E. Svetlanov - Kompositonen für Sinfonie-Orchester (2011/2007)
• • • • Evgeny Svetlanov — Kompositionen für Sinfonieorchester (4-CD-Box)Lehrstunde in russischem Stilvon Rainer Aschemeier • 12. September 2011
Evgeny Svetlanov war einer der russischen Dirigenten des „alten Schlags“, der zusammen mit seinen Kollegen Mravinsky, Kondrashin, Barshai und Roshdestvensky wohl am meisten das verkörpert, was Musikliebhaber in der ganzen Welt als den „russischen Stil“ verstehen: Eine übersatte, dunkel kolorierte Klangpalette und einen daraus resultierenden Orchestersound mit überwältigender Tiefe und Wärme, aber auch stets mit leichten „Fehlern“, wie zum Beispiel nicht immer punktgenauen Einsätzen und gelegentlich auch mal ausfransenden Streichern, die aber die Interpretationsleistung nur noch charakteristischer und durchaus auch sympathischer machten. Bei Svetlanovs Aufnahmen ging emotionale Tiefe und spritzige Feurigkeit stets vor technischer Präzision, obwohl auch diese von ihm teilweise in ganz beeindruckender Qualität erzielt worden ist. Weit weniger bekannt als Svetlanovs Hinterlassenschaft als Dirigent ist dessen Engagement als Komponist. Bereits vor einigen Jahren konnten Sammler auch diese Lücke zumindest teilweise schließen, da im Rahmen der (allerdings offiziell nur in Frankreich erschienenen) „Evgeny Svetlanov-Édition“ von Warner Classics auch eine CD mit Svetlanovs erster Sinfonie und der Sinfonischen Dichtung „Le Sorbier Rouge“ erschienen war. Svetlanov ließ sich bei seiner sinfonischen Dichtung "Daugava" von dem Fluss Düna inspirieren, der in der Nähe der Wolgaquelle entspringt, durch Lettland fließt und in die Ostsee mündet. Foto: Andrey Schelkunov. Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dvina-ruba.jpg?uselang=de Doch beginnnen wir vielleicht mit einer kurzen Charakterisierung des Kompositionsstils von Evgeny Svetlanov: Wie man bei der Vorliebe und Kompetenz des Dirigenten Svetlanov für spätromantisches Repertoire kaum anders erwartet hätte, bewegt sich auch der Komponist Svetlanov auf neoromantischem Terrain mit nur zaghaften, gelegentlichen Anflügen von musikalischer Moderne. Teilweise (so zum Beispiel in der ersten Sinfonie) möchte ich den Stil als relativ anbiedernd anmutende Sowjet-Sinfonik charakterisieren, die den Parteioberen und Kulturwächtern der UdSSR ganz sicher kein Dorn im Auge gewesen ist. Speziell dieses Werk, die Sinfonie, wirkt dann auch aus heutiger Sicht unangenehm pathos-beladen und mit dem Dünkel kommunistischer Großartigkeitsfantasien komform gehend und gewissermaßen „passgenau“ für diesen Zweck komponiert. Doch selbstverständlich stellen auch solche Werke einen wichtigen Einblick in die Musikhistorie dar. So etwas hat es eben auch gegeben, und nicht jeder war, wie Schostakowitsch oder Popov, bereit seinen Hals zu riskieren, indem man den Parteibonzen Anlass zur Verdächtigung gegeben hätte, hier würde jemand „formalistische“ Musik komponieren. Die wirklich erfreulichen Bestandteile dieses insgesamt gesehen ziemlich interessanten 4-CD-Sets sind denn auch eher die kleinmaßstäblichen Kompositionen, wie etwa die beiden enthaltenen Rhapsodien für Sinfonieorchester und die Sinfonischen Dichtungen. In fast allen dieser Stücke bekennt sich Svetlanov zur bildhaft komponierten Programmatik, und nicht umsonst trägt seine erste Rhapsodie den Titel „Bilder aus Spanien“. Seine zweite Rhapsodie, interessanterweise ohne programmatischen Titel, ist zweifellos eine Auseinandersetzung mit jüdischer Musik, und zwar eine sehr gelungene. Das ist ein glänzend unterhaltendes und nachgerade spannend zu hörendes Stück, das zu den allerbesten Momenten dieser CD-Edition gehört. Ich könnte weitermachen und einzelne Stücke hervorheben und skizzieren, doch das würde nicht viel zu dem bereits mitgeteilten Gesamteindruck beitragen: Svetlanov als Komponist ist nicht immer erste Liga, doch fast immer große und gute Musikunterhaltung. Für Menschen mit dem Sinn für programmatische Sinfonik russischer Prägung (ich nenne da als Beispiel jetzt mal Borodins „Steppenskizze aus Mittelasien“, Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ oder „Die Nacht auf dem kahlen Berge“ oder Rachmaninoffs „Toteninsel“) ist das 4 CD-Set eine sehr lohnende Anschaffung, und Sammler von russischer Sinfonik brauchen die Box ohnehin. Zum Schluss kann ich noch Erfreuliches verkünden, denn obzwar die Aufnahmen teilweise bereits fast 60 Jahre auf dem Buckel haben, ist der Sound der CD ganz hervorragend. Man hat nicht nur beim Remastering ganze Arbeit geleistet, die Aufnahmen offensichtlich mit großem Aufwand einem „Denoising-Prozess“ unterzogen und digital gemastered, sondern auch bei den ursprünglichen Aufnahmen waren echte Könner am Werk. Das war eben noch die gute alte russische Tonmeisterschule, die innerhalb von nur zwei, drei Jahrzehnten so drastisch „den Bach runterging“, dass man sich nur wundern kann. Die Aufnahmen auf den vier CDs dieses Sets sind zwar untereinander qualitativ schwankend (je nach Aufnahmeort, -zeit, -ingenieur, usw.), haben jedoch diesen unwiderstehlich satten, russischen „Analog-Sound“, den zumindest ich, subjektiv gesehen, mit für das Allergrößte halte, was man sich per Tonkonserve geben kann. Objektiv muss man natürlich Abzüge feststellen: Weder Auflösung noch Dynamik noch Grundrauschen und Bandbreite des wiedergegebenen Frequenzspektrums entsprechen den modernen Gepflogenheiten oder gar Hifi-Ansprüchen. Doch das klangliche „Gesamtbild“ ist für meine Begriffe einfach unwiderstehlich. Ich liebe diesen Sound, der mit ein Grund dafür ist, warum ich auch auf Hifi-Geräte mit Röhrenvorstufen stehe und nicht auf das ganze klangkalte Transformatorzeugs… ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma Klassik Center Kassel, zur Verfügung gestellt.)) |
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