Eliesha Nelson & Glen Inanga - Russian Viola SonatasVom "russischen Brahms" bis hin zum Kompositionslehrer von Prokoffjew und Mjaskowskivon Rainer Aschemeier • 26. August 2011
So kann’s gehen! Da müssen erst zwei afroamerikanische Künstler eine CD mit Bratschensonaten russischstämmiger Komponisten aufnehmen, um uns an einen der einstmals im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts beliebtesten Komponisten zu erinnern. Die Rede ist von Paul Juon, der ab 1897 als Professor an der Berliner Musikhochschule tätig war. Mithilfe der Unterstützung von Joseph Joachim entwickelte Juon sich nicht nur zu einem der namhaften Lehrer dieser Universität sondern auch zu einem der beliebtesten Komponisten des späten 19./ frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland, der den Besuchern von Konzerten, in denen seine Musik gespielt wurde, als „russischer Brahms“ geläufig war. Allein diese hochinteressante „Wiederentdeckung“ rechtfertigt diese wunderbare CD, doch es gibt noch einiges mehr, weswegen sich der Kauf lohnt: Das Programm wurde um weitere Raritäten ergänzt, so etwa um eine halbstündige Sonate und ein kurzes Gelegenheitswerk von Alexander Winkler. Er hatte eine ganz ähnliche Lebensgeschichte wie Juon vorzuweisen, nur emigrierte er 1924 nach Frankreich, um dort Direktor des Musikkonservatoriums von Besançon zu werden. Es folgt das kurze Gelegenheitswerk von Alexander Winkler, das ich bereits angesprochen hatte. Es kommt und geht, ohne viel Eindruck zu hinterlassen. Anschließend gibt es aber wieder viel Grund aufzumerken, denn die Sonate in D-Dur von Paul Juon, Op. 15 (wir erinnern uns: der „russische Brahms“) macht mehr als deutlich, weshalb Juon im Berlin der Jahrhundertwende so beliebt war. Dieses Porträt zeigt Paul Juon vermutlich in den späten 1920-er-Jahren. Zu dieser Zeit war er bereits seit Langem etablierter Professor an der Berliner Musikhochschule und ein in Deutschland sehr beliebter Komponist, der als "russischer Brahms" tituliert wurde. Bildquelle: Internationale Juon-Gesellschaft; http://www.juon.org/0.IJGHomePage_en.html Das ist auch heute noch gut hörbare Musik, die einiges vom Besten der europäischen Hochromantik in sich trägt, allerdings auch arg konservativ wirkt. Aber das dürfte zu Juons Beliebtheit seinerzeit nur beigetragen haben. Später wurde ja bekanntlich auch Paul Juon etwas experimenteller, notierte in ungewöhnlichen Rhythmen ohne Taktstriche und nahm somit Vieles vorweg, was Komponisten wie Boris Blacher später zur voll ausgeprägten Reife führen sollten. Doch in der Bratschensonate auf dieser Compact Disc, welche mit einer „großen“ Sonate von Alexander Winkler endet, ist davon noch nicht viel zu hören. Das angesprochene Stück von Winkler ist das, mit dem ich persönlich die meisten Probleme habe. Obwohl Alexander Winkler Lehrer von Mjaskowski und Prokoffjew gewesen ist, vermag mich sein kompositorischer Ansatz jedenfalls bei den Stücken auf dieser CD nicht vom Hocker zu reißen. Vieles wenig grundlegend Originelles wird in ihrem Verlauf dermaßen überdramatisiert, dass so einiges in Winklers Musik letztendlich wie ein großer, aufgeblasener Ballon voll heißer Luft wirkt. Am interessantesten ist noch der abschließende Variationssatz über ein bretonisches Thema, der zudem mit knapp 13 Minuten auch deutlich länger ausfällt, als alle anderen Sätze des Stücks. Winklers Stil würde ich übrigens am ehesten mit der Kammermusik Skrjabins vergleichen wollen. Die junge Bratschistin Eliesha Nelson wurde in Alaska geboren und spielt normalerweise in der Bratschenabteilung des weltberühmten Cleveland Orchestra. Im Florida Philharmonic Orchestra (deutlich weniger weltberühmt…) war sie sogar Solobratschistin. Ihr Spiel ist qualitätvoll, einfühlsam und zeugt von einiger Erfahrung auch auf dem Gebiet der Kammermusik. Sie ist eine Vertreterin eines eher „hohen“, „hellen“ Bratschentons, was der Musik auf dieser CD (vor allem der Juon-Sonate) recht gut zu Gesicht steht. Alles in allem ist die CD aber klangtechnisch durchaus noch über dem Durchschnitt angesiedelt; sie ist zum Beispiel sehr schön aufgelöst und hat auch eine schöne räumliche Abbildunng, was man bei Kammermusikaufnahmen deutlich weniger häufig zu hören bekommt, als bei Orchestereinspielungen. Fazit: Eine ganz tolle CD mit extrem rarem Repertoire. Sie ist sowohl interessant für die Anhänger russischer Musik zur Zeit der Jahrhundertwende und der frühen „Moderne“ (so weit man davon im von Kulturrepressalien geplagten Russland überhaupt sprechen kann) als auch für diejenigen, die sich mehr für die spätromantische Musikumgebung in Deutschland und Frankreich zu dieser Zeit interessieren. |
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