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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Central Europe
A. Mital & O. Tolan

(2011)
Solo Musica

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Adam Mital & Olimpia Tolan - "Central Europe"

Gelungene CD mit missglücktem "Motto"

von Rainer Aschemeier  •  24. August 2011
Best.-Nr.: SM 153 / EAN: 4260123641535

Adam Mital ist ein junger Cellist aus der Schweiz. Im Alter von 32 Jahren legt er nun seine Debüt-CD beim bayerischen Solo Musica-Label vor. Er bietet auf der mit insgesamt sieben unterschiedlichen, zum Teil mehrsätzigen Stücken recht voll gepackten CD ein Programm, das sich vor allem den osteuropäischen Komponisten Dvořák, Janáček, Bartók und Martinů widmet. Doch irgendwie musste offenbar auch noch ein richtiger „Crowdpleaser“ mit aufgenommen werden, denn die CD muss schließlich auch Hörer und Käufer finden. Also holte man noch Schuberts bekannte Arpeggione-Sonate, D 821 mit „ins Boot“. Für eine CD, die man eigentlich herrlich unter einem Motto á la „musikalische Reise durch Tschechien und Ungarn“ (oder so ähnlich) hätte vermarkten können, musste also nun ein neues „Leitmotiv“ gefunden werden. Flugs erinnerte man sich an den geographisch wenig scharfen Begriff „Zentraleuropa“ und verpasste ihn der CD, was zweifellos genau so unscharf und reizlos ist, wie die Termini „Zentraleuropa“ beziehungsweise „Mitteleuropa“ selbst.

Doch letzten Endes ist es ja die Musik, die zählt und nicht der Titel einer CD. Mital eröffnet, am Klavier begleitet von seiner langjährigen Duettpartnerin und Ehefrau Olimpia Tolan, mit einer stilvoll und beherzt musizierten Arpeggione-Sonate. Schubert, der dieses Stück ursprünglich für den Arpeggione geschrieben hatte, ein Instrument des 19. Jahrhunderts, das eine ungewöhnliche Mischung aus Gitarre und Violoncello darstellte, legte mit ihm ein klassisches Gelegenheitswerk vor: Hübsch anzuhören, voller herrlicher Melodien, kompositorisch zwar eher weniger anspruchsvoll, dafür in Sachen Schwierigkeitsgrad für den ausübenden Cellisten umso schwieriger. Doch Halt! Stimmt das überhaupt?
Mittelbar stimmt es sehr wohl, denn nicht umsonst ächzen Cellisten aus aller Welt, wenn sie dieses so „harmlos“ wirkende Stück einüben — müssen sie sich dabei doch ganz schön die „Finger verrenken“. Wie kommt das? Die Erklärung ist simpel: Der Arpeggione war gestimmt wie eine Gitarre, was Schubert kompositorisch dazu bewegte, auch Musik für diese Instrumentenstimmung zu schreiben. Spielt man das Ganze auf dem ganz anders gestimmten Cello, wird es eben schwierig.

Adam Mital beweist bei seiner Schubert-Lesart, dass er nicht zu denjenigen Cellisten gehört, die auf gepflegtes Understatement setzen. Er stellt sich und sein Instrument von Beginn an unzweifelhaft in den Mittelpunkt des Geschehens und scheut auch nicht das heutzutage immer mehr „unmodern“ werdende ausgeprägte Vibrato, um dem Schubert-Stück jede Menge romantischen „Schmelz“ zu verleihen. Damit stellt er sich meines Erachtens gegen den derzeit herrschenden Trend, auch romantische Literatur in eher „klassizistischen“ Interpretationen aufzunehmen. Mital steht in Sachen Tonfall und Ausdrucksmittel viel mehr ganz in der Tradition der „großen“ Cellisten wie Starker, Casals, Rostropowitsch oder Geringas (noch) ohne jedoch deren Niveau und emotionale Tiefe zu erreichen.
Das setzt sich auch bei den folgenden Stücken fort, von denen mir das dreisätzige „Pohádka“ von Leoš Janáček besonders gut gefällt. Doch auch die Stücke von Dvořák und Martinů erweisen sich als gute Wahl, wie überhaupt die CD eine sehr schöne Programmzusammenstellung aufweist — trotz ihres missglückten „Mottos“.
Ein Eindruck drängt sich mir allerdings auf, nämlich der, dass die Qualität der Interpretationen durchaus schwankt. Scheint Mital sich bei einigen Werken ganz besonders „ins Zeug“ zu legen, wirken andere beinahe wie „beiläufig“ eingespielt. Sicherlich ist das nicht ganz verwunderlich, denn auf der CD finden sich ja auch musikhistorisch betrachtet „wichtige“ und „weniger wichtige“ Stücke. Dennoch sollte man meinen, dass ein Künstler, der seine Debüt-CD veröffentlicht, jede Sekunde davon auskosten, ja, geradezu „ausleben“ will.
Bei den Werken, wo Mital mal so richtig zeigt, was in ihm steckt, da hebt man dann aber auch wirklich die Augenbrauen; so, wie etwa bei der Bearbeitung von Bartóks rumänischen Volkstänzen, bei denen Mital geradezu halsbrecherische Flageolettparts mit Bravour meistert. Und auch beim Janáček ist deutlich zu hören, wie sehr beiden ausführenden Künstlern diese Musik liegt, wie sehr sie sie auch lieben und wie gut ihnen die durchaus komplex wirkenden Pizzicato-Parts, bei denen sich Cello und Klavier kontrastierend gegenüberstehen, „in Fleisch und Blut“ übergegangen sind. Auch die Balance zwischen Cello und Klavier wirkt hier besonders ausgewogen. Gerade bei „Pohádka“ von Janáček ist es aber besonders schwierig diese Balance zu finden, da der Komponist bei diesem Stück Cello und Klavier sehr „gleichberechtigt“ behandelt: Es gibt dort kein klares Soloinstrument. Vielmehr erhalten beide Instrumente ihre solistischen Parts und dürfen jeweils emanzipiert brillieren.

Der eigentliche Star dieser Aufnahme ist für mein Dafürhalten übrigens Olimpia Tolan, die eine nicht nur routiniert und absolut makellos gespielte Vorstellung am Klavier abliefert, sondern auch auf ganz unaufdringliche Art und Weise einen eigenen „Ton“ gefunden hat, der sie in meinen Ohren zu einer von wirklich wenigen macht, die heutzutage am Klavier dazu in der Lage sind, eine eigene musikalische Identität zu vermitteln. Das ist tatsächlich ganz ganz großes Kino, und zumindest ich würde mir sehnlichst einmal eine Soloaufnahme von Olimpia Tolan wünschen, um zu hören, inwieweit sie ihren herrlichen Interpretationsansatz auch bei Soloklaviermusik umzusetzen weiß.

Der Sound der CD ist, wie man es von „Solo Musica“ gewohnt ist, sehr gut. Ein wenig mehr räumliche Tiefe hätte man sich gewünscht, auch ein wenig mehr „Miteinander“ und weniger „Nebeneinander“ von Cello und Klavier wären klanglich noch besser gewesen; aber das ist Jammern auf hohem Niveau: Nur wenige Labels im derzeitigen Musikbetrieb schaffen es, so großartig klingende CD-Produktionen zu veröffentlichen wie „Solo Musica“.

Fazit: Ein gelungener Auftakt zu einer hoffentlich lange währenden Studiokarriere des Duos Mital und Tolan. Auf den Bühnen der Welt sind die beiden schon länger zuhause, nun ist die Zeit reif, um auch für Tondokumente zu sorgen. „Solo Musica“ sorgt dabei für guten Klang.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Naxos“, zur Verfügung gestellt.))

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