, einfach etwas „mehr“ erwarten …

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