Ildebrando Pizzetti — StreichquartetteIntime Kompositionen für Streichquartett in zeitlos empfehlenswerter Interpretationvon Rainer Aschemeier • 15. August 2011
Unter den Komponisten der italienischen „Generation der 1880er“, ist Ildebrando Pizzetti derjenige, um den es bislang noch am ruhigsten geblieben ist. Die „Generation der 1880er“, mittlerweile ein feststehender Begriff in der Musikgeschichtsschreibung, ist gleichzusetzen mit Namen wie Ottorini Respighi, Alfredo Casella und Gian Francesco Malipiero. Sie gelten zusammengefasst als Erneuerer und als Begründer eines zeitgenössischen E-Musik-Stils in Italien. Lange Zeit standen sie im übergroßen Schatten der Meister des italienischen Barock, doch in den letzten 20 Jahren ist auch das Interesse an der italienischen Musik-Moderne wieder aufgeflammt. Nur die Musik Pizettis scheint dabei irgendwie „vergessen“ worden zu sein. Woran liegt das nur? Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, doch es mag daran liegen, dass zumindest das Frühwerk Pizzettis in weitaus geringerem Maße eine persönliche Tonsprache beinhaltet, wie jenes seiner Altersgenossen. Während man auch die frühesten Kompositionen von Casella, Malipiero und Respighi oft schon nach wenigen Minuten sicher ihren jeweiligen Urhebern zuordnen kann, denkt man beim A-Dur-Streichquartett Pizzettis aus dem Jahr 1906 erst einmal unweigerlich, man hätte es hierbei vielleicht mit einem bislang unentdeckten Werk Antonín Dvořáks zu tun. In der Tat sind die Parallelen verblüffend: Der natürliche, volkstümliche Ton, die lyrische Melodienseligkeit — kaum etwas lässt einen da vermuten, dass wir es hier mit einem der späteren Mitbegründer der italienischen Moderne zu tun haben. Doch auch das rund 25 Jahre später entstandene Streichquartett in D-Dur ist nicht gerade das, was man als Speerspitze der Avantgarde der 1930er-Jahre umschreiben würde. Pizzetti verbleibt im spätromantisch-melodiösen Stil, weitet lediglich die Tonalität seinen gewachsenen Ansprüchen gemäß aus und geht auch sonst etwas expressiver zu Werke. Die klassische Form ist beim D-Dur-Quartett immer noch spürbar, doch der Komponist klammert sich nicht mehr an sie. Sie hat für ihn nun höchstens noch die Funktion einer musikalischen Leitlinie, aber sie bildet nicht mehr das unverzichtbare Gerüst für seine Arbeit. Wer damit leben kann, dass er hier weder musikalischen Futurismus serviert bekommt, wie etwa bei Malipiero oder Casella zuweilen, noch Sinfonische Dichtungen, bei denen der Himmel voller Geigen hängt (vgl. Respighi), der sollte sich Pizzettis Musik ruhig einmal anhören. Von den Komponisten der „Generation der 1880er“ ist er womöglich der, der am wenigsten auf revolutionäre Umbrüche oder breite Massenwirkung aus ist. Seine beiden Streichquartette jedenfalls wirken eher introvertiert, so als wäre Pizzetti vor allem daran gelegen, seinen eigenen musikalischen Weg zu finden. Ich persönlich hatte manchmal den Eindruck, als schriebe hier einer gar nicht für ein Publikum, sondern ausschließlich für sich selbst. Gerade das D-Dur-Quartett wirkt sehr intim und manchmal auch verletzlich. Ich gebe zu: Mir geht das sehr nahe. Es ist das große Verdienst des Lajtha Quartetts, dass es diese nuancenreiche Musik kongenial in die Tat umgesetzt hat. Die ungarischen Musiker musizieren mit hohem Können und sind merklich mit „Herzblut“ bei der Sache. Sicher könnte man sich vorstellen, dass ein echtes Spitzenquartettensemble diese Stücke noch etwas differenzierter und künstlerisch hochwertiger einspielen würde, doch so lange die namhaften Ensembles Pizzetti nicht für sich entdecken, sind wir mit der hier vorliegenden Aufnahme bestens bedient. An der Leistung des Lajtha Quartetts gibt es jedenfalls nichts auszusetzen. Diese Aufnahme erschien erstmals bereits 1995 bei Marco Polo und wird hier nun unter dem Naxos-Banner wiederveröffentlicht. Während Naxos dies sonst immer durch einen Hinweis auf dem Backcover seiner CDs kenntlich macht, ist das bei dieser Einpielung nicht der Fall. Ich kann mir das nur so erklären, dass es schlichtweg vergessen wurde, denn es wäre zweifellos ehrlicher gewesen, darauf hinzuweisen, dass dies keine brandneue Aufnahme ist. Das merkt man nämlich auch am Klang. Die Tontechnik von 1995 ist noch immer gut hörbar und besitzt ein angenehm warmes Timbre. Doch in Sachen Räumlichkeit, Brillanz und Durchhörbarkeit ist diese Wiederveröffentlichung nicht mehr so ganz zeitgemäß. Fazit: Eine tolle Aufnahme von zwei herrlichen Werken, denen Liebhaber spätromantischer Kammermusik unbedingt eine Chance geben sollten. Der Klang dieser Wiederveröffentlichung ist ein wenig in die Jahre gekommen, ist jedoch immer noch gut und angenehm hörbar. Die Kombination aus beidem macht diese CD zu einer im Prinzip zeitlosen Empfehlung. Man würde sich wünschen, dass dieses Repertoire auch mal von einem echten Spitzenensemble angegangen wird. Verdient hätte es Pizzettis Musik auf jeden Fall! |
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