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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Arvo Pärt - Klaviermusik
R. van Raat, Niederländ. Radio-Kammerphilharm., JoAnn Falletta

(2011)
Naxos

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Arvo Pärt — Klaviermusik

Toller Überblick über das Klavierschaffen des estnischen Star-Komponisten

von Rainer Aschemeier  •  10. September 2011
Best.-Nr.: 8.572525 / EAN: 747313252572

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde diese neue Naxos-CD vor allem Musik für Solo-Klavier von Arvo Pärt enthalten, jenem estnischen Komponisten, der spätestens seit der zigtausendfach verkauften ECM-CD mit dem Titel „Tabula Rasa“ zu den Bestsellern unter den zeitgenössischen Komponisten gehört. Doch das stimmt nicht: Die CD enthält etwa gleich viel Soloklaviermusik und Musik für Klavier und großes Orchester. Der Eindruck entsteht nur dadurch, dass es sich bei dem Programm dieser CD um relativ viele relativ kurze Klavierstücke handelt und um einen mehr als 35-minütigen „Orchesterboliden“ namens „Lamentate: Homage to Anish Kapoor and his sculpture `Marsyas´“ aus dem Jahr 2002.

Dieses Stück verhehlt eigentlich nur vom Titel her, dass es sich dabei im Prinzip um ein beinahe normales Klavierkonzert handelt — sehr ungewöhnlich für Arvo Pärt, der ab Mitte der 1970-er bis zur Jahrtausendwende die großen Formen wie Sinfonie und Konzert eher gemieden hat. Doch im Jahr 2009 hat uns der estnische Meister ja auch eine vierte Sinfonie beschert, was wohl die wenigsten erwartet hätten — stammte seine umstrittene Dritte doch aus dem Jahr 1971…
Und so kann man vielleicht auch dem 1935 geborenen Pärt inzwischen einen „Spätstil“ attestieren, der weit weniger zurückhaltend zu sein scheint und wieder auf größeren orchestralen Effekt setzt. In diesem Punkt schließt sich ein Kreis, denn Pärts orchestrale Frühwerke, wie etwa das seinerzeit skandalöse Cellokonzert (in dem ein riesiger Orchesterapparat unter anderem durch Effekte wie knisternde Alufolie und mehrere quietschende Gummitiere aufgestockt wurde) oder das spektakuläre „Perpetuum Mobile“, das die Möglichkeiten eines großen Sinfonieorchesters voll ausnutzte, waren ebenfalls sehr opulent ausgestaltet.

So könnte man also sagen, dass Pärts „Lamentate“ die typische „Pärt-gewordene“ Neo-Tonalität, die der Komponist einst als „Tintinabuli-Stil“ bezeichnete, mit dem orchestralen Aufwand seiner Frühwerke verquickt. Das ist durchaus reizvoll, aber auch weniger „bequem“, als die Werke, die wir von diesem Komponisten aus den 1980-er- und 1990-er-Jahren gewohnt waren. Und das ist auch gut so! Denn der Spott von Fans Neuer Musik auf die (nur scheinbar) reaktionären Werke des Esten war ja schon fast sprichwörtlich.
Stücke wie „Lamentate“ zeigen nun, dass Pärt vorschnell in den „Minimalisten-Topf“ geworfen wurde. Das beeindruckend orchestrierte Werk zeigt auch, welche kompositorische Meisterschaft hier am Werke ist, welche Beherrschung der Mittel, vor allem der Klangfarben, die hier geschaffen werden. Das ist hochgradig beeindruckend und wirft durchaus noch einmal ein neues Licht auf diesen Komponisten, den man schon so gut zu kennen glaubte.

Der Pianist dieser Aufnahme, der Niederländer Ralph van Raat, hat sein Programm sehr klug aufgebaut, indem er uns einer Zeitreise ähnlich Arvo Pärts bisherige Stilwandel vom Opus 1 aus dem Jahr 1958 bis heute miterleben lässt. Das ergibt eine ganz wunderbare, rund 66-minütige Reise durch das „Stil-Leben“ eines Komponisten und eignet sich somit nicht nur für Kenner der Musik Arvo Pärts (die auf der vorliegenden CD vor allem die selten eingespielten Frühwerke begeistern werden), sondern vor allem auch für Einsteiger in das Werk des Esten.

Die Interpretationen sind samt und sonders gut. Aber Ralph van Raat scheint mir noch eine Spur zu sehr „pianistisch“ an die Sache heranzugehen, denn Pärts Musik setzt nun einmal zu weiten Teilen auf die völlige Zurücknahme des eigenen Personalstils des Interpreten zugunsten purer, quasi emotionslos vorgetragener Klänge, die durch strikte Pedalanweisungen den Effekt bekommen, als würden sie „endlos im Raum stehen“ und nie verhallen. Um diese „Purheit“ des Klangs bemüht sich Ralph van Raat hörbar, doch genau das ist eben auch das Problem: Es ist bemüht, und es ist hörbar.
Wie großartig gelingt es hingegen der US-amerikanischen Dirigentin JoAnn Falletta die Niederländische Radio-Kammerphilharmonie auf das Pärt-Gleis zu setzen! Winzigste Dynamik-Nuancen werden hörbar, totale Zurücknahme der Einzelmusiker zugunsten des Großen, Ganzen wird erreicht. Und auch Ralph van Raat steht das Stück mit Orchestermusik viel besser zu Gesicht, denn in diesem „getarnten“ Klavierkonzert klingt sein Stil viel passender, und hier „darf“ er auch einen eigenen klang einbringen, denn hier ist es legitim.

Alle Aufnahmen klingen vorzüglich und reihen sich in die besseren (Soloklavierstücke) und besten (Orchesterstück) Klangergebnisse aus dem Hause Naxos ein.
Fazit: Ein wunderbarer Überblick über das Pärt’sche Klavierschaffen mit und ohne Orchester. Abzüge höchstens in der „B-Note“, ansonsten Klasse!

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