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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

F. Liszt - Klaviersonate h-Moll / F. Schubert - Wanderer-Fantasie
Sergei Edelmann

(2011)
Triton / Challenge classics

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Sergei Edelmann — Liszt - Klaviersonate h-Moll / Schubert - Wandererfantasie

Der Geheimtipp unter den Geheimtipps

von Rainer Aschemeier  •  16. September 2011
Katalog-Nr.: EXCL-00038 / EAN: 4526977050382

Wenn unter Musikfans von Pianisten-“Geheimtipps“ die Rede ist, so ist Sergei Edelmann schon eher der Geheimtipp unter den Geheimtipps. Zwar gibt es von ihm bereits einige hervorragende Aufnahmen, wie etwa die Klavierkonzerte von Felix Mendelssohn Bartholdy, bei denen Edelmann von den Bamberger Sinfonikern unter Claus Peter Flor begleitet wurde, doch den ebenfalls mittlerweile recht zahlreichen Solo-CDs des Pianisten ist bislang noch nicht die Aufmerksamkeit zugekommen, die ihnen gebührt.

Rechtzeitig zum Liszt-Jahr veröffentlicht das japanische Label „Triton“ nun eine für meine Begriffe geradezu spektakulär gute neue SACD, auf der Sergei Edelmann Liszts Klaviersonate in h-Moll aus den Jahren 1852/53 sowie eine Neueinspielung der Wandererfantasie von Franz Schubert interpretiert.
Die beiden Stücke passen erstaunlich gut zusammen und bilden einen wunderbaren Programmrahmen, sodass es von dieser Seite her schon einmal nichts zu mosern gibt. Während Schuberts Wandererfantasie eines der anerkannten Meisterwerke der virtuosen Klavierliteratur ist und schon von den größten der Großen vielfach auf CD (weit weniger häufig auf SACD) eingespielt wurde, ist Liszts Klaviersonate beim Publikum vergleichsweise deutlich weniger bekannt und beliebt. Das mag daran liegen, dass es sich bei dem Stück um ein einsätziges Werk handelt, das durchgängig über etwas mehr als eine halbe Stunde Spielzeit erfordert und sowohl dem Pianisten als auch dem Publikum einiges abverlangt.
Wie alle Liszt-Stücke ist es äußerst virtuos angelegt und strotzt nur so vor Möglichkeiten zur Zurschaustellung technischen Könnens — wenn der Pianist dieses technische Können denn bewerkstelligen kann. Im Gegensatz zu vielen anderen Liszt-Kompositionen ist die Sonate aber auch ein Stück mit erstaunlich viel kompositorischem Tiefgang. Hier wird nicht nur mit virtuosem Gehabe vordergründig brilliert. Unter der Oberfläche spielt sich eine ganze Menge ab. Es gibt mindestens ein, eher mehrere Leitmotive.

Liszt-Denkmal in Weimar Foto: Rudolf Klein Bildquelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Liszt_weimar.jpg&filetimestamp=20080901150533

Das kompositorische Gesamtbild setzt sich Stück für Stück zusammen, bedient sich weiter Bögen, sodass Passagen am Ende des Stücks inhaltlichen Bezug nehmen auf Werkteile, die ganz am Beginn des Vortrags erstmals aufgetaucht sind. Kein Wunder, dass man diese Kompositionsweise Liszts als „al fresco“ bezeichnet hat, also als Technik, die uns dabei zuhören lässt, wie der Komponist ein musikalisches „Bild“ erschafft. Obwohl Liszt auch als Miterfinder des sinfonischen Gemäldes gilt, ist das „al fresco“ jedoch nicht programmatisch zu verstehen. Seine Klaviersonate ist zweifellos „absolute“ Musik, also Musik ohne programmatischen Bezug, die nur für sich steht und existenzfähig ist.
Auf einige Zeitgenossen muss Liszts Herangehen an die Sonatenform befremdlich gewirkt haben, denn die klassische Sonatenform war ja bis zu diesem Zeitpunkt vor allem darauf aus, Satzelemente miteinander in einen möglichst nahen, eventuell kontrastierenden, Bezug zueinander zu setzen, um darauf aufbauend eine Durchführung des thematischen Materials zu entwickeln. Liszt dreht den Spieß aber um, beginnt gewissermaßen mit der Durchführung und lässt die Themen in loser Folge und wie „zwischendurch“ immer mal wieder aufblitzen, erklärt manche zu musikalischen Leitgedanken, andere nicht, usw. Kein Wunder, dass sich der formbewusste „Brahmine“ und einflussreiche Musikkritiker Eduard Hanslick erboste, Liszts Sonate enthielte vor allem “...raffiniertes, freches Aneinanderfügen der disparatesten Elemente.“

Sergei Edelmann ist nicht nur ein Pianist, der es überzeugend schafft, die immensen spieltechnischen Hürden dieser Musik zu überwinden, sondern er ist auch jemand, der bei seinem Vortrag großes Verständnis für das beweist, was er da interpretiert. Zielsicher versteht es Edelmann jene Stellen, die zu dem verstreuten „Kerngebiet“ der Sonate gehören auch in seiner Interpretation in den Mittelpunkt zu rücken, ohne den Gesamtablauf des Stücks in den Hintergrund treten zu lassen. Das ist nicht nur technisch betrachtet eine Glanzleistung, sondern auch im engeren Sinne interpretatorisch. Hier hat sich jemand tiefgründig und lange mit der Komposition beschäftigt und daraus seine eigenen Schlüsse gezogen. Das ist die Königsklasse der Interpretation und beweist erneut, dass Edelmanns guter Ruf sehr berechtigt ist und dass er mit Fug und Recht zu den größten lebenden Pianisten unserer Zeit gezählt werden darf.

Dies beweist der in den USA lebende russischstämmige Pianist auch mit dem zweiten Stück auf der vorliegenden SACD, der Wandererfantasie von Franz Schubert. Dieses Stück ist eine der wenigen wirklich bis zur Grenze gehend virtuos angelegten Klavierkompositionen Franz Schuberts, der laut Aussagen von Zeitgenossen selbst nicht in der Lage gewesen sein soll, die Fantasie am Stück zu spielen.
Von der Wandererfantasie gibt es zahlreiche bedeutende Aufnahmen, von denen die 1962 bei EMI veröffentlichte Einspielung Svjatoslav Richters die womöglich am höchsten gelobte ist. Auch ich halte diese Einspielung für die allerbeste, was sich auch nach dem Hören der neuen Aufnahme von Sergei Edelmann nicht ändert.
Doch ähnlich wie beim Liszt-Stück beweist Edelmann auch bei der Wandererfantasie, dass er zu einer eigenen Vision und Deutung dieses gewichtigen Werks fähig ist. Ungewöhnlich kraftvoll und packend eröffnet er das Werk und zieht diese „harte Tour“ bis zuletzt durch.

Schubert-Denkmal im Wiener Stadtpark Bildquelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Schubert-m.JPG&filetimestamp=20110206024251

Das raubt einem nachgerade den Atem und lässt Einspielungen wie etwa die ebenfalls sehr renommierte Deutung des Stücks durch Alfred Brendel fast wie ein „laues Lüftchen“ erscheinen. Im Endeffekt jedoch ist mir Edelmanns Schubert zu kompromisslos geraten, und im direkten Vergleich mit der Richter-Einspielung wird auch klar, warum das so ist: Schubert war eben nicht Liszt, sondern stand eigentlich bis zum Ende noch mit einem Bein in der Traditionslinie der Wiener Klassik. Vieles an Schubert ist mehr Klassiker als Romantiker. Edelmann hingegen inszeniert seine Wiedergabe der Wandererfantasie als hochromantisches Drama, das verräterisch offenbart, dass der Interpret dieser Aufnahme eben einen ganz anderen musikalischen Horizont hat als der Komponist. Edelmann weiß eben, dass nach Schubert unter anderem Liszt oder auch Chopin folgen sollten. Schubert selbst konnte das natürlich nicht wissen.
Dieser Gedanke erscheint mir bei Sergei Edelmanns Deutung, die zweifellos legitim und auf ihre Art und Weise enorm eindrucksvoll ist, zu wenig Berücksichtigung gefunden zu haben.

Kommen wir abschließend zum Sound der Aufnahme, bei dem ich die Worte des Lobes nur weiterführen kann: Diese Aufnahme ist eine gnadenlos trocken klingende, ehrliche Klaviermusikaufnahme mit Ecken und Kanten, einem natürlich klingenden großen Konzertflügel und einer packenden Dynamik, die eindrucksvoll zeigt, über welch brutale Dynamikreserven aber auch über wie feine Abstufungen ein Konzertpiano verfügen kann, wenn nur der richtige Interpret davor sitzt. Der Klang der Aufnahme klingt äußerst natürlich und erfreulich nach „Kammermusik“. Soll heißen: Hier hat man den Vortrag in einem (zumindest klanglich so scheinenden) kleinen Raum aufgezeichnet und nicht in einer großen Konzerthalle. Ich halte das für Soloklaviermusik stets für die richtige Vorgehensweise, und die Tontechniker des Triton-Labels haben dafür einen weiteren eindrucksvollen Beweis erbracht.
Die SACD-Stereospur (eine Dolby-Surround-Spur gibt es vernünftigerweise nicht, denn das Klavier stellt ja eh von Natur aus schon eine „Punktschallquelle“ dar und bedarf deshalb meines Erachtens keinen Surroundsound) eröffnet dem Hörer einen noch etwas größeren Dynamikumfang und einen weicher wirkenden Anschlag. Alles in allem unterscheiden sich CD- und SACD-Spur nicht so dramatisch voneinander, wie man das von manch anderer Produktion kennt. Ich persönlich finde, dass das ein gutes Zeichen ist, denn das heißt, dass das Downsampling auf 44,1 Khz so gut durchgeführt wurde, dass es zu nur marginalen Verlusten zwischen dem hoch auflösenden DSD-Signal der SACD-Spur und der „normalen“ CD-Spur gekommen ist. Also ist diese uneingeschränkt Hifi-taugliche Aufnahme auch für solche Hörer empfehlenswert, die nicht über eine SACD-Abspielmöglichkeit verfügen, sondern „nur“ über einen gewöhnlichen CD-Player.

Fazit: Unbedingt reinhören! Es lohnt sich!

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Challenge classics“, zur Verfügung gestellt.))

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