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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Aserbaidscha-nische Klavierkonzerte
Royal Philharmonic Orchestra - D. Yablonsky; F. Badalbeyli & M Adiegezalzade (Klavier)

(2011)
Naxos

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Aserbaidschanische Klavierkonzerte

"Weltmusik" mal anders...

von Rainer Aschemeier  •  1. Oktober 2011
Katalog-Nr.: 8.572666 / EAN: 74731326667

Eine sehr sehr spannende CD erblickt in diesen Tagen auf dem Naxos-Label das Licht der Welt. Es handelt sich dabei um eine kleine aber feine Kollektion von sinfonischer Musik für Soloklavier und Orchester von vier Komponisten aus Aserbaidschan. Dass diese Werke allesamt bislang noch nicht auf CD erhältlich gewesen sind (ein Konzert auf dieser Neuveröffentlichung war bis zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht einmal gedruckt!), konnte man sich schon denken. Doch dass diese raren Ergebnisse des jüngeren aserbaidschanischen Kulturbetriebs dann auch noch in einer solchen Edelbesetzung eingespielt werden, nötigt doch einigen Respekt ab.

Es ist ja kaum davon auszugehen, dass sich außerhalb Aserbaidschans viele Käufer für diese CD finden werden, sodass man meinen sollte, ein Label wie Naxos hätte da lieber ein nicht so teures Provinzorchester aus der Tasche gezaubert, um die Produktionskosten wenigstens nicht völlig außer Kontrolle geraten zu lassen, doch weit gefehlt: Hier musiziert niemand Geringeres als das Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung des hinlänglich erfahrenen Dirigenten und Cellisten Dmitry Yablonsky, der nicht nur für Naxos sondern auch schon für chandos records einige ganz großartige Aufnahmen herausgebracht hat. Ich erinnere da einmal an die fantastische Einspielung der Bruch-Violinkonzerte bei Naxos oder an die hervorragenden Cellokonzerte Nino Rotas bei chandos.
Keine Frage: Spätromantik und Neoromantik sind Yablonskys Idealmetier, weswegen er auch bei dieser Einspielung hier der richtige Mann am richtigen Ort ist, denn sämtliche Kompositionen auf dieser neuen CD widmen sich dem schwelgerischen neoromantischen Schönklang, zum Teil mit deutlich erkennbarer Hinwendung zur Filmmusik Hollywood’scher Ausprägung.

Kaja Karajew ist der wohl bekannteste aserbaidschanische Komponist im 20. Jahrhundert. Er war Schüler von Dmitry Schostakowitsch, mit dem er sich auch nach seiner Ausbildung regelmäßig austauschte. Bildquelle: "Azermarka":http://www.azermarka.az/en/1998.php

Wer also ausschweifend exotische oder gar dezidiert orientalische Klänge erwartet, sieht sich eher getäuscht. Außer dem Konzert Vasif Adigezalovs, der einst beim aserbaidschanischen Großmeister und Schostakowitsch-Zeitgenossen Kaya Karajew studiert hatte, klingen alle Stücke auf der vorliegenden CD, wie Epigonen des Klavierkonzertstils von Komponisten wie etwa Rachmaninoff oder Arensky. Russisch? Ja. Aserbaidschanisch? Nicht unbedingt.
Der genannte Adigezalov macht bei näherem Hinsehen auch keine große Ausnahme. Zwar würzte er sein viertes Klavierkonzert aus dem Jahr 1994 mit einigen zaghaften „Orientalismen“, zückt aber im gleichen Moment ebenso zaghafte Jazz-Anklänge und suhlt sich ansonsten im neoromantischen „Himmel-voller-Geigen“-Sound. Auch das „Konzert nach arabischen Themen“ von 1957 des Komponisten Fikret Amirov und der Pianistin Elmira Nazirova (die auch mit Schostakowitsch eng zusammengearbeitet hatte) ist höchstens oberflächlich exotisch. Unter der Oberfläche glänzt auch in diesem Fall die alte Schule sowjetrussischer Prägung.

Auch wenn das alles nun etwas abschätzig geklungen haben mag; es ist so nicht gemeint. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob es Ende des 20. Jahrhunderts noch okay war, wenn einer komponierte, wie zu Beginn desselben Jahrhunderts. Man kann sich auch darüber streiten, ob diese Musik ein solches Forum überhaupt verdient hat. Gibt es nicht innovativere, vielleicht auch bessere Musik, bei der es sich eher lohnen würde, ein Orchester vom Range des Royal Philharmonic aufzubieten?
Ich denke, das dies nicht der richtige Ansatz ist, um mit dieser CD umzugehen. Musik — und gerade das haben sich die Komponisten der Avantgarde im 20. Jahrhundert mühsam erkämpft — ist heute mehr denn je eine freie Kunst. Jeder Komponist kann praktisch schreiben, was er will; kaum jemand wird sich darüber aufregen oder es sogar verbieten wollen, wie noch in nicht allzu ferner Vergangenheit und gerade auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Und in dieser Konsequenz ist auch die Rückkehr zu einem eigentlich schon überkommenen Stil ein künstlerisches Bekenntnis zur musikalischen Freiheit des Einzelnen. Außerdem sollte man bedenken, dass kulturelle Repressalien noch bis in die 1980er-Jahre hinein in der ehemaligen Sowjetunion an der Tagesordnung waren. Und Regionen, denen zugetraut wurde, dass sie eine eigene Autonomie anstreben würden (wie zum Beispiel Aserbaidschan), wurden dabei besonders „unter die Lupe genommen“. Im Endeffekt darf man also nicht voreilig die Stirn in Falten legen, wenn man sich manchmal fragt, warum die Musik, die wir hier hören, nicht auch an der Speerspitze der Avantagrde ihrer Zeit mitmischt.
Das musikalische Endergebnis, und zwar unabhängig von der stilistischen Herangehensweise, ist es, was letztendlich zählt. Und eben diese Bilanz fällt bei der hier von Naxos vorgelegten CD erfreulich positiv aus.

Das bereits angesprochene „Konzert nach arabischen Themen“ von Amirov und Nazirova setzt eindeutig bei Rachmaninoff an und widmet sich ganz dem Soloklavier, das als omnipotentes Zentrum fungiert und vom äußerst farbenreichen, schillernden Orchestervortrag in seiner unzweifelhaften „Star-Rolle“ bestätigt wird. Der Klavierpart erinnert gelegentlich an harmonische Zusammenhänge, die einem aus Schostakowitschs zweitem Klavierkonzert geläufig sind. Doch ist das Werk in sich weniger pfiffig und auch weniger modern als das Schostakowitschs (obwohl der Meister aus Leningrad ja gerade mit seinem zweiten Klavierkonzert einen dezidiert neoklassischen Ansatz gewählt hatte).

Das sicherlich überzeugendste Stück auf der CD ist das folgende vierte Klavierkonzert von Vasif Adigezalov, einem Karajew-Schüler. Dass dieses Konzert bis zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht in gedruckter Form vorlag, mag man kaum glauben. Voller origineller harmonischer Einfälle, mit dem gewissen exotischen „Touch“ versehen und mit einer unaufdringlichen aber anspruchsvollen Brillierpartie für das Piano gesegnet, gehört dieses Stück zu den unterhaltsamsten Klavierkonzerten sanft moderner Natur, die ich in letzter Zeit gehört habe. Auch wenn das Stück aus dem Jahr 1994 ein wandelnder Anachronismus sein mag, ist das hier einfach gute, spritzige und auch ungemein schöne Musik, die es ohne Zweifel verdient hat, dass sie hier einem hoffentlich großen Hörerkreis zugänglich gemacht wird.

Es folgt mit dem „Tanz für Klavier und Orchester“ von Tofig Guliyev aus dem Jahr 1958 ein nicht minder spritziges Werk, das seine Nähe zur Unterhaltungsmusik nicht verbergen kann und dies womöglich auch nicht will. Mich erinnert es zuweilen an die sogenannten „Jazz-Suiten“ Schostakowitschs, die ja auch der Salonmusik näherstanden als dem eigentlichen „Jazz“. Mit nur 3.41 min. Spielzeit bildet es einen recht flüchtigen Farbtupfer in einem sonst gewichtigeren Programm.

Die beiden abschließenden programmatischen Stücke „The Sea“ und „Shusha“ von Farhad Badalbeyli, der bei dem Großteil der hier zu hörenden Stücke auch der ausführende Pianist ist, darf man sicher am kontroversesten diskutieren. Sie sind beide in gewisser Weise schlau gemacht, dies jedoch auf eine quasi „patentgerechte“ Lehrbuchart, die sich zudem in hohem Maße dem Genre der Filmmusik annähert. Der eine darf das ruhigen Gewissens für puren Kitsch halten, während der andere die makellose Instrumentation und die Orchestrierungskünste des Komponisten bewundert. Eines ist sicher: Badalbeyli weiß, wie er das Klavier spektakulär in Szene setzen kann, und er hat auch ein Gespür für „große“ Melodiebögen, die man erneut in der Nachfolge Rachmaninoffs verorten kann, gewürzt mit einer Prise Broadway-Flair. Kein Wunder, dass er auch eine „Vocalise“ im Gepäck hat, die von Sopranistin Joan Rodgers allerdings etwas lapidar und zu routiniert dargeboten wird. Wie dem auch sei: Diese Kompositionen sind jedenfalls die „internationalsten“ im Programm dieser CD und verraten mit keiner Note ihre aserbaidschanische Provenienz.

Fazit: Eine CD, die nicht jedem behagen wird, die jedoch für Anhänger des luxuriösen Klavierkonzertstils á la Rachmaninoff und ähnlich klangberauschenden Konzertdrogen nicht abgeneigt sind, eine sehr warme Empfehlung darstellt, zumal auch der Klang der CD kaum besser sein könnte und selbst höchsten Ansprüchen genügt. Die Durchzeichnung des oft groß besetzten Orchesters ist tadellos, die Dynamik hält selbst Herausforderern audiophiler Labels mühelos stand und das Soloklavier ist so klangschön und volumenreich eingefangen worden, wie man es sich nicht besser wünschen kann.
Ich persönlich mag diese CD jedenfalls sehr und würde mir mehr solcher erfreulichen Ausflüge in die wenig beackerten Regionen der klassischen „Weltmusik“ wünschen.

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