R. Vaughan Williams - Musik für Bratsche und Klavier
T. L. Cayouette (viola) & M. Patenaude (Klavier)
(2011)
Centaur / Klassik Center Kassel
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Seltenes Repertoire in klangschöner Darbietung, jedoch mit Intonationsmanko
von Rainer Aschemeier • 15. Dezember 2011
Katalog-Nr.: CRC 3107 / EAN: 044747310725
Im März dieses Jahres ist im „Rest der Welt“ (außer Europa) eine CD des US-amerikanischen Labels „Centaur“ erschienen, das Kammermusik für Bratsche und Klavier des britischen Komponisten Ralph Vaughan Williams beinhaltet. Nun kommen auch wir Deutschen zu dem Vergügen, uns diese neue CD anhören zu können.
„Centaur“ war ganz vorne mit dabei, als es Anfang bis Mitte der 1980er-Jahre galt, die seinerzeit noch deutlich weniger bekannte Musik des bedeutenden britischen Sinfonikers Vaughan Williams auf CD zu bringen. Einige grandiose Aufnahmen aus dieser Frühzeit des Labels sorgten seinerzeit für große Aufmerksamkeit, wie ich mich noch gut erinnern kann.
Vorliegende CD widmet sich endlich einmal Vaughan Williams‘ verhältnismäßig umfangreichem Viola-Werk. Der Brite hatte bekennendermaßen Zeit seines Lebens eine „Schwäche“ für die Bratsche, was sich am beeindruckendsten in der Suite für Viola und Kammerorchester aus dem Jahr 1934 äußerte, die zu den schönsten Vaughan Williams-Stücken überhaupt zählt. Diese Suite steht auch hier im Mittelpunkt, allerdings in einer Kammermusikfassung für Klavier und Bratsche, die vom Komponisten selbst angefertigt wurde. Des Weiteren gibt es neben Vaughan Williams‘ Romanze für Viola und Piano, eine vom Komponisten selbst hergestellte Transkription für Viola der eigentlich für Cello geschriebenen „Six Studies in English Folk Song“, eine Übertragung der zwei Stücke für Geige und Klavier sowie noch eine (wahrscheinlich vom Plattenlabel als unvermeidlich eingstufte) Transkription der „Fantasy on Greensleeves“, die wohl zu den bekanntesten Kompositionen des britischen Komponisten zählt. Dieser zeichnete sich meistens durch einen eigenwilligen Stil zwischen Spätromantik, Einflüssen von französischem Impressionismus und anbrechender Moderne bis hin zum Rande der Atonalität aus.
Die CD bietet also eine randvolle Stunde Musik. Und diese Musik hat es in sich: Es erklingen hier einige der wunderschönsten Werke dieses bedeutenden Komponisten, die sonst nur äußerst selten auf Tonträger auftauchen — zumal in Bearbeitungen für Viola.
Tina Louise Cayouette, eine junge kanadische Bratschistin steht im Fokus dieser ungewöhnlichen Veröffentlichung. Sie wird am Klavier begleitet von Mariane Patenaude. Beide machen ihre Sache recht gut, wenngleich der Klavierpart von Mariane Patenaud deutlich überzeugender vorgebracht wird, als die eigentlich dominierende Solopartie. Dies liegt zum einen in einem äußerst klangschön aufgenommenen Klavier, das sich anhört, wie ein eher kleiner Konzertflügel, was diesen Stücken die Intimität verleiht, die sie brauchen. Tina Louise Cayouette zaubert einen nicht minder klangschönen, vollen und samtigen Bratschenklang hervor, der von Tonmeisterin Anne-Marie Sylvestre sehr „bogennah“ eingefangen wurde. Das hat zur Folge, dass man sich als Hörer sehr nah an der Stelle wähnt, wo der Bogen die Saiten berührt. Das erzeugt einen leicht „angerauten“, aber auch sehr emotionalen Klang, dem man Einiges an Charakter zusprechen kann. Mir gefällt der „Sound“ von Cayouette wirklich sehr gut, nur hat sie leider ein immer wieder auftauchendes Problem mit der Sauberkeit, oder besser „Nicht-Sauberkeit“ ihrer Intonantion. Und da das nun einmal jede ansonsten noch so schöne Streicherperformance gleich um einige Klassen zurückstuft, muss jeder selbst entscheiden, ob er damit leben kann oder will. Ich persönlich habe mich dafür entschieden, dass man das durchaus tolerieren kann und dass diese Aufnahme von dem angesprochenen (zugegebenermaßen gewichtigen) Manko abgesehen viele Qualitäten hat, die den Kauf rechtfertigen.
Der Klang der Einspielung gefällt mir ebenfalls: Mit der Räumlichkeit hat man es fast ein bisschen zu gut gemeint, sodass das Zusammenspiel von Viola und Klavier gerade so eben kurz davor ist, der akustischen Tiefe des Raumes zum Opfer zu fallen und „wässrig“ zu werden. Doch kurz davor ist eben immer noch kurz davor, und sonst mag ich räumlich klingende Aufnahmen ja sehr gern. Die Auflösung ist jedenfalls tadellos und ein wirklicher Genuss ist in meinen Ohren der sanfte, auf angenehmste Weise leicht „gedämpft“ wirkende Klang des Pianos.
Fazit: Eine CD für Entdecker, die mit ihr sicherlich viel Freude haben werden. Der Solovortrag leidet unter dem gewichtigen Manko von zum Teil deutlichen Intonationsschwächen, was jedoch durch Musikalität und einen wunderbar „erdigen“ Ton einigermaßen wieder wettgemacht wird. Dennoch kann man diese offenbare Schwäche der Aufnahme nicht verschweigen. Der Klang ist sehr gut und trägt viel zum insgesamt recht positiven Gesamteindruck bei. Viele der hier zu hörenden Stücke bekommt man zudem nur auf dieser CD und nirgendwo anders.