M. Bruch - Sämtliche Streichquartette (2011/1983)
• • • Max Bruch — sämtliche StreichquartetteEine Pioniertat der Tonträgergeschichte wird neu beleuchtetvon Rainer Aschemeier • 6. Dezember 2011
Die Opuszahlen zeigen es schon an: Opus 9 und 10, die einzigen beiden Streichquartette im Schaffen des deutschen Komponisten Max Bruch, gehören zu dessen frühen Werken. Der zum Zeitpunkt der Komposition erst 21- beziehungsweise 22-jährige Bruch komponierte diese vitalen, munteren Stücke in den Jahren 1859* und 1860 in Bonn, in einer unsteten, von häufigen Wohnortwechseln geprägten Zeit, die verschiedene Biografen im weiteren Sinne noch zur „Ausbildungszeit“ des nur sieben Jahre später durch sein erstes Violinkonzert zu Weltruhm gelangten Spätromantikers zählen. Weder hatte Bruch zu der Zeit der Komposition dieser beiden hier eingespielten Quartette sich nennenswerte musikalische „Meriten“ erworben, noch stand er schon im – später praktisch selbstverständlichen – Austausch mit den musikalischen Größen seiner Zeit. Hört man die hier versammelten Quartette unter diesen Vorzeichen, darf man erstaunt sein, wie reif beide klingen und wie originell einige der musikalischen Ideen sind (so zum Beispiel die „wogenden“, auf- und absteigenden Tutti-Stellen im Adagio von Opus 9). Es ist ferner beachtlich, dass Bruch hier mit 22 Jahren bereits einen ureigenen Stil gefunden zu haben schien, denn wenn auch spätere Werke von ihm noch einmal eine ausgereiftere „Klasse“ vermitteln, klingen sie doch vom „Tonfall“ her kaum anders. Max Bruch, der später einer der einflussreichen Musiklehrer des europäischen Kontinents wurde und unter anderem den bedeutenden englischen Sinfoniker Ralph Vaughan Williams ebenso ausbildete wie die Operettenstars Oscar Straus und Eduard Künneke, ist eigentlich aus heutiger Sicht ein „tragischer Fall“: Er wurde 1838 geboren, galt mit Erscheinen seines bis heute extrem populären ersten Violinkonzerts als „Superstar“ der Hochromantik, um Jahre später am musikalischen Umbruch der Jahrhundertwende zu verzweifeln. Bei seinem Tod im Jahr 1920 waren große Teile seines Schaffens bereits vergessen, obwohl sie zu Lebzeiten des Komponisten zum Teil oft gespielt worden waren. Wer weiß heute schon noch, dass Bruch drei sehr hörenswerte Sinfonien schrieb, eine Vielzahl von Oratorien und Chorwerken, sogar vier Opern und eben auch ein erkleckliches Maß an Kammermusik, von der lediglich die „Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier“ hier und da noch erklingen (siehe dazu auch die Rezension zu dieser vorzüglichen CD)? Seien wir doch mal ehrlich: Praktisch niemand! Die meisten kennen eigentlich nur das erste Violinkonzert, einige darüber hinausgehend vielleicht noch die „Schottische Fantasie“ oder das Cellostück „Kol Nidrei“; spätestens dann reißt aber auch bei versierteren Klassikfans der „rote Faden“ ab… Umso erfreulicher muss es 1983 gewesen sein, als das italienische Traditionslabel „Dynamic“, die auf der hier zu besprechenden CD wiederveröffentlichte Weltersteinspielung der beiden Streichquartette Bruchs veröffentlichte. Später, 1996, gab es die Aufnahme dann erstmals auf CD und nun, 2011, kann man sie im Rahmen der Low Budget-Reihe „Delizie Musicali“ für nur noch rund 10 Euro wieder im gut sortierten Klassikfachhandel erwerben. Die ausführenden Künstler dieser Pioniertat der Tonträgergeschichte waren die Mitglieder des „Quartetto Academica“, einer heute nicht mehr existierenden rumänischen Quartettvereinigung, die sich in den 1960er-Jahren bereits an der renommierten Enescu-Musikhochschule von Bukarest gegründet hatte. ... und so spielen sie auch: Mit viel Verve und dem gewissen „Zigeunerschmelz“ in der Geige zünden die beiden Streichquartette Max Bruchs gewaltig! Ob dies ein „authentischer“ Ansatz ist, darf getrost bezweifelt werden, doch machen diese munteren, mitunter nachgerade „schmissigen“ Interpretationen einfach viel Spaß – auch heute noch. Allerdings ist der Aufnahmeklang in Anbetracht der Tatsache, dass die Einspielung 1983 mitgeschnitten wurde, in einer Zeit also, in der anderenorts schon glänzend klingende Einspielungen entstanden, erstaunlich „historisch“ und entspricht nicht mehr den heutigen Ansprüchen. Fazit: Die Stücke sind sehr hörenswert, und für mein Dafürhalten muss man eh jede Lanze für die Musik Max Bruchs brechen, die sich finden lässt. Diese CD ist eine günstige Gelegenheit diese wegweisende Achtzigerjahre-Einspielung in die Sammlung zu bekommen. Aus heutiger Sicht ist sie aber nicht mehr ganz „state of the art“. ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Klassik Center Kassel“, zur Verfügung gestellt.)) |
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