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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

A. Dvořák - Streichquartette Nr. 9 & 14
Delmé Quartett

(2002)
Somm Recordings / Klassik Center Kassel

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Antonín Dvořák - Streichquartette Nr. 9 & 14

Hyperbrillanter Dvořák aus Großbritannien

von Rainer Aschemeier  •  4. August 2011
Best.-Nr.: SOMMCD 231 / EAN: 748871323124

Die hier vorgestellte CD werden manche Streichquartettenthusiasten bereits kennen, denn sie wurde bereits 2002 zum vierzigsten „Geburtstag“ des Delmé Quartetts veröffentlicht. Da die CDs von Somm Recordings aber erst seit kurzer Zeit offiziell auch über einen deutschen Vertrieb verfügbar sind, ist die hier vorliegende CD streng genommen eine Marktneuheit.

Sie beinhaltet zwei der reizvollsten Streichquartette Antonín Dvořáks. Es handelt sich dabei um das Streichquartett Nr. 9, op. 34 sowie um das fabelhafte 14. Streichquartett, op. 105. Beinahe 20 Jahre liegen zwischen den beiden Stücken, und so nimmt es kaum Wunder, dass sie beide jeweils ihren ganz eigenen Charakter haben.

Vom Streichquartett Nr. 9 ist die Geschichte, die damit zusammenhängt, wohl bekannter als das Werk selbst: Dvořák hatte sich 1878 mit diesem Stück bei Johannes Brahms vorgestellt und brieflich darum gebeten, dem „hochgeehrten Meister (...) aus Dankbarkeit und tiefster Hochachtung für Ihre unvergleichlichen Schöpfungen“ die „Dedication“ des d-moll-Quartetts anbieten zu dürfen. Brahms zeigte sich ganz als huldvoller Maestro und akzeptierte — jedoch nicht, ohne im Antwortbrief ein bisschen an dem Stück und seinem Komponisten herumzumäkeln: „Sie schreiben einigermaßen flüchtig. Wenn Sie jedoch die fehlenden ♯♭♮ nachtragen, so sehen Sie auch vielleicht die Noten selbst, die Stimmführung usw. bisweilen etwas scharf an.“ Dvořák befolgte Brahms‘ Rat und schrieb in seinem nächsten Brief an den deutschen Romantiker, er sehe nun die vielen „schlechten Noten“. 1879 erfolgte eine Revision des kompletten Stücks, die wohl auch der hier vorliegenden Einspielung zugrunde liegt.
Das d-moll-Quartett ist eines der ersten Dvořáks, die seine typische, ureigene Tonsprache beinhalten. Mit seinem betont schlanken Klang deutet es auf bemerkenswerte Weise in die musikalische Zukunft. Vielleicht war das für Brahms etwas zu viel „Entschlackung“ auf einmal. Wie dem auch sei, heute ist Dvořáks neuntes Streichquartett nicht unbedingt eines seiner beliebtesten Werke, was auch daran liegen mag, dass es sich so gar nicht mit dem rustikal-volkstümlichen Charme umgibt, den wir alle an Dvořák so schätzen. Es ist vielmehr ein nachgerade melancholisches Stück, dass es schafft, selbst den zweiten Satz „Alla Polka“ noch so wirken zu lassen, als sei die tänzerische Leichtigkeit, die dort gezeigt wird, eine, die man hinter Glas erblickt, aber nicht selbst erlebt.
Dies ist in der Tat ein recht hintergründiges Werk, und vielleicht ist es eben dies, was man bei Dvořáks Musik nicht unbedingt erwartet.

Ganz anders „gestrickt“ ist dagegen das 14. Streichquartett, dass heute berechtigterweise zu den unbestrittenen Meisterwerken des Tschechen zählt. Dvořák begann das Stück noch in seiner Zeit in Amerika, im März 1895. Doch er brachte es dort nicht zum Ende, sondern nahm es mit in die sehnsuchtsvoll vermisste Heimat. Nun soll man zwar biografische Aspekte nicht zur Werkinterpretation heranziehen, doch ist es in diesem Fall einfach zu verlockend; das in As-Dur gesetzte Stück wirkt musikalisch nämlich wie ein „Zwitter“ aus Dvořáks böhmisch-rustikalem Ton und seinen in Amerika hinzugewonnenen Einflüssen, die wir ja nur allzu gut aus der neunten Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ und aus dem 12. Quartett kennen, das auch als „Amerikanisches Streichquartett“ in die Musikgeschichtsschreibung eingegangen ist.
Erstaunlicherweise war das 14. Streichquartett bei seiner Uraufführung 1897 durchaus in der Kritik. Das, wofür man Dvořák einst gelobt hatte — seine Melodiefreudigkeit, den straffen Stil, die „Natürlichkeit“ — sah man nun bereits als „veraltet“ an oder zumindest als nicht mehr modisch. Gerade das veranlasste aber konservativ eingestellte Kritiker wie den Brahms-Verehrer Eduard Hanslick von Wien aus wahre Lobeshymnen auf das Werk und seinen Schöpfer zu versenden: „Was Ihnen, lieber Freund, da gelungen ist (...), das will ich die reine Meisterschaft nennen. Es will mir scheinen, als hätten Sie die redlichen und genialischen Bemühungen von Beethoven und Brahms nunmehr gekrönt.“ In Anbetracht unserer heutigen Sicht auf zum Beispiel Beethovens späte Streichquartette und seine „Große Fuge“ wirkt Hanslicks Äußerung zweifellos (deutlich zu) überschwenglich. Dennoch kann man auch heute noch feststellen, dass das 14. Streichquartett in Dvořáks Œuvre einen hohen Rang einnimmt. Außerdem ist es das letzte Kammermusikwerk des Komponisten, sodass es auch so etwas wie eine besondere Hinterlassenschaft darstellt.

Beide Stücke werden vom Delmé-Quartett mit großer Hingabe und sehr hohem Können interpretiert. Dabei können vor allem die leisen Parts überzeugen, denn die Piano- und Pianissimo-Stellen werden von den Briten einfach hinreißend gespielt. Es ist ja manchmal nur ein „Hauch“, aber die Emotionalität, die sich dabei entfaltet, kann einem schon den Atem rauben. Diese Einspielung gehört definitiv zu den allerbesten, die ich bei diesem Repertoire gehört habe. Und das soll schon was heißen, denn an Dvořáks Streichquartetten haben sich ja praktisch alle mal versucht, von den „kleinen“ bis zu den ganz „großen“ Namen der Streichquartettszene. Das Delmé Quartett braucht sich jedenfalls hinter keinem der „Großen“ zu verstecken. Es musiziert äußerst elegant, sehr gekonnt und mit dem für diese Musik notwendigen, im positiven Sinne gemeinten „naiven“ Ton. Das ist ganz großes Kino und nötigt den tiefsten Respekt ab.

Beim Klang der CD haben es die Tonmeister von Somm Recordings vor allem in den Höhen zu gut gemeint: Diese Einspielung ist nicht mehr „brillant“ aufgezeichnet, sie ist schon beinahe ätzend brillant. Die hohen Geigen, zum Beispiel am Schluss des Finales des 14. Streichquartetts, kommen wie fliegende Stecknadeln aus dem Hochtöner, was zumindest mich auf die Dauer sehr anstrengt. Dafür fehlt „unten“ etwas am Bassfundament. Nichtsdestotrotz ist jedes Instrument einzeln ortbar, die „Linien“ sind fein gezeichnet. Das ist eine glasklar durchhörbare Aufnahme, die ich aber nur jemandem empfehlen würde, der an seinem Verstärker die Möglichkeit hat, eine Klangregelung vorzunehmen und die Höhen runterzudrehen. Ich habe das an meinem puristischen High End-Boliden leider nicht, und wem das ganz ähnlich geht, der sei gewarnt: Die übertriebene Brillanz dieser Aufnahme kann nerven.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Klassik Center Kassel“ zur Verfügung gestellt.))

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